Der Spott der kleinen Dinge

Mutter und Kim

von Lars von der Gönna

© Heiko Sakurai
Mutter und Kim
 
Neulich habe ich mich gefragt, was Kim Jong-il eigentlich macht. Solche Fragen zeigen einem, wie herzlos wir Journalisten Menschen fallen lassen, wenn sie keine Geschichten mehr ausspucken. Die letzte Kim-Rakete ist einfach zu lange her. News sind ein brutales Geschäft. Eine deutsche Wartezimmerzeitung macht daraus eine Tugend. Jede Woche schreiben die eine Geschichte, die heißt: »Was macht eigentlich …«
    Es muß die Hölle sein, wenn du mal ein richtig Großer warst, also Diktator, Zauberwürfel-Erfinder oder Utz Claassen – und dann klingelt die Wartezimmerzeitung bei dir. Die Schlußfrage ihrer Bekanntheitsgrad-Hinrichtungsserie, die den gefühlten Titel »Letzter Text vor der Beerdigung« hat, lautet meist, ob die Leute irgendwas vermissen. Sie sagen: »Aber nein! Ein Spaziergang mit dem Hund ist das größte Glück der Erde!« Ich dachte an Rainer Brüderle, da rief meine Mutter an.
    Ich fragte sie nach Kim. Sie lachte und sagte, Mentholzigaretten seien etwas für Weicheier. Meine Mutter gewöhnt sich das Rauchen ab, entsprechend ist sie völlig entpolitisiert, dabei hat sie eine Schwäche für asiatische Staatslenker. Ich sagte meiner Mutter, ich meine nicht die Kim, sondern den Kim. Den, der als Hobby Atombomben habe und die dazu passende Frisur. »Ich kenne Kim«, sagte meine Mutter leicht beleidigt, »er trägt Plateauschuhe. Kleine Männer sind gefährlich. Aber Kim als Zigarette ist total furchtbar!«
    Ich wies meine Mutter mürrisch darauf hin, daß eine Führer-Zigarette in Korea nie und nimmer nur Kim hieße, sondern mindestens »Gewaltige Nebel über dem Haupt des Gottgleichen«. Meine Mutter entgegnete ausweichend, ihre Plateauschuhe habe sie nie weggeworfen, die 70er seien einfach eine super Zeit gewesen. Was habe man da geraucht!
    Wir entzweiten uns über das Thema. Ich wünschte ihr deutlich zu früh frohe Ostern.
 

© Lars von der Gönna - Aus dem Buch „Der Spott der kleinen Dinge“
mit freundlicher Erlaubnis des Verlags Henselowsky Boschmann und der WAZ.