Der Alkohol, die Dichter & die Literatur

Eine Dokumentation in fünf Teilen - 5. Teil

von Niels Höpfner

Hans Fallada - Bildautor nicht zu ermitteln *)

Der Alkohol, die Dichter
& die Literatur

Eine Dokumentation von Niels Höpfner
in fünf Teilen

5. Teil

Wesentlich bedrohter vom Alkohol ist der Kleine-Leute-Autor Hans Fallada (1893-1947) gewesen. Falladas (d.i. Rudolf Ditzen) Leben war ein Leidensweg durch Nervenheilanstalten, Gefängnisse und Sanatorien, insgesamt mehr als sieben Jahre wurde er verwahrt: als Totschläger, Alkoholiker, Morphinist, wegen Beschaffungskriminalität, als Nazigegner.  Ein chaotisches Leben. 
Erst postum, im Jahr 1950, erschien bei Rowohlt Falladas stark autobiographisch getönter (auch heute noch lesbarer) Roman "Der Trinker". Wie gerät der Kleinbürger Erwin Sommer in den Alkoholstrudel? Geradezu exemplarisch erscheint der Beginn: "ICH HABE natürlich nicht immer getrunken, es ist sogar nicht sehr lange her, daß ich mit Trinken angefangen habe. Früher ekelte ich mich vor Alkohol; allenfalls trank ich mal ein Glas Bier; Wein schmeckte mir sauer, und der Geruch von Schnaps machte mich krank. Aber dann kam eine Zeit, da es mir schlecht zu gehen anfing. Meine Geschäfte liefen nicht so, wie sie sollten, und mit den Menschen hatte ich auch mancherlei Mißgeschick. Ich bin immer ein weicher Mensch gewesen, ich brauchte die Sympathie und Anerkennung meiner Umwelt, wenn ich mir das auch nicht merken ließ und stets sehr sicher und selbstbewußt auftrat. Das Schlimmere war, daß ich das Gefühl bekam, auch meine Frau wende sich von mir ab."

Die Katastrophe nimmt ihren Lauf. Der Fallada-Biograph Alfred Geßler sieht in dem 1944 geschriebenen Roman nicht nur eine private Tragödie des Protagonisten: "Im 'Trinker' wird kein zeitloses isoliertes Kleinbürgerschicksal dargestellt, der Roman steht symbolisch für die ganze Schicht, der Sommer entstammt. In der bewußten Selbstzerstörung Sommers offenbart sich die nahende Apokalypse des faschistischen Systems."

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Der Filmregisseur Géza von Cziffra hat dem Schriftsteller Joseph Roth (1894-1939) das Erinnerungslibell "Der heilige Trinker" gewidmet. Darin schreibt er über den k.u.k. Chronisten und Exilautor: "Roth war ein rhapsodischer Mensch, wahrscheinlich bedingt durch seinen Alkoholismus. Er trank Wein und Schnaps schon zum Frühstück. Er hatte böse Perioden. Oft zitterten seine Hände bedenklich, aber sein Geist nie. Der Alkohol machte ihn aggressiv, aber je mehr er trank, desto eher baute sich seine Angriffslust ab, schließlich wurde er zum Weisen.
Als ich ihn zum letztenmal traf, erzählte er mir, daß er an einer Novelle arbeite, die den Titel 'Die Legende vom heiligen Trinker' tragen sollte.
'Warum ist Ihr Trinker heilig?' fragte ich ihn.
'Aus demselben Grunde wie ich', antwortete er mit ernster Miene. 'Weil der liebe Gott ihm dieselbe Gnade zuteil werden ließ wie mir. Er lieh meinem Trinker, einem Clochard, einmal zweihundert Francs, die er an die heilige Therese von Lisieux zurückzahlen sollte, per Adresse des Priesters der Kapelle Ste. Marie de Batignolles. Der Clochard vertrank natürlich die Gabe, aber der liebe Gott ließ ihm auf Umwegen immer wieder Geld zukommen- genau so, wie er meine dichterische Begabung immer wieder aufflammen ließ, wenn die innere Flamme auszulöschen drohte.'"

Mit der Erzählung "Die Legende vom heiligen Trinker" schrieb Joseph Roth sein letztes Buch, ehe er nicht einmal 45jährig im Delirium tremens starb. Seinen Clochard Andreas hatte der Autor mit den Worten verabschiedet: "Gebe Gott uns allen, uns Trinkern, einen so leichten und schönen Tod."
Im Exil lebte Joseph Roth einige Zeit zusammen mit der Schriftstellerin Irmgard Keun (1910-1982), der Autorin von Romanen wie "Das kunstseidene Mädchen" und "Nach Mitternacht". Egon Erwin Kisch, "der rasende Reporter", der zum Freundeskreis gehörte: "Ich glaube, im großen und ganzen passen die beiden gut zueinander, auch in ihrer Lebensweise. Die Keun versucht, Roth den Alkohol abzugewöhnen, Sepp, ihn ihr anzugewöhnen. Ich befürchte, Roth wird siegen."

Kisch hat recht behalten. Irmgard Keuns Biographin Gabriele Kreis: "Beide sind Heimatlose, immer auf der Suche nach einem Halt und einem Sinn, bereit, nach allem zu greifen, was ihnen Versöhnung mit dem Leben und Ausweg aus ihrer Isolierung verspricht: nach Menschen, nach Ideen und nach Alkohol. Sie sind possessiv, verbohrt und oft betrunken."
Nach dem Krieg wird Irmgard Keuns Alkoholismus immer zügelloser. 1966 ist ihre Einweisung ins Landeskrankenhaus Bonn erforderlich, wo sie bis Ende 1972 bleibt. Trotz eines Comebacks durch Neuauflagen der alten Bücher verdämmern ihre restlichen Jahre in unproduktivem Rausch.

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Exkurs: Bei Schriftstellerinnen ist Alkoholismus offenbar nur selten anzutreffen. Eine der wenigen, die sich öffentlich als Alkoholikerin bekannte, ist die französische Autorin Marguerite Duras (1914-1996). In dem Interviewband "Das tägliche Leben" (1988) finden sich bewegende und tiefe Worte zum Thema: "Der Alkohol bringt die Einsamkeit zum Schwingen und führt dazu, daß man sie schließlich allem andern vorzieht. Trinken heißt nicht zwangsläufig sterben wollen, nein. Doch kann man nicht trinken, ohne daran zu denken, daß man sich umbringt. Mit dem Alkohol leben, heißt mit dem Tod in Reichweite leben. Was einen –wenn man süchtig nach Trunkenheit ist- hindert, sich umzubringen, ist der Gedanke, daß man, einmal tot, nicht mehr trinken wird. Ich habe begonnen, auf Festen, auf politischen Veranstaltungen zu trinken, zuerst Wein, dann Whisky. ...Das hat zehn Jahre gedauert. Bis zur Zirrhose, bis zum Bluterbrechen. Ich habe zehn Jahre aufgehört. Es war das erste Mal. Ich habe wieder angefangen und dann noch einmal aufgehört. ...Nun bin ich beim dritten Stop... Es fehlt einem ein Gott. Diese Leere, die man eines Tages als Heranwachsender entdeckt, läßt sich durch nichts verdrängen. Der Alkohol ist erschaffen worden, damit man die Leere des Universums ertragen kann. ...Der Alkohol tröstet über nichts hinweg, er füllt die psychischen Räume des Individuums nicht aus, er ersetzt nur das Fehlen Gottes."

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Zum Schluß soll noch darauf hingewiesen werden, daß sich das Thema Alkoholismus auch in der Trivialliteratur großer Beliebtheit erfreut. 1944 veröffentlichte der Amerikaner Charles Jackson seinen Roman "Das verlorene Wochenende", der "den mehrtägigen Alkoholexzeß eines Trinkers durch alle Höhen und Tiefen" beschreibt. Die eigene Suchtkarriere schildern der Franzose Jean St. Didier in seinem Buch "J'etais un alcoolique" (deutscher Titel: "Ich bin geheilt") und die Amerikanerin Lee Bryant in ihrem Werk "Come, Fill the Cup"- beide finden durch religiöses Erleben zur Nüchternheit zurück.

1962 erschien von Johannes Mario Simmel der Roman "Bis zur bitteren Neige", der das bittere Trinker-Schicksal des versoffenen Filmstars Peter Jordan bis zum Happy-End erzählt. Auch der Autor Simmel war zeitweilig alkoholabhängig, wie er selbst freimütig bekennt. "Eines Tages war ich so kaputt, daß ich ins Krankenhaus mußte. Jetzt trinke ich keinen einzigen Tropfen Alkohol mehr. Nur deshalb lebe und schreibe ich noch..."

1957 veröffentlichte der Amerikaner Thomas Randall sein Bekenntnisbuch "The twelfth Step" (auf deutsch unter zwei verschiedenen Titeln: "Größer als wir selbst" und "Falle Alkohol"), das Trinkern praktische Lebenshilfe bieten will, indem es - episch breit: in der deutschen Ausgabe auf 763 Seiten - den Entzug mit Hilfe der Anonymen Alkoholiker darstellt. 

Dieses Ziel verfolgt auch Ernst Herhaus in seinem wesentlich kompakteren und literarisch anspruchsvolleren Roman "Kapitulation. Aufgang einer Krankheit" (1977), wobei ein mittlerweile trockener Alkoholiker den Autor ermuntert, die Flasche wegzustellen und seine Lebens- & Krankengeschichte aufzuschreiben: "Ernst, du wirst es schaffen. Eher als du denkst, wirst du Alkoholikern, die noch drinhängen, durch Erzählen helfen. Du wirst ein Hund sein für die Nassen..."

Es darf stark bezweifelt werden, daß die SCHÖNE LITERATUR als Therapie taugt, allenfalls gehen von ihr emanzipatorische Impulse aus. Aber manchem zwanghaften Trinker mag es ein Trost sein, daß auch große Schöpfer literarischer Welten Narren und Bettler waren am Hof von KÖNIG ALKOHOL.


¹Vgl. vier Anthologien, die zahlreiche literarische Zeugnisse zum Thema Alkohol versammeln: Karl Heinz Wallhäußer (Hg.), Säufzer. Geschichten über den Alkohol. Hofheim: Wolke Verlag 1987; Treibstoff Alkohol. Die Dichter und die Flasche. "du – Die Zeitschrift der Kultur", Zürich, Nr.12/ 1994 [Themenheft]; König Alkohol. "orte", CH-9427 Zelg-Wolfhalden, Nr.64 [Themenheft]; Jörg Sundermeier (Hg.), Das Buch vom Trinken. Berlin: Verbrecher Verlag 2004

²Vgl. auch: Tom Dardis, The Thirsty Muse. Alcohol and the American Writer. Boston: Houghton Mifflin Company 1989; Donald W. Goodwin, Alkohol und Autor. Zürich: Edition Epoca 1995 und Frankfurt am Main: Suhrkamp 2000

³Vgl. Joachim Müller, Die Figur des Trinkers in der deutschen Literatur seit dem Naturalismus. In: "Wissenschaftliche Zeitschrift der Friedrich-Schiller-Universität Jena", Jg.17/ 1968, Heft 2, S. 255-267


Schluß

© Niels Höpfner - Veröffentlichung in den Musenblättern mit freundlicher Genehmigung des Autors

*) Der Urheber der Portraitzeichnung Hans Falladas war nicht zu ermitteln. Die Zeichnung wurde uns vom Sohn des Autors, Dr. Ulrich Ditzen zur Verfügung gestellt. Die Verwendung ist nichtkommerziell. Eventuelle Rechte-Inhaber werden gebeten, sich bei der Redaktion zu melden.

Über den Verfasser: Niels Höpfner trinkt seit fast  50 Jahren Wein & Gin Tonic (Gordon's/ Schweppes).      
Homepage:  http://www.angelfire.com/poetry/nielshoepfner/index.html