Dortmund: Großer Opernabend

Christine Mielitz inszeniert „Cavalleria Rusticana & I Pagliacci”

von Peter Bilsing

Großer Opernabend in Dortmund

Christine Mielitz inszeniert
„Cavalleria Rusticana & I Pagliacci”

Premiere 2.2.2008

Musikalische Leitung: Ekhart Wycik - Inszenierung: Christine Mielitz - Bühne: Harald Thor - Kostüme: Dorothee Schumacher - Choreographie: Adriana Naldoni - Dramaturgie: Dr. Christian Baier  - Fotos: Thomas M. Jauk/Stage Pictures

Pietro Mascagni: Cavalleria Rusticana

Melodram in einem Aufzug Dichtung von Giovanni Tarioni -Tozzetti und Guido Menasci 
Santuzza: Valerie Suty - Turiddu: Charles Kim - Lucia: Ji Young Michel - Lola: Maria Hilmes
- Alfio: Simon Neal

Leoncavallo: I Pagliacci (Der Bajazzo)

Drama in zwei Akten und einem Prolog Dichtung vom Komponisten
Canio, Bajazzo: Stefan Vinke - Nedda,Colombine: Sylvia Koke - Tonio, Taddeo: Simon Neal - Beppo, Harlekin: John Heuzenroeder - Silvio: Aris Agiris

Ekhart Wycik bravourös

Vor gerade einmal zehn Jahren gab es die letzte Inszenierung dieses populären Naturalismus-Reißers in Dortmund. Damals hatte der Dirigent Hillary Griffith noch beträchtliche Mühe mit dem Orchester und einer bühnenadäquat spannungsvollen musikalischen Umsetzung. Dieses Mal war es anders: Ekhart Wycik, stellvertretender GMD und 1. Kapellmeister, trumpfte mit dem Dortmunder Orchester geradezu auf. Er war das stringente musikalische Zentrum der Produktion, Maestro und Spielmeister, der alles Musikalische bravourös zusammenhielt. Das Orchester zeigte, was es, gut motiviert, zu leisten imstande ist. Und hier ist (auch nach der von mir besprochenen sehr guten „Verkauften Braut“) mittlerweile eine Spitzenposition über den NRW-Raum hinaus durchaus avisiert. Mit großem dramatischen Verve, genügend Italianitá und einem stetig brennenden veristischen Feuer lotete Wycik alle Schönheiten der Partitur in wunderbarer lyrischer Sentimentalität, aber auch großsinfonischen dramatischen Bögen perfekt aus. Ein Sonderlob den Blechbläsern!

Christine Mielitz´ Konzept schlüssig

Christine Mielitz überzeugte mit einem schlüssigen und überzeugenden Regiekonzept, welches am Ende beim Publikum nicht nur einhellige Zustimmung fand, sondern auch zurecht uneingeschränkt bravourösen Jubel auslöste. Ein in jeder Hinsicht überzeugend spannender Musiktheaterabend, der im NRW-Umfeld, zur Zeit, seinesgleichen sucht.

Die CAVALLERIA kam im Stil streng ritualisierten Griechischen Theaters daher. Beklemmend und in durchgehender schwarz-weiß Chromatik bewegte man sich in einer choralen, schon beinah


Neal, Suty, Kim - Foto © Thomas M. Jauk/Stage Pictures
oratorienhaften düsteren Atmosphäre eines antiken Dramas. Zentrum der Bühne war ein Podest, fast eine kleine Arena, eingerahmt rechts von einer hohen Mauer und links von einer aquädukt-ähnlichen durchsichtigen Riesenwand, welche Säulen, Fensteröffnungen und Türen stilisierte - dahinter eine breite Treppe.
Oben auf der Betonwand beobachtende, teilweise abgewandte Dorfbewohner, meist Männer, die das Treiben unten im Dorfe abfällig, uninteressiert, unberührt und kalt wahrnahmen. Noch unterhalb des Podestes, auf dem zu Beginn ein großes Kreuz im Rahmen düster flackernder Osterfeuer montiert wird, lebt die verzweifelte Santuzza als Ausgestoßene in selbstgewählter Verbannung. Sie nimmt an den Osterritualien nicht teil, später wird sie das Kreuz umstoßen. Sie vegetiert unbeachtet wie ein streunender Hund. Ein Mensch, den man zwar sieht, dem aber die Dorfgemeinschaft keinerlei Bedeutung zumißt. Nur einer gönnt ihr kurzfristige Beachtung: Alfio, wenn sie ihm die Untreue seiner Gattin Lola verrät.

Der Rest ist Ritual, ist traditionelle Vollstreckung barbarisch eherner Dorfgesetze. Das weiß auch Turridu, und so wirft er in einem grandios inszenierten Finale auf offener Bühne sein Messer zur Seite und bietet Alfio die Kehle an. Der Mord ist nur die stringente logische Vollstreckung der Todesstrafe, die solcherlei Vergehen nun einmal nach sich zieht. Die untreue Lola wird standesgemäß als nächste folgen, das ist hier schon klar. Ein Finale, das unter die Haut zeitlich mitdenkender Menschen geht.

Fünf Sterne - ohne Einschränkung!

Neben einer exzellenten Lichtregie beeindruckte auch und vor allem der bestechende Bühnenraum, den Harald Thor geradezu kongenial für die Mielitzsche Handlungs-Dramaturgie entworfen hat. Die mit Abstand beste und dichteste Inszenierung, die ich von der Regisseurin Christine Mielitz bisher gesehen habe. Für diese ungeheuer unter die Haut gehende Arbeit und die fantastische Ensembleleistung: 5 Sterne ohne Einschränkung!

Beim BAJAZZO ist, schon der Musik entsprechend, grellbunte Farbigkeit angesagt. Der Prolog spielt vor dem großen geschlossenen Theatervorhang. Danach zeigt uns die Regie das heftige und


Vinke, Heuzenroeder, Koke
Foto © Thomas M. Jauk/Stage Pictures
hektische bunte Treiben einer fiktiven Kleinstadt-Gesellschaft, zeitlich irgendwo in den 50er Jahren angesiedelt. Zwei Tribünen umrahmen ein Theaterpodest, ähnlich einem Boxring, auf dem sich später die Comedia-Szenerie in einem kleinem roten Theaterzelt entwickeln wird.
Zum bunten Treiben der Anfangsszenen gibt es neben den vielen realen noch weiträumige Projektionen fliegender Luftballons, vielleicht etwas zu viel an bunten Bildern, aber es wirkt nie aufgesetzt. Außerdem kann die Regisseurin mit Menschengruppen umgehen, und auch die Kinder sind sehr engagiert eingebunden. Großartig ist die Nedda-Szene gestaltet und herzergreifend das sich anschließende Schmink-Szenario. Vergleichsweise spannungsarm gerät das Commédia-Finale. Mit einer konzentrierteren Lichtregie (wie im ersten Teil) hätte man die Spannungskurve wohl steigern können.

Mitreißende Stimmen

Zum sängerischen Teil sei erst einmal notiert, daß es in Dortmund (wie z.B auch in Düsseldorf) noch eine überzeugende Ensemblepflege gibt. Auch der Chor, Leitung: Grannville Walker, hat sich vom in alten Zeiten noch in meiner Erinnerung befindlichen statuarischen Beiwerk heuer zu einem mitreißend agierenden Kollektiv entwickelt, welches auch gesanglich stimmungsvoll prächtig harmonierte. Daß man die meist höchst schwierigen Rollen mit hauseigener Personage derartig qualitativ besetzen kann, ist erstaunlich.
Nicht unerwähnt sollten die vorzüglichen Solo-Leistungen bleiben:


Sylvia Koke
Foto ©
Thomas M. Jauk/Stage Pictures

Die Santuzza war mit der großartigenValérie Suty hochdramatisch besetzt. Sie besitzt genügend Feuer und ist mit einer großem emotionsgeladenen und genügend tragfähigen Stimme ausgestattet. Mit bemerkenswerter Intensität überzeugte sie auch in den Spitzentönen ohne Mühe. Darüberhinaus war ihre Darstellung glaubwürdig und fesselnd. Charles Kims „Turridu“ bot genügend helle tenorale Stahlkraft und auch sein Konterpart Simon Neil (Alfio) war mit seinem kernigen Bariton um Kraftreserven nie verlegen; besonders im „Bajazzo“ (Tonio/Taddeo) bewies der Künstler, daß er zu einem der führenden Baritone des Landes gezählt werden muß.
Sylvia Koke erwies sich als die Ideal-Besetzung für „Nedda“. Darstellerisch überragend und mit rollenspezifischem Charme sang sie nicht nur die Nedda, sondern verkörperte sie auch ausgesprochen attraktiv. Mit verblüffend stimmlicher Leichtigkeit erfüllte sie alle Anforderungen dieser schwierigen Partie. John Heuzenroeder bot einen höhensicheren Alecchino und Maria Hilmes´ „Lola“ ergänzte das Ensemble glanzvoll. Stefan Vinkes „Canio“ überzeugte mich gesanglich leider nicht, er bot aber darstellerisch Großes.

Last but not least die Kostüme: Dorothee Schumacher gab den Darstellern in der CAVALLERIA in ihren schwarzen nüchternen Anzügen und Sonntags-Kleidern genau jene Bigotterie und Gefährlichkeit, welche die Szene permanent und vor allem in den Gruppenbildern mit den Choristen zu einer bedrohlichen anonymen Masse werden läßt. Hier existieren weder Spaß noch Lebensfreude. Ganz anders im BAJAZZO: Hier entspricht das ungeheuer vielfältige Outfit schon mehr dem eher städtisch orientierten farbigen Lebenswandel einer sich schon in den 50er Jahren entwickelnden Spaßgesellschaft. Die Lebensfreude drückt sich entsprechend in den bunten Farben und der legeren Kleidung ihrer Menschen aus.

Unbedingt zu empfehlen!

Die einhellige Zustimmung des Publikums ehrte zu Recht ein großartiges Ensemble und eine mehr als gelungene Regieleistung. Der Anspruch guten und spannenden Musiktheaters erfüllt sich ohne Mätzchen, Verfremdungen oder Provokationen (wie sie zur Zeit im Umfeld Essen oder Gelsenkirchen en vogue sind!) auf sehr werktreue Art und Weise. Dieser Opernabend hat in beinah jeder Hinsicht richtig Freude gemacht. Lohnenswert und unbedingt zu empfehlen!


Weitere Informationen unter: www.theaterdo.de

Redaktion: Frank Becker