Ein arger Magen-Umdreher

„The Neon Demon“ von Nicolas Winding Refn

von Renate Wagner

The Neon Demon
(USA / Dänemark – 2016)

Drehbuch und Regie: Nicolas Winding Refn
Mit: Elle Fanning, Jena Malone, Bella Heathcote, Abbey Lee, Keanu Reeves, Christian Hendricks, Desmond Harrington, Alessandro Nivola  u.a.
 
Man sollte vorausschicken, daß der Däne Nicolas Winding Refn (affektierterweise läßt sich der Mittvierziger gerne NWR nennen) schon auf sich aufmerksam gemacht hat – mit ausgesprochen „schrägen“, keiner normalen Dramaturgie folgenden Filmen wie jenen mit Ryan Gosling als Hauptdarsteller, „Drive“ und „Only God Forgives“. Aber einen so spektakulären Film wie „The Neon Demon“ hat er noch nie gedreht. Das hat sicher mit den Thema zu tun, denn obwohl nicht neu, sind – versprochene – Einblicke in die wahnwitzige Welt der Models doch immer von Interesse. Und es liegt auch an Refns Styling, der den Mode-Kosmos – ob Fotografie, ob Laufsteg, man gibt sich zwischen künstlerisch und künstlich – in einer ihr entsprechenden Formensprache umsetzt.
Vor allem aber bietet er eigentlich zwei Filme – was wie eine kritische Schilderung einer Branche beginnt, endet in schrillem Horror, voll von Schockeffekten zwischen Mord, Nekrophilie und Zitaten des absurden Kinos. Das alles, wie erwähnt, in „Hochglanz“ und brillant gemacht. Ein Hit, weil es sich an junge Yuppies wendet (die es ja wohl noch gibt, wenn auch mittlerweile wohl unter anderen Bezeichnungen).
Zuerst meint man, es sei allein die Geschichte von Jesse – die Sechzehnjährige, von der man nichts Genaues erfährt. In ihrer ersten Einstellung liegt sie blutbefleckt und blumengeschmückt auf einem Sofa, möglicherweise ihr erster Auftrag als Model. Sie ist nach Los Angeles gekommen, ihre Eltern leben angeblich nicht mehr, sie wohnt in einem mehr als herabgekommenen Motel, hat sich einen ambitionierten, aber menschlich soliden jungen Fotografen (Karl Glusman) angelacht – und will es im Big Business schaffen.
 
Blondinchen Elle Fanning (man kennt sie, weil sie neben einer „bösen“ Angelina Jolie das zarte Dornröschen gespielt hat) ist nicht viel älter als das Kind-Frauchen, das sie verkörpert, und sie hat mit ihrem Blondhaar und dem absolut naiven Gesichtsausdruck exakt jene Ausstrahlung, die NWR (tun wir ihm den Gefallen, nennen wir ihn so, es ist auch kürzer) vermitteln will: Sie ist inmitten der vielen üblichen Model-Schönheiten das Besondere. Wie sagt doch ein Modeschöpfer? Schönheit ist nicht alles, Schönheit ist das Einzige. („Beauty isn’t everything. It’s the only thing!“) In seiner Welt gewiß.
Und so erleben wir zuerst, die die Mitwelt auf diese Schönheit reagiert. Die Maskenbildnerin Ruby (man ahnt anfangs noch nicht, wie wichtig sein wird) mit eindeutig lesbischen Gelüsten. Die Agenturchefin (Christian Hendricks) mit dem sicheren Auge, daß man hier mit diesem Geschöpf viel Geld machen kann. Der Fotograf (Desmond Harrington) mit künstlerisch-perverser Gier (ohne daß genau gezeigt wird, was er mit der Nackten macht). Der Modeschöpfer (Alessandro Nivola), der für keine der Frauen, die zur Fleischbeschau vor ihm paradieren, einen Blick hat – bis Jesse kommt. Und die anderen Models – zwei von ihnen stehen für die „üblichen“ Gesichter, die auch nicht schlecht sind (Bella Heathcote und Abbey Lee, typisch für die künstliche „Schönheit“) – mit blankem Neid und panischer Angst, daß man ihnen etwas wegnimmt. Die ganz Junge hat alle Chancen in einer Welt, wo man mit über 20 schon anfängt, zum alten Eisen zu gehören…
 
Während Jesse schier unbeteiligt – freundlich zu den Konkurrentinnen, unbeweglich den Mächtigen gegenüber – durchs Geschehen schreitet, fragt man sich, was sie empfindet: Zweifellos will sie um jeden Preis Karriere machten, zweifellos weiß sie um ihren Status als die Super-Schönheit, und ohne Wimpernzucken entläßt sie den aufopfernd-rührenden Fotografen-Freund, als er nicht in die neue Welt paßt. Man könnte es für eine extrem langsame, geschmäcklerische, dabei nicht unkritische Geschichte eines Model-Aufstiegs halten…
… bräche der Film nicht in der Mitte brutal auseinander. War es noch real, oder schon symbolisch zu nehmen, daß Jesse in ihrem schäbigen Motel offenbar die Zimmertür aufgelassen hat und sich ein streunendes Raubtier darin findet? Daß eine Modelkollegin in verzweifelter Wut in der Toilette den Spiegel zerschmeißt und Jesse sich an den Splittern die Hand verletzt? Daß der grenzenlos schäbige Motel-Besitzer eine jugendliche Bewohnerin belästigt, ja, möglicherweise (es hört sich durch die Wand so an) umbringt (nachdem Jesse bereits lüstern geträumt hat, von ihm fast getötet zu werden, indem er ihr ein Messer tief in den Mund steckt) – man ist bereit, es zu glauben, so wie Keanu Reeves ihn spielt. Eine Verbrecher-Visage.
Und dann wird es gruselig. Jesse wendet sich in ihrer Not an Ruby, die Maskenbildnerin – herrlich, wie zwar durchaus „lesbisch“, aber normal und erdverbunden Jena Malone wirkt. Dann ist der folgende Schock noch stärker…Ruby lebt in einem der prunkvollen Funeral Houses und verdient sich ein Zubrot dabei, die Leichen zu schminken. Erst will sie die zu ihr geflohene Jesse zum Sex zwingen, wird aber abgewiesen. Dann, und das ist eine fast nicht anzusehende Szene, vergreift sie sich an der Leiche einer mittelalterlichen Blondine, die da darauf wartet, von ihr verschönt zu werden…
Nichts verwundert mehr, nicht Mord, nicht die irrationale Idee, eine Leiche aufgegessen zu haben (Körper, um die sich hier alles dreht, müssen vernichtet, verschlungen werden – real, wenn jemand dann einen Augapfel ausspuckt?), nicht die Möglichkeit, sich noch an der im Erdgrab liegenden Toten zu vergehen… so genau zeigt NWR nicht, was vorgeht, und das macht es noch schlimmer. Oder er hält die Kamera ganz cool darauf in einer „Schlußpointe“, die auch nicht leicht zu verkraften ist. Daß niemand nach einer Verschwundenen fragt, gehört zu den Seltsamkeiten der Geschichte, die irgendwie versickert, nachdem sie mit ihrem teils angedeuteten, teils auch ganz realen Horror dem Zuschauer den Magen umgedreht hat…
Na ja, schräg war er ja schon immer, dieser NWR, diesmal hat er es eben noch ein Stück weiter getrieben.
 
 
Renate Wagner