Ein Seelentrip

„Die dunkle Seite des Mondes“ von Stephan Rick

von Renate Wagner

Die dunkle Seite des Mondes
(Deutschland, Luxemburg 2015)
 
Regie: Stephan Rick

Mit: Moritz Bleibtreu, Nora von Waldstätten, Jürgen Prochnow, Doris Schretzmayer
 
Als deutschsprachiger Leser liest man Martin Suter gern, ein kluger, unterhaltender Schriftsteller (der auch vor Tiefpunkten nicht gefeit ist, „Montechristo“ war kürzlich ein solcher). Manchmal lächelt er über unsere Zeit („Beresina oder Die letzten Tage der Schweiz“ ist die schönste Schweiz-Satire), manchmal nimmt er sie ernst so wie in  „Die dunkle Seite des Mondes“, ein Roman von 2000, der eineinhalb Jahrzehnte später nun den Weg ins Kino fand. Die Thematik ist aktuell geblieben – hier die blindwütigen Karrieremenschen, dort die Esoteriker, und wo dergleichen zusammentrifft, kann es zu schmerzlichen Konfrontationen und unliebsamen Erkenntnissen über das eigene Ich kommen.
 
Zuerst Urs Blank, der Wirtschaftsanwalt. Einer jener rücksichtslosen Kerle, denen man am liebsten selbst nicht begegnet – er erzwingt Fusionen um jeden Preis, auch wenn sich Leute dann in den Kopf schießen (noch dazu demonstrativ in seinem Arbeitszimmer). Diejenigen, die daran verdienen, nicken ihm zufrieden zu und sorgen, daß er nicht zu kurz kommt.
Freilich, sein Privatleben (mit zickiger Gattin) wirkt nicht sonderlich ersprießlich. Das Abweichen vom allzu glatten Weg des Geldes und der wirtschaftlichen Gewalt, den er unternimmt, als eine junge Frau am Esoterik-Markt sich nur zu leicht abschleppen läßt (bzw. umgekehrt), wirkt glaubhaft: Der Mann möchte, daß irgendetwas anderes in seinem Leben geschieht als das Akten-Zeug, das ihn beherrscht.
 
Irgendein Schloß, irgendwo im Wald, wo ein Grüppchen schräger Figuren mit den seltsamsten „Trips“ experimentiert – und wo Urs Blank dann auch nicht nein sagen will, als man ihm einen seltsamen Pilz anbietet. Nun, jeder „normale“ Kinobesucher, der gemütlich in seinem Sessel da unten sitzt, kann ihm sagen, daß dergleichen ein riskanter Blödsinn ist – Blank muß es ausbaden, plötzlich mit einem eigenen Jekyll-und-Hyde-Bewußtsein konfrontiert zu werden, mit einer Gewaltbereitschaft seinerseits, die er sich wahrscheinlich nie zugetraut hätte (merk’s, offenbar haben wir das alle in uns), die schließlich nicht nur einer Katze, sondern auch einem Menschen das Leben kostet.
Und der chice Anwalt, der plötzlich wie ein Werwolf oder etwas dergleichen Archaisches ruhelos und verzweifelt durch die Wälder zieht, transportiert fabelhaft Suters Aussage: Was wissen wir schon über uns?
 
Und die Frage geht darüber hinaus: War es „nur“ der Pilz, kann man es auf den äußeren Einfluß schieben? Ist es rückgängig zu machen? Und wenn’s nicht der Pilz war, um Gottes Willen….!?! Regisseur Stephan Rick, meist fürs Fernsehen tätig, das ist sein zweiter Spielfilm, bleibt seinem Protagonisten auf den Fersen und erzählt die Geschichte hitzig aus seiner erst leeren, dann ehrlich verzweifelten Seele heraus. Und Moritz Bleibtreu kann das, vom geschniegelten Anzugsträger bis zum Gehetzten, der die Geister, die er rief los werden will – und es nicht kann.
Obwohl mit der Pilzgeschichte nicht direkt verbunden (oder?), liefert Jürgen Prochnow als Pius Ott das Porträt eines jener skrupellosen Konzernchefs, die wissen, daß sie nur befehlen müssen, und alles, was sie verlangen, geschieht… Wenn nicht, wenn ein Mann wie Urs Blank plötzlich ein Gewissen bekommt (was bei finanziellen Aktionen in der Pharma-Industrie höchst unerwünscht ist), dann muß er such die Folgen tragen.
 
Zwei Frauen, wie sie gegensätzlicher nicht sein können: Nora von Waldstätten, das seltsame Pilz- und Trip-Geschöpf, Doris Schretzmayer, die coole, abgebrühte Ehefrau eines Mannes, von dem sie nichts hält – zu dessen Hilfe sie aber doch kommt. Rundum Gestalten, die (vom befreundeten Arzt über einen Guru bis zur Vermieterin in einem einsamen Waldgasthaus) zwischen Realität und Irrealität changieren. Es ist kein schriller Psychothriller amerikanischen Zuschnitts, den man hier bekommt, aber ein Seelentrip, an dem man nachdrückliches Interesse nimmt… weil die Fragestellung so heutig, ja, eigentlich im Grunde so ewig ist: Wozu bin ich imstande?
 
 
Renate Wagner 12.1.16