Trine Dyrholm ist ein Erlebnis

„Die Kommune“ von Thomas Vinterberg

von Renate Wagner

Die Kommune
(Kollektivet -  Dänemark 2016)

Drehbuch und Regie: Thomas Vinterberg
Mit: Trine Dyrholm, Ulrich Thomsen, Helene Reingaard Neumann, Martha Sofie Wallstrøm Hansen u.a.
 
Der 46jährige Däne Thomas Vinterberg ist stark im Film und weniger im Theater unterwegs. Aber im Fall von „Die Kommune“ kann das Wiener Theaterpublikum (als einziges) von sich behaupten, das Stück früher zu kennen als die Kinobesucher der Welt, denn es wurde 2011 am Akademietheater uraufgeführt, seither allerdings nirgends nachgespielt. Denn es war trotz brillanter Besetzung nur ein mäßiger Erfolg, und es scheint, daß alle Schwächen, die man damals bemerkt hat, sich in die Filmfassung hineingeschleppt haben, die heuer bei der Berlinale gezeigt wurde.
Tatsache ist, daß es nur im geringsten Ausmaß um das im Titel postulierte Thema geht. Als Erik und Anna samt 14jähriger Tochter Freja beschließen, das Riesenhaus, das Erik in einem Vorort von Kopenhagen geerbt hat, einer Kommune zu öffnen, wird diese Aktion schon in der Motivation völlig unzureichend ausgeführt. Dann ziehen ein paar schräge Gestalten bei ihnen ein, von denen man so gut wie gar nichts erfährt und die im Verlauf des Geschehens auch nur sehr vage eine Rolle spielen.
 
Was an dem damals – wir sind in den siebziger Jahren, die Erwähnung des Vietnam-Krieges gibt zumindest einen Zeitrahmen, es wird dauernd geraucht und gibt keine Handys und Computer – so virulenten Experiment „Kommune“ als Möglichkeit und Unmöglichkeit des Zusammenlebens spannend war, kann nicht durch den Hinweis befriedigt werden, daß mehr Bierflaschen fehlen als zugegebenerweise getrunken wurden… Von der Praxis dieser Raum- und Lebensteilung erfährt man ebenso nur Rudimentäres. (War das nicht auch ein Schnorrer- und Schmarotzer-Konzept?)
Tatsächlich entwickelt Vinterberg ohnedies nur eine – zugegeben sehr spannende – Dreiecksgeschichte. Die könnte glatt auch ohne „Kommune“ so letal werden, überall, wo ein egozentrischer Mann verlangt, daß er eigentlich beide Frauen haben möchte, und sie mögen sich doch bitte um Gottes Willen vertragen, ist denn das so schwer. So steht es schon in Goethes „Stella“, und vielleicht denkt sich hier mancher westlicher Mann, die Moslems haben’s leichter. Da werden die Frauen gar nicht gefragt, ob sie teilen wollen, und die Männer müssen sich nicht – bis zum Wutausbruch – dauernd mit Weiberproblemen befassen, wo sie doch eigentlich arbeiten sollen. Wie geht denn das, wenn man dauernd emotional belästigt wird?
Das ist das Problem. Erik, der Architekt, der als Dozent in der Universität arbeitet, und Anna, die allseits populäre, souveräne Fernsehsprecherin, werden als fast ideales Paar (ob Ehepaar, ist nicht ganz klar), eingeführt. Und die Tochter (Martha Sofie Wallstrøm Hansen mit schier unglaublicher „seelischer“ Ausstrahlung) ist in der Folge auch noch die einzige, der Stück und Regie eine gewisse liebevolle Anteilnahme zuwenden. Ja, und natürlich der Geliebten, die vermutlich immer so ideal gedacht war, nicht nur, weil sie von der Gattin des Regisseurs gespielt wird.
 
Thomas Vinterberg hat hier nach „Das Fest“ (1998 im Kino) zum zweiten Mal ein von ihm verfaßtes Theaterstück verfilmt. Die „Dogma“-Regeln, die er, Lars von Trier und andere skandinavische Regisseure als „Dogma 95“ viel beachtet einst aufgestellt haben, gelten in ihrer Filmarbeit nur noch bedingt, jedenfalls sind wir von den realistischen Wackelkameras befreit. Daß an Originalschauplätzen gedreht wird, war hier nicht schwer, außer der großen Villa gibt es noch Straßenszenen, Szenen im Fernsehstudio, am Meer (wo die ganze Bande nackt ins Wasser springt), also alles vermutlich leicht bereitzustellen. Die Echtheit des Hier und Heute (wenn man als Heute die eigene Vergangenheit etwa 40 Jahre zurück nimmt) ist gegeben.
Und die Darsteller sind vorzüglich, wobei jene der „Kommunarden“ eigentlich auf eher leere Typen hinauslaufen, die – wie gesagt – nie wirklich zu Personen werden, die man zu kennen meint. Erik hingegen schon: Ulrich Thomsen, der schon im „Fest“ und in ein paar internationalen Produktionen dabei war (und manchmal so verbissen aussieht, wie auch Laurence Olivier es konnte), spielt den Mann zwischen zwei Frauen mit jener Gequältheit, die dem Täter eine gewisse anklägerische Attitüde verleihen. Er ist von Anfang an nicht wirklich der sanftmütige Kommunarden-Typ, aber er fährt zu großer Kraft und Wut auf, wenn er bereit ist, mit Karacho alle rauszuschmeißen, falls er seine Freundin nicht kriegt.
Diese wird von Helene Reingaard Neumann (sie ist mit Regisseur Vinterberg verheiratet) als reizvolles Geschöpf mit Herz, Seele und Verstand gespielt, aber doch eine Frau, die zu ihrer Liebe steht und nicht weicht. Obwohl man es innerlich von ihr verlangen würde, denn die abgelegte Ehefrau, die (und das ist ungemein schmerzhaft) am Ende aus der Kommune gewiesen wird, um das Zusammenleben der anderen nicht zu stören (!), geht daran zugrunde, daß man ihr den Mann und ihr Leben (und in der Folge auch den Beruf, für den sie nicht mehr die Nerven hat) wegnimmt. Nein, man kann den Liberalismus der „freien Beziehungen“ nicht weiter treiben, als Menschen es zu ertragen vermögen…
Wie Trine Dyrholm diese Anna spielt, von der strahlend-selbstbewußten Frau des Beginns bis zur zerstörten Frau des Endes, die nur mit Mühe beim Abgang noch etwas Würde wahrt, nachdem  man ihrem Zusammenbruch erschüttert zugesehen hat – das ist ein Erlebnis. In Berlin gab es dafür heuer den „Silbernen Bären“ als beste Darstellerin. Mehr als verdient. Sie hält einen dramaturgisch gewaltig wackelnden Film zusammen.
 
 
Renate Wagner