Überzeugend bis zur Schlußpointe

„Irrational Man“ von Woody Allen

von Renate Wagner

Irrational Man
(USA 2015)

Regie: Woody Allen
Mit:
Joaquin Phoenix, Parker Posey, Emma Stone
 
Schon der erste Satz des Films handelt von Kant, und nach und nach kommen sie fast alle vor (zumindest mit einem bösen Seitenhieb erwähnt) – von Nietzsche bis Heidegger, Hegel bis Husserl und den Existenzialisten, denn Abe Lucas, der Held dieses jüngsten Woody-Allen-Films, ist Philosophieprofessor, wohlgemerkt erst, seitdem er alles Mögliche andere im Leben versucht hat. Um nun, wie er betont, bei der unmöglichsten aller Professionen gelandet zu sein.
 
Ja, bevor Woody Allen dann den höchst verqueren, amüsanten Krimi erzählt, benützt er die Gelegenheit, der Philosophie an sich etwas auszuwischen. Sozusagen als dem Sinnlosesten, was sich die Menschheit ausgedacht hat.
Dieser Abe Lucas, ein völlig antriebsloser, innerlich und äußerlich müder und gelangweilter Mensch, landet also auf einer US-Universität. Woody Allen hat sich nicht darauf eingelassen, hier einen konkreten Namen (Berkley etwa oder dergleichen) ins Spiel zu bringen, das hätte ihm vermutlich Ärger eintragen können. Das „Braylin College“ in Newport ist fiktiv und dabei real genug, wenn man die Verhältnisse in den USA kennt (die mit den europäischen, vergleichsweise steifen, nicht zu vergleichen sind) – der lockere Umgang zwischen Professoren und Studenten auf dem Campus, wo sich das ganze Leben abspielt, wo sich der Lehrsaal nachher in den Cafés und Parkbänken fortsetzt. Und wo das Private zwischen Professoren untereinander, Studenten untereinander und klassischerweise natürlich auch zwischen Professoren und Studenten stattfindet.
Gerade, weil dieser Abe ein so kaputter Typ ist, wird er für die Damen zum Objekt der Begierde – nicht nur der Chemie-Kollegin Rita (Parker Posey als die schamlos-lüsterne Amerikanerin schlechthin), sondern auch der klassischen intellektuellen Studentin Jill (Emma Stone ist nun Woody Allens „Girl“, wie es einige Filme hindurch Scarlett Johansson war, eine klassische „Muse“ für den alten Filmemacher). Sie stellen ihm nach, er will eigentlich nicht, aber irgendwann… Und für diesen Abe verlassen die Damen auch ihre Männer. Frauen sind schon seltsam.
 
Aber wenn es nur um Sex, die Lust darauf und den Kampf darum ginge, wäre es zu wenig. Abe Lucas möchte seine tiefe Depression überwinden, und leider, leider (Allen zeichnet das psychologisch urkomisch) besteht die einzige Herausforderung, die ihm wieder Lebenslust gibt, darin, den perfekten Mord zu begehen.
Der Mord funktioniert, aber wie die Umwelt ihm doch auf die Schlichte kommt, wie sich alle Gefühle umdrehen, wie die Spannung tiefer und tiefer ins Geschehen kriecht und den Film wirklich zu einem humoristischen Krimi macht, in dem dann – und das ist noch der Über-Drüber-Trick – auch noch philosophisch-ethische Probleme auftauchen, die zu bedenken plötzlich gar nicht mehr so sinnlos erscheint… Darf man morden für den guten Zweck?
Das hangelt sich überzeugend bis zu einer Schlußpointe, die so brillant wie infernalisch witzig ist – da hat man, auch in den typischen Woody-Dialogen, wieder einen seiner sehr guten Filme vor sich, mit leichter Hand und leichtem Kopf auf die Leinwand gebracht.
 
Natürlich ist die Hauptfigur für Woody Allen geschrieben, mit 40 hätte er sie perfekt gespielt, aber er ist 80, und schon seit Jahrzehnten kann er nicht mehr sein eigener Held sein. Daß er ausgerechnet den bulligen Joaquin Phoenix gewählt hat, um „ihn“ zu verkörpern, versteht man nicht recht, da hätte es zahllose passendere Typen auf dem Filmmarkt gegeben. Aber er ist es nun einmal, dunkel und bullig und brummig, was soll man machen, und als Schauspieler gut genug, um das Gefüge des Films nicht in Gefahr zu bringen.
Für Woody-Fans unverzichtbar, auch wenn der 50. Film des nun 80jährigen auch Kritik-Schelte erhielt. Aber wann hätte man sich davon je abhalten lassen?
 
 
Renate Wagner