Zu den Wurzeln der Menschheit

Klaus Dornisch – „Sagenhaftes Äthiopien. Archäologie-Geschichte-Religion.“

von Johannes Vesper


Zu den Wurzeln der Menschheit

Eine brillante Untersuchung zur Geschichte Äthiopiens
 
In Äthiopien, dem alten Abessinien, mit 80 verschiedenen Völkern und ebenso vielen Sprachen, - das Land ist ca. dreimal so groß wie Deutschland - wanderten Lucy und Ardi schon vor 3.5 bzw 4.4 Millionen Jahren aufrecht durch die faszinierende Landschaft am Horn von Afrika. Jetzt ruhen die beiden im Nationalmuseum zu Addis Ababa. Beide galten noch nicht als Menschen (homo sapiens) sondern als Vormenschen (Australepithecine bzw. Ardipithecine). Ihre Vorfahren hatten vor 8-5 Millionen Jahren nach einer Klimakatastrophe mit Untergang des Urwaldes als Affen die Bäume verlassen und in flachem Gewässer bzw. der baumlosen Savanne den aufrechten Gang üben müssen. In Äthiopiens Landschaft mit der Danakil Wüste (bis zu 150 m unter dem Meeresspiegel) und dem Ras Dashem (mit 4554 m über dem Meeresspiegel höchster Berg des Simien-Gebirges), zwischen den geologischen Grabenbrüchen der eurasischen, afrikanischen und arabischen Erdplatten, die hier zusammenstoßen, entwickelten sich die Menschen zu dem, was sie heute mit größerem Hirn als ihre Vorgänger darstellen. Sie wanderten aus nach Europa und auch nach Osten bis über die Behringstraße in die Amerikas. Erst vor ca. 10.000 Jahren, also viel später, wurden wir seßhaft, domestizierten Wildtiere, bauten Siedlungen und wurden künstlerisch tätig. In Äthiopien wie auch im Sudan am Nil und in Südarabien sind prähistorische Fels- und Höhlenbilder zu sehen, die Rückschlüsse auf früheste Lebensverhältnisse erlauben.

 
Geschichte im eigentlichen Sinne konnte erst aufgeschrieben werden, nach dem die Ägypter um 3000 v. Chr. die Schrift erfunden hatten. Die sagenhaften Länder Punt und Kusch weckten schnell das Interesse der Ägypter und Griechen. Berühmt ist die Punt-Expedition der ägyptischen Königin Hatschepsut im Jahre 1470 v. Chr. Sie war interessiert an den Luxusgütern der alten Welt: Gold, Weihrauch und Myrrhe, und der interessierte Leser von Klaus Dornischs brillanter Untersuchung „Sagenhaftes Äthiopien. Archäologie-Geschichte-Religion.“ bekommt wichtige antike Schriftquellen aufgelistet, aus denen das Interesse der Griechen an dieser Region hervorgeht. Die Grenzen des sagenhaften Landes Punt bleiben unklar. Erst in den letzten Jahren kam durch Grabungen in Yeha, in der Umgebung des berühmtesten, am besten erhaltenen Tempels aus der Mitte des 1. Jahrtausends, die Geschichte des Reiches von Di`amat ans Licht. Siedlungen, Bauten, Buchstabensystem weisen darauf hin, daß die Regionen dieses Reiches  damals eng mit Südarabien (dem heutigen Jemen) verflochten waren, vielleicht sogar vom dortigen Reich von Saba mit der Hauptstadt Marib aus als Kolonie gegründet wurde. Warum das Di`amat- Reich zu Grunde ging und um die Zeitenwende vom Reich von Aksum abgelöst wurde, bleibt unklar. Aksum, die Hauptstadt dieses Reiches liegt im Norden des heutigen Äthiopiens und ist durch seine Friedhöfe mit den berühmten Grabstelen charakterisiert. Die deutsche Aksum-Expedition von 1906 konnte viel zu Klärung der Historie von Aksum beigetragen. Bis zu 13 Stockwerke bzw. 33 m misst die größte Stele in Aksum, die zerbrochen am Boden liegt und wohl niemals aufrecht gestanden hat. Mit 520 Tonnen Gewicht ist sie der größte von Menschen je bearbeitete Monolith. Diese Bauwerke mit Scheintüren, Fenstern und weiterem Architekturdekor wurden nach uralter Tradition auch aus Südarabien zu Ehren verstorbener Könige errichtet. Interessant ist die Geschichte der „italienischen Stele, die 1937 als Siegestrophäe nach Rom verschleppt wurde und schon nach dem Ende des 2. Weltkrieges zurückgegeben werden sollte, was sich aber bis 2008 hingezogen hat.


Lesender Mönch in der Felskirche Beta Giyorkis in Lalibela
 
Nach der Bekehrung zum Christentum durch Frumentius und Ädesius erklärte im Jahre 340 n. Chr. Kaiser Ezana das Christentum zur Staatsreligion. Sein Christentum hindert Ezana nicht an Raub- und Eroberungszügen in Richtung Nil nach Meroe und nach Südarabien. Seine Taten und Untaten ließ er in drei Sprachen (regionale Sprachen Äthio-Sabäisch, Altäthiopisch und der damaligen internationalen Handelssprach Griechisch) auf Grenzstelen meißeln, die noch heute im Stadtgebiet Axum zu sehen sind. Klaus Dornisch trennt sehr genau zwischen archäologischen, historischen belegten Fakten und Legenden, wie sie im äthiopischen Nationalepos Kebra Negest („Die Herrlichkeit der Könige“) erzählt werden. Dabei sind die Legenden durchaus interessant. Über den Beischlaf der Königin von Saba mit dem König Salomon, bei dem Menelik („der Sohn des Weisen“), der Begründer des äthiopischen Herrschaftshauses bis zu Haile Selassie, gezeugt wurde, wird berichtet, als hätte der Schreiber teilgenommen. Und daß Menelik die Bundeslade mit den Gesetzestafeln Moses aus Jerusalem gestohlen hat, gilt nach den Geschichten des Epos als verbürgt. Sie wird noch heute in der Kathedrale Maryam Tsiyon in Aksum aufbewahrt.
 
Das Reich von Axum verlor durch das Aufkommen des Islam im 7. Jh. N. Chr. an Bedeutung und in Äthiopien kamen dunkle Jahre, bis nach dem Fall Jerusalems 1187 einer der letzten Könige der Zagwe-Dynastie, der von den Bienen in der Wiege umschwärmte Lalibela, den Wallfahrtsbedarf aus Europa vor Augen, ein neues Jerusalem bauen ließ: Lalibela mit seinen wunderbaren Felskirchen. Insgesamt gibt es im äthiopischen Hochland an die 150 in den Fels gehauene Kirchen. Zu den Kirchen des Tana-Sees und zu den Palästen und Kirchen Gondars und dem Schicksal der Region durch die Kriegszüge der Mahdisten 1887 schreibt der Autor weniger. Das Verhältnis der Mohammedaner zu den äthiopischen Christen wird in einem kurzen Exkurs behandelt. Es scheint nicht ganz unproblematisch, findet sich doch unter den Gemälden der berühmten Kirche Debre Berhan Selani in Gondar aus der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts eine Karikatur Mohammeds, der nackt auf einem Esel in die Hölle reiten muß. Die neuere Geschichte des Landes im 19. Jh. mit der berühmten Geiselnahme 1867 des Kaisers Theodor II und der Befreiung derselben durch eine indisch-britische Straf-Militärexpedition mit Zerstörung der Festung Magdala wird nicht behandelt, auch nicht die Gründung der Hauptstadt Addis Abbaba und das interessante Verhältnis Äthiopiens zum Deutschen Reich in der 1. Hälfte des 20. Jh. bis hin zu Hitlers Kredit an Haile Selassie. Das Interesse des Autors liegt vor allem in der Vor- und Frühgeschichte sowie im christlichen Mittelalter Äthiopiens (ca. 150 der 190 Seiten des Bandes) und es ist faszinierend, wie unter seiner Feder aus archäologischen Funden lebendige Geschichte entsteht.   


Aksum, Stirnfresko über dem Allerheiligsten - Heilige Dreifaltigkeit, 12 Apostel, Engel, König Salomo und
die Königin von Saba, Versuchung im Garten Eden, Vertreibung aus dem Paradies
        
Das mit großer Sachkunde und Eleganz geschriebene Werk des Archäologen Dr. Klaus Dornisch zur Archäologie, Geschichte und Religion des alten und christlichen Äthiopiens wird jeder an Äthiopien Interessierte mit Vergnügen lesen. Der Band ist reich bebildert. Es findet sich ein umfangreiches Literaturverzeichnis und auch ein hilfreiches Glossar mit Erklärungen im Text vorkommender Fachbegriffe.      
 
Klaus Dornisch – „Sagenhaftes Äthiopien. Archäologie-Geschichte-Religion.“
Mit einem Vorwort von S. K. H. Dr. Prinz Asfa-Wossen Asserate
© 2015 Wissenschaftliche Buchgesellschaft / Verlag Philipp von Zabern, 191 Seiten, , geb. mit SU mit 125 Abbildungen und 3 Karten, 24,5 x 30 cm
ISBN 978-3-8053-4867-6 - 49,95 €
 
Weitere Informationen: www.wbg-wissenverbindet.de