Die späte Liebe - und ihre tröstliche Möglichkeit

Konrad Strauß – „Windegger – oder eine Liebe im Herbst“

von Frank Becker

Umschlagzeichnung: Konrad Strauß
Die späte Liebe -
und ihre tröstliche Möglichkeit
 
Die Gläser klangen zusammen. Wir fühlten, glaube ich, beide,
daß das neutrale Gebiet damit unwiderruflich verlassen war.

Ein älterer Herr verliebt sich in eine junge Frau - das soll gelegentlich vorkommen. Ein älterer Schriftsteller macht daraus einen Roman – auch das kommt vor. Ein Glücksfall aber ist, daß es sich in diesem Fall und bei diesem Schriftsteller um Konrad Strauß (1905-1995) gehandelt hat, der 1978 in diesen zärtlichen kleinen Sommerroman mit leichter Hand und eleganter Feder so viel vom eigenen Leben und Erleben gelegt hat, daß, wer ihn kannte, ihn dort vergnüglich wiederfindet. Mit Verstand und Herz - und mit ordentlichem Augenzwinkern, notabene - läßt er den weltgereisten Herrn Windegger erzählen, wie er eines Tages mit kleinem Gepäck das verschlafene Städtchen Schildach mit seinem fensterlosen Rathaus sowie dessen herrlichen Turm betritt – und sich stantepede verliebt: in die bronzene Schöne auf dem Artemis-Brunnen des Rathausplatzes zum einen, in das Örtchen zum anderen und in der Artemis lebendiges Pendant Anke Ankerschmidt, im folgenden „Arte“ genannt, im besonderen. Windegger mietet den Turm, nicht zuletzt, um ihr nahe zu sein.
 
Es entspinnt sich zwischen dem distinguierten Herrn, der den Herbst seines Lebens ansteuert und sich noch einmal sterblich verliebt und der anmutigen, weitaus jüngeren Kunsthändlerin, die noch das vor sich hat, was er schon hinter sich hat, eine Liebeskomödie voller Esprit und zartem Begehren. Mit federleichten und mit tiefschürfenden Dialogen, präzise gezeichneten, charmanten, pfiffigen und handfesten Charakteren und Orten, die man gerne mit Windegger erwandert, stattet Strauß diesen Roman aus. Mit Figuren wie der kessen Elvira aus dem EDEN-Hotel, dem schlitzohrigen Rathaus-Hausmeister Anckerschmied, dem geschäftstüchtigen Herrn Kretzsch (hat alles!), dem nur verhalten muselmanisch denkenden Dr. Aziz Ibn Ibrahim, dem Geschäftsreisenden Herrn Baulemann und dessen flotter Sekretärin Ziska Steckelberg sowie dem archetypischen Wiener Kellner Gantkofler, den es irgendwie in den Ratskeller von Schildach verschlagen hat sowie einigen anderen dramatis personae, entwickelt Konrad Strauß den heiter-melancholischen Plot.
Der Spott des Romans gilt der Lokal-Politik und Geschäftemacherei, die im ganz Kleinen des Provinzstädtchens vormacht, wie Korruption und Aneignung von Verdiensten tagtäglich in der großen Politik exerziert werden. Seine Sympathie aber haben die kleinen Leute, die er in humorvoll gezeichneten Portraits aus ihrer Position am Rand ins Licht rückt. Die weitaus größte Zuneigung aber gilt der späten Liebe und ihrem Objekt, der diese leichtsinnige Narretei undbedingt werten Arte.
 
Konrad Strauß läßt uns in keinem Moment darüber im Unklaren, daß es kein Happy End geben wird, keines geben kann - das wäre in seinen Augen ja wohl auch Kitsch. Und doch - oder gerade deshalb - läßt er Windegger neben gewissen Dämpfern noch einmal Stunden des höchsten Glücks erleben. Die stets hintergründig mitschwingende Endlichkeit manifestiert sich in einem eingeschobenen Traumkapitel, in dem Windegger auf den Spuren des Brandner Kaspar mit „Freund Hein“ zecht. Das schließliche Ende ist prosaisch und illusionslos, Windeggers Abschied von Arte, wie er die bezaubernde Freundin in Anlehnung an Artemis nennt, von leiser Schwermut, der Abschied von Schildach schnell und still. Und doch möchte man bis zum ein wenig bitteren Ende als Leser und Kritiker, der selbst längst ein älterer Herr ist, keine Zeile dieser verzauberten, schwerelosen Liebesgeschichte missen, die davon spricht, daß auch eine Liebe im Herbst ihren Reiz und ihre tröstliche Möglichkeit hat.


Konrad Strauß al. Windegger, Selbstportrait mit Arte - © Musenblätter
 
Konrad Strauß wurde am 17. August 1905, also heute vor 110 Jahren geboren. Er war Maler, Graphiker und Illustrator. Erst im Herbst des eigenen Lebens fand er, Sohn des Schriftstellers Emil Strauß („Menschenwege“, Freund Hein“, „Das Riesenspielzeug“, „Der Schleier“, „Ludens“ u.a.) nach Jahren im brasilianischen Exil und der Arbeit für verschiedene Verlage selber zur Schriftstellerei. „Windegger“ war sein erster und blieb sein einziger Roman, der jedoch auf Augenhöhe mit Kurt Tucholskys „Rheinsberg“ und „Schloß Gripsholm“. Bisher wurde der wenn auch kleine, so doch literarisch wertvolle Roman nie neu verlegt, ein Versäumnis. Ein zweiter bereits in den Blick genommener Stoff, ein Künstlerroman, wurde nicht mehr ausgeführt - Konrad Strauß starb am 25. Januar 1995 in München.
Von den Musenblättern bekommt
„Windegger“ aus vollem Herzen unsere Auszeichnung, den Musenkuß.
 
Konrad Strauß – „Windegger – oder eine Liebe im Herbst“ - Roman
© 1978 Rainer Wunderlich Verlag Hermann Leins, 190 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag
 
Nur noch in wenigen guten Exemplaren antiquarisch zu bekommen – auf jeden Fall die Suche wert.