Der Alkohol, die Dichter Eine Dokumentation von Niels Höpfner
in fünf Teilen 5. Teil Wesentlich bedrohter vom Alkohol ist der Kleine-Leute-Autor Hans Fallada (1893-1947) gewesen. Falladas (d.i. Rudolf Ditzen) Leben war ein Leidensweg durch Nervenheilanstalten, Gefängnisse und Sanatorien, insgesamt mehr als sieben Jahre wurde er verwahrt: als Totschläger, Alkoholiker, Morphinist, wegen Beschaffungskriminalität, als Nazigegner. Ein chaotisches Leben. Die Katastrophe nimmt ihren Lauf. Der Fallada-Biograph Alfred Geßler sieht in dem 1944 geschriebenen Roman nicht nur eine private Tragödie des Protagonisten: "Im 'Trinker' wird kein zeitloses isoliertes Kleinbürgerschicksal dargestellt, der Roman steht symbolisch für die ganze Schicht, der Sommer entstammt. In der bewußten Selbstzerstörung Sommers offenbart sich die nahende Apokalypse des faschistischen Systems." * Der Filmregisseur Géza von Cziffra hat dem Schriftsteller Joseph Roth (1894-1939) das Erinnerungslibell "Der heilige Trinker" gewidmet. Darin schreibt er über den k.u.k. Chronisten und Exilautor: "Roth war ein rhapsodischer Mensch, wahrscheinlich bedingt durch seinen Alkoholismus. Er trank Wein und Schnaps schon zum Frühstück. Er hatte böse Perioden. Oft zitterten seine Hände bedenklich, aber sein Geist nie. Der Alkohol machte ihn aggressiv, aber je mehr er trank, desto eher baute sich seine Angriffslust ab, schließlich wurde er zum Weisen. Mit der Erzählung "Die Legende vom heiligen Trinker" schrieb Joseph Roth sein letztes Buch, ehe er nicht einmal 45jährig im Delirium tremens starb. Seinen Clochard Andreas hatte der Autor mit den Worten verabschiedet: "Gebe Gott uns allen, uns Trinkern, einen so leichten und schönen Tod." Kisch hat recht behalten. Irmgard Keuns Biographin Gabriele Kreis: "Beide sind Heimatlose, immer auf der Suche nach einem Halt und einem Sinn, bereit, nach allem zu greifen, was ihnen Versöhnung mit dem Leben und Ausweg aus ihrer Isolierung verspricht: nach Menschen, nach Ideen und nach Alkohol. Sie sind possessiv, verbohrt und oft betrunken." * * Zum Schluß soll noch darauf hingewiesen werden, daß sich das Thema Alkoholismus auch in der Trivialliteratur großer Beliebtheit erfreut. 1944 veröffentlichte der Amerikaner Charles Jackson seinen Roman "Das verlorene Wochenende", der "den mehrtägigen Alkoholexzeß eines Trinkers durch alle Höhen und Tiefen" beschreibt. Die eigene Suchtkarriere schildern der Franzose Jean St. Didier in seinem Buch "J'etais un alcoolique" (deutscher Titel: "Ich bin geheilt") und die Amerikanerin Lee Bryant in ihrem Werk "Come, Fill the Cup"- beide finden durch religiöses Erleben zur Nüchternheit zurück. 1962 erschien von Johannes Mario Simmel der Roman "Bis zur bitteren Neige", der das bittere Trinker-Schicksal des versoffenen Filmstars Peter Jordan bis zum Happy-End erzählt. Auch der Autor Simmel war zeitweilig alkoholabhängig, wie er selbst freimütig bekennt. "Eines Tages war ich so kaputt, daß ich ins Krankenhaus mußte. Jetzt trinke ich keinen einzigen Tropfen Alkohol mehr. Nur deshalb lebe und schreibe ich noch..." 1957 veröffentlichte der Amerikaner Thomas Randall sein Bekenntnisbuch "The twelfth Step" (auf deutsch unter zwei verschiedenen Titeln: "Größer als wir selbst" und "Falle Alkohol"), das Trinkern praktische Lebenshilfe bieten will, indem es - episch breit: in der deutschen Ausgabe auf 763 Seiten - den Entzug mit Hilfe der Anonymen Alkoholiker darstellt. Dieses Ziel verfolgt auch Ernst Herhaus in seinem wesentlich kompakteren und literarisch anspruchsvolleren Roman "Kapitulation. Aufgang einer Krankheit" (1977), wobei ein mittlerweile trockener Alkoholiker den Autor ermuntert, die Flasche wegzustellen und seine Lebens- & Krankengeschichte aufzuschreiben: "Ernst, du wirst es schaffen. Eher als du denkst, wirst du Alkoholikern, die noch drinhängen, durch Erzählen helfen. Du wirst ein Hund sein für die Nassen..." Es darf stark bezweifelt werden, daß die SCHÖNE LITERATUR als Therapie taugt, allenfalls gehen von ihr emanzipatorische Impulse aus. Aber manchem zwanghaften Trinker mag es ein Trost sein, daß auch große Schöpfer literarischer Welten Narren und Bettler waren am Hof von KÖNIG ALKOHOL.
¹Vgl. vier Anthologien, die zahlreiche literarische Zeugnisse zum Thema Alkohol versammeln: Karl Heinz Wallhäußer (Hg.), Säufzer. Geschichten über den Alkohol. Hofheim: Wolke Verlag 1987; Treibstoff Alkohol. Die Dichter und die Flasche. "du – Die Zeitschrift der Kultur", Zürich, Nr.12/ 1994 [Themenheft]; König Alkohol. "orte", CH-9427 Zelg-Wolfhalden, Nr.64 [Themenheft]; Jörg Sundermeier (Hg.), Das Buch vom Trinken. Berlin: Verbrecher Verlag 2004 ²Vgl. auch: Tom Dardis, The Thirsty Muse. Alcohol and the American Writer. Boston: Houghton Mifflin Company 1989; Donald W. Goodwin, Alkohol und Autor. Zürich: Edition Epoca 1995 und Frankfurt am Main: Suhrkamp 2000 ³Vgl. Joachim Müller, Die Figur des Trinkers in der deutschen Literatur seit dem Naturalismus. In: "Wissenschaftliche Zeitschrift der Friedrich-Schiller-Universität Jena", Jg.17/ 1968, Heft 2, S. 255-267
Schluß © Niels Höpfner - Veröffentlichung in den Musenblättern mit freundlicher Genehmigung des Autors *) Der Urheber der Portraitzeichnung Hans Falladas war nicht zu ermitteln. Die Zeichnung wurde uns vom Sohn des Autors, Dr. Ulrich Ditzen zur Verfügung gestellt. Die Verwendung ist nichtkommerziell. Eventuelle Rechte-Inhaber werden gebeten, sich bei der Redaktion zu melden. Über den Verfasser: Niels Höpfner trinkt seit fast 50 Jahren Wein & Gin Tonic (Gordon's/ Schweppes).
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