Der Reiz ist längst verflogen

„X-Men: Apocalypse“ von Bryan Singer

von Renate Wagner

X-Men: Apocalypse
(USA – 2016)

Regie: Bryan Singer
Mit: James McAvoy, Michael Fassbender, Jennifer Lawrence, Oscar Isaac u.a.
 
Es gibt Fachleute für alles, also werden unter den profunden Kennern der Marvel-Comics auch Leute sein, die den reichen Kosmos der „X-Men“ im kleinen Finger haben und herunterbeten können, welcher von den seltsamen Mutanten über welche seltsamen, unirdischen Fähigkeiten verfügt (ob gewaltige Blitze aus den Augen schleudern oder mit gewaltigen Engelsflügeln durch die Lüfte zu schweben und vieles Abstruse mehr).
Für den Nicht-Comic-Gebildeten, der die „X-Men“ nur vage aus vielen, vielen, kaum unterscheidbaren Filmen in Erinnerung hat, wird vor allem eines feststehen – daß es „Professor X“ im Rollstuhl gibt (einst Patrick Stewart, mittlerweile, weil man in die jugendlicheren Jahre der Protagonisten gerutscht ist, James McAvoy), einen mystischen Herren namens Magneto (einst Ian McKellen, nun mit Michael Fassbender auch so hochkarätig wie nur möglich besetzt). Wolferine und Raven / Mystique haben sich wohl auch vor allem durch ihre starken Besetzungen mit Hugh Jackman und der mittlerweile „Oscar“-gekrönten Jennifer Lawrence ins Gedächtnis geprägt, und andere Darsteller sind – wenn man sich dumpf an die Anfänge der Filme vor eineinhalb Jahrzehnten zurück erinnert – mittlerweile aus den Besetzungslisten verschwunden (gab es da nicht einmal die schöne Halle Berry?).
Egal, was man sagen will – das Chaos herrscht in den Köpfen der Nicht-Eingeweihten, aber offenbar auch in dem der Filmemacher. Weil „X-Men“ offenbar immer noch ein Begriff ist, der die Kassen füllt, muß ein Film nach dem anderen herausgestoßen werden, egal, welche Geschichte man erzählt, beziehungsweise ob überhaupt etwas zu erzählen ist. Für den ewigen Kampf um die Weltherrschaft ist doch eigentlich James Bond zuständig?
Aber Tatsache bleibt, daß man mit Bryan Singer nun einen Regisseur hat, der als „Fachmann“ für diese Filme gilt, und daß höchstkarätige Schauspieler, die in wenig kommerziellen Produktionen „Oscar“-reife Darstellungen abliefern, offenbar bereit sind, hier für das große Geld und den großen Ruhm auch Blödsinn zu spielen.
Sie stehen sich wieder gegenüber – Professor X im Rollstuhl, der irgendwo in England seine Mutanten-Schule leitet, wo die Fähigkeiten dieser Mensch-Magie-Mischwesen (die von den Echtmenschen dermaßen verfolgt werden! Die wahre Außenseitergeschichte!) gepflegt und reguliert werden wollen: James McAvoy bekommt allerdings diesmal nicht allzu viel zu tun.
Dagegen wird die Vorgeschichte von Magneto ausgebreitet. Warum ein Mann mit seinen Fähigkeiten („magnetisch“, wie der Name sagt, alles Metall ist ihm untertan) unbedingt in einem polnischen Kaff in einer Fabrik arbeiten will, in bescheidensten Verhältnissen mit Frau und kleiner Tochter lebend – nicht fragen. Es geht ohnedies alles schief, als man seine Fähigkeiten entdeckt, die Polizei hetzt ihn, die Familie kommt ums Leben, er wird wieder Magneto: Michael Fassbender, einer der besten Schauspieler unserer Zeit, macht dazu ein verhaltenes Gesicht, was soll er sonst tun?
Wie gut sich Professor X und Magneto eigentlich verstehen, werden die X-Men-Fachleute differenziert erklären können (nicht so gut?), diesmal schmiedet sie jedenfalls ein gemeinsamer Feind zusammen: Er heißt „Apocalypse“ (wie der Film) und ist so uralt, daß man sich zu Beginn des ganzen Unternehmens in einem Spin-Off von „Die zehn Gebote“ wähnt: Man ist nämlich im pittoresken Uralt-Ägypten, mit allem, was dazu gehört, Pyramiden, Tempel, geheimnisvolle Rituale, prunkvolle Gewänder und ein mächtiger alter Mann namens En Sabah Nur, der Unsterblichkeit erlangen will, indem sein Geist in einen jungen Körper eingeht.
Der Ur-Mutant (weiß der Teufel, was da schief gegangen ist) wird jedenfalls von irgendwelchen Archäologen ausgebuddelt und wieder zum Leben erweckt, und dann kann Oscar Isaac mit starrer Miene anfangen, nach der Weltherrschaft zu greifen. Und der Film mutiert seinerseits zur Materialschlacht ununterbrochener Kämpfe, wo dann die einzelnen Mutanten-Fähigkeiten zu allerlei Späßchen führen.
Nicht allerdings, daß diesen Nebenfiguren viel Aufmerksamkeit gewidmet würde – man sähe kaum genauer auf das blaue Gesicht von Mystique, wäre sie nicht ohne die „Maske“ Jennifer Lawrence. Und manche werden in Jean Grey Sophie Turner erkennen, weil sie schließlich in „Game of Thrones“ auftritt. Aber allzu viel vermelden hat niemand. Unter Wirbel, Action und Lärm versinkt wieder einmal ein Film, der keinen tieferen Zweck hat als an den Kinokassen zu reüssieren. Der Reiz, der diese „X-Men“ anfangs durchaus umgeben hat, ist längst verflogen.
 
 
Renate Wagner