Schuld und Gewissen

Donna Leon – „Ewige Jugend“ (Commissario Brunettis fünfundzwanzigster Fall)

von Frank Becker

Schuld und Gewissen

Donna Leon hat zum 25. Brunetti-Jubiläum ein höchst gelungenes neues Krimi-Bonbon vorgelegt, das in der Kriminal-Literatur bewegende wie moralische Akzente setzt.
Auf Bitten von Contessa Lando-Continui, einer Freundin seiner Schwiegereltern, nimmt Guido Brunetti die nahezu verschütteten Ansätze eines Falles auf, der vor 15 Jahren von der Polizei als Unglück verbucht und zu den Akten gelegt worden war. Manuela, die damals 15jährige Enkelin der Contessa, war nicht weit von zu Hause in den Canale di San Boldo gestürzt und zwar gerettet worden, hatte jedoch durch zu langen Sauerstoffmangel einen bleibenden Hirnschaden erlitten, der sie auf die geistige Stufe eines siebenjährigen Kindes zurückwarf – einen Zustand, in dem die jetzt 30jährige junge Frau seitdem gefangen ist.
Die Contessa, eine alte Frau, die ihr Lebensende nahen sieht, möchte Gewißheit darüber bekommen, was damals wirklich geschah, denn es gibt auch vage Hinweise darauf, daß es vielleicht doch ein Verbrechen gewesen sein könnte.

Schöngeist Brunetti, wie immer tatkräftig von Inspektor Vianello und Signorina Elettra Zorzi, der Sekretärin seines Chefs unterstützt, ermittelt in der Vergangenheit und den Tiefen der Erinnerung derer, die noch befragt werden können. Die Widerstände Vicequestore Pattas und des intriganten Leutnant Scarpa sind dabei das geringste Problem. Als besonders hilfreich erweist sich die Mitarbeit von Commissario Claudia Griffoni, der schönen Neapolitanerin, die durch ihr Pferdewissen wichtige neue Spuren aufnehmen kann – denn auch ein Reiterhof in der Nähe Venedigs spielt eine Rolle.
Als Brunetti anhand einer alten Krankenakte entdeckt, daß Manuela vor ihrem Tod vergewaltigt worden war und der einzige noch erreichbare Augenzeuge ihre vermeintlichen Unfalls, der Trinker Pietro Cavani, der damals im Vollrausch das Mädchen aus dem Wasser gezogen hatte, kurz vor seiner erneuten eingehenden Befragung ermordet wird, ist Brunetti und seinen Kollegen klar: hier bestehen Zusammenhänge. Eine aufwühlende Begegnung Manuelas, Brunettis und Griffonis auf der Straße schließlich gibt den Ermittlungen die entscheidende Wendung.

Donna Leons Roman läßt den Leser genauso wenig los, wie der Fall den Commissario. Man mag nicht absetzen und tut es nur widerwillig, wenn es nötig wird (zur Nahrungsaufnahme, zum Schlafen etc.). Daß Donna Leon hier erstmalig auch konkret einen aktuellen Fall zitiert, nämlich die Havarie des Luxusdampfers „Costa Concordia“, ist ungewöhnlich, zeigt aber ihre nachhaltige und verständliche Empörung über das gewissenslose und feige Verhalten des Kapitäns Francesco Schettino. Denn in diesem Roman geht es um genau das: Schuld, Moral und Gewissen. Eine Empfehlung der Musenblätter.
 
Donna Leon – „Ewige Jugend“
Commissario Brunettis fünfundzwanzigster Fall
© 2016 Diogenes Verlag, 336 Seiten, Ganzleinen m.SchU, ISBN 978-3-257-06969-3
24,- €
 
Weitere Informationen: www.diogenes.ch