Alles hier ist Klischee

„Familie zu vermieten“ von Jean-Pierre Améris

von Renate Wagner

Familie zu vermieten
(Une famille à louer) 
(Belgien 2015)

Regie: Jean-Pierre Améris
Mit: Benoît Poelvoorde, Virginie Efira, Calixte Broisin-Doutaz, Pauline Serieys, Edith Scob u.a.
 
Benoît Poelvoorde ist zwar schon seit einem Vierteljahrhundert im Filmgeschäft, aber der große Erfolg kam mit „Nichts zu verzollen“ 2010, als er mit Dany Boon französisch-belgische Grenzkonflikte auf Menschenebene so amüsant wie satirisch und gescheit behandelte. Mittlerweile ist der Belgier Poelvoorde nicht nur in französischen Filmen omnipräsent, sondern auch in belgischen – von denen es manch einen vielleicht nur seinetwegen gibt.
Er ist ein sperriger Typ, der im Grunde unliebenswürdig wirkt, und darum ist man seltsam berührt, ihn nun auch auf der zuckerlrosa, bittersüßen Komödienwelle zu finden, die uns schon seit langem immer wieder aus Frankreich erreicht, Filme, in die man wegen der hervorragenden Schauspieler hineingeht und wegen der schlechten, billig spekulierten Drehbücher verbittert verläßt. „Familie zu vermieten“ ist ein belgischer Film, der ganz auf dieser Linie liegt.
 
Alles hier ist Klischee. Poelvoorde spielt Paul-André Delalande, einen Vierzig-plus-Geschäftsmann, der sich dennoch aus dem aktiven Berufsleben zurückgezogen hat, weil er so unverschämt reich ist, wie jeder es gerne sein möchte (sich nie wieder über irgendetwas den Kopf zerbrechen müssen!). Aber, wie es schon so ist – Geld allein macht nicht glücklich, das weiß man ja (das soll die Armen trösten). Nein, es nützt nichts, nicht das modern kühle Haus, nicht das Auto mit Butler / Chauffeur, nicht… na, was immer er eben hat.
Im Fernsehen sieht er es: Die entzückende Blondine, attraktive Spät-Dreißigerin, die rabiat ist, weil man sie beim Ladendiebstahl erwischt. Schließlich muß sie doch ihre Kinder ernähren. Kinder! Das große Glück! Familie! Das einzige, was zählt im Leben!
Unser Millionär ist gerührt. Genau so etwas will er auch haben. Eine Familie. Aufbruch zur schönen, blonden Violette Mandini. Und nun könnte es losgehen…
Zugegeben, der Film reißt thematisch eine Menge an. Die altbekannte Tatsache, daß die Reichen keine Ahnung haben, wie das Prekariat lebt. Das ist schon immer wieder ein Kulturschock, denn im Gegensatz zu anderen Filmen holt der Reiche nicht die Armen zu sich und macht sie staunen angesichts seiner Welt. Eine Frau, die sich mit zwei Kindern (eine Teenager-Tochter und einem Sohn im Volksschulalter) durchbringen muß, die steht mit beiden Füßen im Leben. Die läßt sich auf nichts ein. Wenn Paul-André zu ihnen ziehen möchte, Drei-Monats-Vertrag, er steuert eine gewisse Summe bei, ist es ihr recht. Da kann er Familie an Ort und Stelle genießen.
 
Und da ist nicht nur der Schock, wie „diese Leute“ leben (mal abgesehen von dem herumliegenden Dreck, der ihn so nervös macht, daß er Gummihandschuhe und Küchenschürze zwecks Reinigungsaktion anlegt). Da sind zwei Kinder für einen Ruhegewohnten auch ziemlich laut und anstrengend. Merkst Du’s, lieber Reicher, daß das angeblich so Erstrebenswerte so herrlich nicht ist?
Das Drehbuch rüttelt ein bißchen herum, aber dann wird es ganz brav: Nicht nur, daß sich erst Violette in den Paul-Andre verliebt und dann er in sie, die Kinderlein sind bei näherer Bekanntschaft eigentlich auch reizend. Wer weibliche Teenager kennt, wird Töchterchen Lucie, immer die Nase im Buch, für ungewöhnlich „anders“ halten. Und Söhnchen? Der ist schon einmal, der politischen Korrektheit wegen, halb schwarz (oder wie immer man das heute nennt). Ein entzückender Bengel, dem die Locken nur so vom Kopf wegstreben, der schnell bereit ist, sich einem Mann anzuschließen, und zum liebevollen Söhnchen wird, wie man es sich nur wünschen kann. Da macht es nicht einmal etwas aus, daß Violette eine zahlreiche Familie hat, mit der man jedes Wochenende picknicken soll.
Wenn man dann auch noch Paul-Andrés ganz böse Mutter besucht hat (die eigentlich nur hilflos ist), angeblich schuld an seiner Herzenskälte, wenn klar ist, daß seine Exfreundin nicht mehr zählt, wenn man sich auch noch genug gestritten hat (warum muß Violette nur immer zu ihren One-Night-Stands aufbrechen?) – dann steht dem Happyend nichts im Wege.
Alle Probleme sind eigentlich keine. Amor vincit omnia. Zumindest, wenn man es auf Latein sagt. Und wieder ist alles nur „Feelgood“ und von jeder echten Problematik abgerückt. Ja, und gute Ratschläge für die Hausfrau gibt es auch noch – werde Deine eigene Unternehmerin, mach Blumen- und Obstgestecke für Festivitäten! Nie wieder soll Violette Putzfrau sein müssen!
 
Regisseur Jean-Pierre Améris drückt sie alle den Kinobesuchern ans Herz, daß man fast erstickt: Wie der schroffe Junggeselle schmilzt, herrlich – wer hätte je bezweifelt, daß Benoît Poelvoorde alles kann? Welch Wunder von einer nicht mehr ganz jungen, aber strahlenden Blondine diese erquickende, liebenswerte Virginie Efira ist! Und Söhnchen Auguste (Calixte Broisin-Doutaz) und Tochter Lucie (Pauline Serieys) – das wünschte man sich in der Familie. Selbst der „bösen“ Madame Delalande (Edith Scob) kann man noch etwas abgewinnen.  
Und wieder einmal ist man wegen der Schauspieler ins Kino gegangen und versucht, sich über so viele Klischees nichts allzu sehr zu ärgern. Von wegen Traumfabrik! Heute noch?
 
 
Renate Wagner