Musenkuß: Egon Friedell

"Vom Schaltwerk der Gedanken" - Gesammelte Essays

von Frank Becker
Musenkuß für Friedell-Essays

Peter Haage nannte den Kulturphilosophen Egon Friedell 1971 in seinem Buch über den universell gebildeten Weltmann und seinen Kreis den "Partylöwen, der nur Bücher fraß". Und in der Tat: Friedell war als Salonlöwe der Wiener Gesellschaft bekannt, dazu maßlos nicht nur im Literatur-Konsum. Sein epochales Werk "Die Kulturgeschichte der Neuzeit"  ist das hervorragende Ergebnis der Anhäufung von Wissen in diesem Mann, der als Bonvivant wie als Satiriker, als Literatur- wie Theaterkritiker und als die Tiefe seiner Themen auslotender Essayist und Journalist überzeugend lebte.
Eine Ausnahmeerscheinung, ein Gigant von nahezu Goetheschen Ausmaßen (als Goethe stand er in seiner einzigen Schauspiel- Rolle auf der Bühne), ein Geschenk war dieser Friedell, der sich  - zu diesem Zeitpunkt ohnehin seit langem von Todessehnsucht heimgesucht - 60-jährig am 16. März 1938 aus dem Fenster seiner Wiener Wohnung stürzte, als zwei SA-Leute an der Tür nach ihm fragten. Ein entsprechend großer Verlust war sein Tod.

Friedells veröffentlichtes und nachgelassenes Werk gehört zum Kostbarsten der deutschsprachigen Literatur. Der Diogenes Verlag bringt mit "Vom Schaltwerk der Gedanken" rechtzeitig zu Weihnachten und zum in wenigen Wochen zu feiernden 130. Geburtstag des genialen Schriftstellers, der am 21. Januar 1878 in Wien geboren wurde, eine Werkauswahl heraus, die auf fast 700 Seiten herausragende Essays aus ca. 25 Jahren zu Geschichte, Politik, Philosophie, Religion, Theater und Literatur versammelt. Daniel Keel und Daniel Kampa haben aus den bei C.H. Beck und im Löcker Verlag erschienenen Büchern Friedells sorgfältig die griffige Auswahl besorgt und damit ein sehr empfehlenswertes Friedell- Kompendium geschaffen. Intelligent und eloquent (was nicht bei jedem Autor miteinander einhergeht), humorvoll und sachkundig sind Friedells Abhandlungen, Sottisen, Betrachtungen und Kritiken - apropos: "Von allen Theaterberufen ist der des Kritikers vielleicht der schrecklichste" schreibt Friedell in einem seiner Essays - wie wahr!

Lesevergnügen und Schmalz für die versteiften Hirnwindungen ist
"Vom Schaltwerk der Gedanken". Zugleich enthebt dieses Buch einen jeden, der zu Weihnachten oder zu jedwedem anderen Feiertag noch nach einem literarisch hochwertigen Geschenk fahndet, jeglicher Überlegung. Das ist es. Ein Musenkuß auch dafür. Mein Buch des Monats.

Beispielbild


Egon Friedell

Vom Schaltwerk der Gedanken

Ausgewählte Essays zu Geschichte, Politik, Philosophie, Religion, Theater und Literatur

© 2007 Diogenes Verlag

696 Seiten, Ganzleinen - mit Lesebändchen und im ill. Schuber
ISBN 978-3-257-06625-8
28,90 € (D)

Weitere Informationen unter:
www.diogenes.ch