Es hat ein Gott mich ausgekotzt

Zum 125. Geburtstag von Klabund

von Frank Becker

Klabund, d.i. Alfred Henschke
Es hat ein Gott mich ausgekotzt
 
Es hat ein Gott mich ausgekotzt,
Nun lieg ich da, ein Haufen Dreck,
Und komm und komme nicht vom  Fleck.

Doch hat er es noch gut gemeint,
Er warf mich auf ein Wiesenland,
Mit Blumen selig bunt bespannt.

Ich bin ja noch so tatenjung.
Ihr Blumen sagt, ach, liebt ihr mich?
Gedeiht ihr nicht so reich durch mich?
Ich bin der Dung! Ich bin der Dung!
 
Alfred Henschke (1890-1928), heute vor 125 Jahren geboren, Apothekerssohn aus Crossen an der Oder, war den braven Crossener Bürgern ein Ärgernis, ein obszöner Gotteslästerer. Der Romancier, Historiendichter, Lyriker und Bänkelsänger, erklärte sein Pseudonym „Klabund“ mal als Kontamination von Klabautermann und Vagabund, mal so: „Mein Name ist Klabund,/ Das heißt Wandlung“. Früh von einer falsch diagnostizierten Tuberkulose angegriffen, waren ihm nur 38 Jahre beschieden, die allerdings reichten für neun Schauspiele, sieben Schauspiel-Nachdichtungen, zehn Romane, elf Bände mit Erzählungen, 20 Bändchen mit Gedichten, zehn Bände mit Nachdichtungen aus dem Chinesischen, Japanischen und Persischen und für drei Ehen. Dem Leben und der Liebe zugetan hat Klabund beides kraft- und blutvoll bedichtet. Wohl kein Zweiter hat z.B. die Gedichte des Li-tai-pe so kraftvoll nachempfunden wie Klabund, denken wir nur an „Der Ewige Rausch“.
 
Der ewige Rausch

Herr, vom Himmel nieder in das Meer
Rast der große gelbe Strom in betäubendem Schwung.
Keine Welle weiß von einer Wiederkehr.
Herr, den Spiegel her: dein Schädel ist alt, nur deine Seufzer sind jung...
 
Noch am Morgen glänzten deine Haare wie schwarze Seide,
Abend hat schon Schnee auf sie getan.
Wer nicht will, daß er lebendigen Leibes sterbend leide,
Schwinge den Becher und fordre den Mond als Kumpan.

Schmeiß die Taler zum Fenster hinaus, es wird sie schon wer zusammenschippen.
Im Schlafe fällt kein Vogel aus dem Nest.
Heute will ich auf einen Hieb dreihundert Becher kippen!
Schlachtet den Hammel und sauft und freßt!

Glockenton am Morgen, Trommel im Krieg, Reis im Haus sind entbehrlich ­
Ach, Brüder, laßt uns auf einen Rausch, der kein Ende nimmt, hoffen!
Vergangenheit ist tot. Die Zukunft ungefähr­lich.
Unsterblich nur ist Li-tai-pe - wenn er be­soffen.

Li Tai-pe


Lassen wir ihn für sich selbst sprechen:
„Ich bin, da ich dieses schreibe, siebenundzwanzig Jahre alt. Aber ich könnte auch schreiben: drei Jahre, oder: fünfzigtausend. Ich stamme irgendwo aus der Mark. Ich bin ein Preuße. Und meine Farben, die ihr kennt, sind Schwarz und Weiß. Schwarz, das ist die Nacht, und weiß, das ist der Tag. Ich bin Tag und Nacht. Ich bin in der Mark geboren, aber früher lebte ich einmal in China und schrieb, mit einer großen Hornbrille betan, kleine Verse auf große Seidenstreifen. Mein Weg ist noch weit. Wer mich eine Stunde begleiten will, soll mir willkommen sein. Immer wieder muß ich geboren werden. Ich kann mich noch gut erinnern, daß ich einmal ein Hase war und über die Felder hoppelte und Kohl fraß. Später war ich ein Geier, der den Hasen die Augen auszuhacken pflegte. So mordete ich mich selbst. Ich war gut. Ich war schlecht. Ich war schön und häßlich; liebreizend und entsetzlich, feige und tapfer, herrisch und knechtisch. Ich liebe die Menschen. Aber ich liebe sie nicht mehr als die Tiere oder die Sterne, mit denen ich gerade so zu sprechen vermag wie mit dir, mein menschlicher Bruder. Ich liebe die Frauen. Allen voran die liebste Frau, die mir Tochter und Mutter Gottes war. Sie ist längst an Gottes Thron zurückgekehrt. Dort steht sie, die Lilie in der Hand, und lächelt und weint auf mich herab. - Was ihr kennt, ist nur ein Teil dessen, was ich dichtete. Oft hat mir der Wind die Blätter verweht, auf denen ich schrieb. Ich habe bei meinen vielen Wanderschaften zwei ganze Dramenmanuskripte verloren. Wer sie gefunden hat, soll sie behalten, ob er nun sein Zimmer damit tapeziert oder ob er sie seiner Frau nach dem Nachtmahl vorliest. Immer wieder muß ich mit heißer Klinge die klingenden Kämpfe in mir zu Ende fechten. Den Kampf der roten und der weißen Rose. Wenn ich einmal verblutet dahinsinke, soll man mir weiße und rote Rosen aufs Grab werfen. Das soll geschmückt sein wie ein Brautbett, und ein liebendes Paar soll wie Goldregen darauf niederstürzen. Und noch im Tode werde ich das neue Leben segnen.“
(Kleine Selbstbiographie, Locarno 1919)


Foto © Frank Becker
 
Liebeslied
 
Hui über drei Oktaven
Glissando unsre Lust.
Laß mich noch einmal schlafen
An deiner Brust.
 
Fern schleicht der Morgen sachte,
Kein Hahn, kein Köter kläfft.
Du brauchst doch erst um achte
Ins Geschäft.
 
Laß die Matratze knarren!
Nach hinten schläft der Wirt.
Wie deine Augen starren!
Dein Atem girrt!
 
Um deine Stirn der Morgen
Flicht einen bleichen Kranz.
Du ruhst in ihm geborgen
Als eine Heilige und Jungfrau ganz.
 
Klabund

Klabund starb am 14. August 1928. Der Literaturnobelpreisträger Carl von Ossietzky, für dessen „Weltbühne“ er geschrieben hatte, widmete ihm einen Nachruf. Die Grabrede hielt Gottfried Benn. Crossen setzte seinem nun anerkannten großen Sohn ein Denkmal. Die Nazis ließen es stehen, die Polen zerstörten es nach dem Einmarsch 1945.

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