Gaudeamus igitur!

Heinrich Spoerls „Die Feuerzangenbowle“ in einer wunderbaren Aufführung des Altonaer Theaters

von Frank Becker

„Dieser Roman ist ein Loblied auf die Schule,
aber es ist möglich, daß die Schule es nicht merkt.“
(Heinrich Spoerl)
 
Die Feuerzangenbowle

Nach dem Roman von Heinrich Spoerl
Bühnenfassung: Wilfried Schröder

Altonaer Theater
 
Regie und Bühne: Axel Schneider - Kostüm/Maske: Daniela Kock / Amelie Broich – Musikalische Einrichtung: Olaf Paschner
Besetzung:
Die Schüler der Oberprima: Dietmar Horcicka - (Pfeiffer) - Karsten Kramer (der kleine Luck) - Hubertus Brandt (Rudi Knebel) - Philip Schwarz (Husemann) - Tim Albers (Ackermann) - Thomas B. Franz (Melworm) - Marc Laade (Rosen)
Der Lehrkörper: Klaus Falkhausen (Direktor Knauer) - Torsten Krogh (Bömmel) - Olaf Paschner (Prof. Crey)  
Die Damen: Verena Wolfien (Eva / Marion) - Hannelore Droege (Witwe Windscheid / Oberschulrätin)
 
Es gibt sie längst nicht mehr, diese verträumten Provinzstädtchen „hinter dem Berg“, in denen die Zeit stehen geblieben zu sein scheint und wo die Welt noch in einer Ordnung ist. Man hatte ein humanistisches Gymnasium für die männliche Jugend und ein Lyzeum für die Erziehung der angehenden jungen Damen. Die Schulprofessoren genossen Respekt, soweit es die Pennäler zuließen, Streiche endeten noch harmlos und für Mädchen wurde seufzend geschwärmt.
In genau eine solche Welt läßt Heinrich Spoerl in seinem Roman „Die Feuerzangenbowle“ seinen Helden Johannes Pfeiffer aus Berlin, Verzeihung: Dr. Johannes Pfeiffer, soviel Zeit muß sein, eintauchen, damit er, der gefeierte Schriftsteller, von Privatlehrern erzogen, der nie eine richtige Penne mit richtigen Paukern und richtigen Lausejungs erlebt hatte, dieses unerhörten Glücks doch noch teilhaftig wird. Es ist die aus dem Rausch der Feuerzangenbowle geborene Idee seiner honorigen, lebensälteren Freunde, die alle, wie mein Großvater, mein Vater (noch mit Band und Mütze) und ich eben dieses Glück noch hatten. Man schickt ihn also als Hans Pfeiffer in dieses traumhaft verschlafene Provinzstädtchen Odernitz (Babenberg heißt es auf der Bühne, in der Verfilmung und späteren Auflagen), wo er nun erstmals in seinem Leben die Schulbank drückt und noch einmal als „Schöler Pfeiffer“ sein Abitur machen soll. Hier verschmelzen die Kopf-Bilder der Lektüre mit denen der kongenialen Verfilmung von Helmut Weiss aus dem Jahr 1944, zu der Werner Bochmann die Musik geschrieben hat. Das Drehbuch besorgte übrigens damals Heinrich Spoerl selbst.

Gaudeamus igitur!
 
Und hier setzt auch Wilfried Schröders Bühnenfassung an, die am Freitagabend ein durch die Generationen gemischtes Publikum ins Remscheider Teo Otto Theater lockte. Das Altonaer Theater hatte zu seiner von Intendant Axel Schneider inszenierten Fassung eingeladen – und lieferte in Schneiders gelungener Ausstattung du den Kostümen von Daniela Kock einen literarisch-komödiantischen Abend a la bonheur ab. Sehr dicht an der Roman-Vorlage, aber doch in einer der Bühne geschuldeten einigermaßen freien Bearbeitung und personellen Straffung treten sie (fast) alle auf den Plan: angefangen von der Zimmerwirtin Witwe Windscheid, über Gymnasialdirektor Knauer (genannt Zeus), in dessen blondes Töchterlein Eva sich Hans unsterblich verliebt, Professor Crey (genannt Schnauz), Professor Bömmel, die Herrenrunde und Pfeiffers Verlobte Marion bis zu den Mitschülern Luck, Rosen, Knebel, Husemann und Ackermann hat Heinrich Spoerl ein wunderbares Personal erfunden, das bis heute seine treuen Leser hat und immer wieder neue findet.
Die wichtigsten Schlüsselszenen, vom Heidelbeerwein und dem Dialog Pfeiffer/Zeus („Sie sollen aber denken!“) über die Gesangsstunde und Unterrichtsstunden wie u.a. „Die Dampfmaschin“ bis zur Chartreuse grün, der Baustelle, der anstößigen Tafelzeichnung und Pfeiffers Crey-Kopie sind brillant umgesetzt worden.


Die Oberprima des Babenberger Gymnasiums - Foto: Altonaer Theater


Brillante Umsetzung, köstliches Personal
 
Olaf Paschner, der einen köstlichen Schnauz gibt, hat das Stück, dem das ausgesprochen gut bekommt überdies u.a. mit „Gaudeamus igitur“, „Ännchen von Tharau“, „Wach auf, mein Herzens Schöne“ und „Vögelein im Tannenwald“ aus dem ADKB musikalisch bereichert. Ganz wunderbar füllt Klaus Falkhausen die seriös-komische Partie des Zeus aus, eine elegante Gratwanderung. Liebenswert als rheinisches Original folgt Torsten Krogh als Bömmel den Spuren des unvergessenen Paul Henckels. Die zur Referendarin „beförderte“ Eva („wär est großes Ä Ponkt?!“) übernimmt die Musikstunde – Verena Wolfien macht das äußerst charmant und glänzt auch im kurzen Auftritt als Pfeiffers Verlobte Marion – Hilde Sessak ließ grüßen. Hans Pfeiffer fand in Dietmar Horcicka einen würdigen Darsteller zwischen anfänglich unsicherer Arroganz über die Kameradschaft bis zur beinahe unschuldigen Verliebtheit. Hubertus Brandt als Rudi Knebel, Philip Schwarz als Husemann, Tim Albers als Ackermann („Ackermann schreiben Sä ens Klassenboch“) - Thomas B. Franz als Melworm und Marc Laade als Rosen sind eine herrliche Oberprima.
Hannelore Droege gab der Witwe Winscheid, bei der Hans Pfeiffer als Zimmerherr eine Bude bezieht, eine neue komödiantische Version, so originell und witzig, daß sie mehrfach Szenenapplaus bekam. Den Vogel schoß bei dieser Aufführung einer ab, der sonst oft untergebuttert wird: Karsten Kramer als der kleine Luck. Sein Solo in der szenischen Lesung der „Jungfrau von Orleans“ (im Original wird übrigens „Don Carlos“ gelesen) ist ein Kabinettstückchen, das ihm ebenso wie seine Selbstanzeige bei der Schulleitung „wegen dem Bild“ Heiterkeitsstürme und jubelnden Applaus einbrachte. Köstlich!

Damit wollen wir und bescheiden
 
Lassen Sie mich die letzten Zeilen von Heinrich Spoerls Roman zitieren, der mit seinem Verlag in diesem Jahr übrigens bereits seinen 82. Geburtstag feiern kann:
„Aber nun kommt das traurige Happy End: Hans Pfeiffer ist nicht von der Schule geflogen. Und er hat auch die Eva nicht bekommen. Das ging auch nicht. Denn Hans Pfeiffer war auf gar keinem Gymnasium. Und sein Direktor hatte auch keine Tochter. Hans Pfeiffer war überhaupt niemals in Odernitz. Denn Odernitz gibt es gar nicht. Und solche Gymnasien mit solchen Magistern und solchen Lausbuben gibt es erst recht nicht. Hat es auch niemals gegeben - oder höchstens im Verschönerungsspiegel der Erinnerung.
Hans Pfeiffer, über dessen mangelnde Wahrheitsliebe verschiedentlich geklagt werden mußte, hat die ganze Geschichte von A bis Z erlogen. Frei erfunden wie alle seine Geschichten. Sogar sich selbst mitsamt Marion und Literaturpreis, hat er erfunden.
Wahr an der Geschichte ist lediglich der Anfang: die Feuerzangenbowle.
Wahr sind auch die Erinnerungen, die wir mit uns tragen; die Träume, die wir spinnen, und die Sehnsüchte, die uns treiben. Damit wollen wir uns bescheiden.“      


Wahr sind die Erinnerungen..., die Träume..., die Sehnsüchte... - Foto © atlas Film
Die Abbildung aus dem Film erscheint mit freundlicher Genehmigung von www.goldie-film.de
 
Diese mit meinen eigenen Erinnerungen durchwebte Besprechung widme ich meinem alten Schulfreund Karl-Heinz Biesenbach, mit dem mich seit der Penne in einer ganz ähnlichen Provinzstadt eine lebenslange Freundschaft verband. Mit ihm konnte ich in unserem Stamm-Café (seit Schülertagen) „Schulte“ von den guten alten Zeiten, der Penne, unseren Paukern und den Mädchen unserer Jugend träumen - und wir haben es oft getan. Ihm hätte ich gegönnt, „Die Feuerzangenbowle“ noch einmal zu lesen oder diese Aufführung zu sehen. Er starb im Sommer vor zehn Jahren.
 
Literatur:
Heinrich Spoerl - "Die Feuerzangenbowle" - Eine Lausbüberei in der Kleinstadt
© 1933 Industrie-Verlag u. Druckerei - Verlag der Mittag-Bücherei, Düsseldorf
© 2008 Droste Verlag, Düsseldorf, 216 Seiten, Hln., mit einem Frontispiz des Umschlags der ersten Ausgabe von Otto Pankok und einem Nachwort von Joseph Anton Kruse - 12,95 €
 
Weitere Informationen: www.altonaer-theater.de