Wer war John Höxter?
Die Frage ist berechtigt, denn kaum jemand kennt den Namen, geschweige denn das Werk dieses schillernden Mannes. Ein Dichter war er, wie Jörg Aufenanger mit einigen lyrischen Auszügen in der jetzt vorliegenden notwendigerweise knappen Biographie belegt. Ein Künstler war er, die in das schmale Bändchen aufgenommenen Illustrationen beweisen es. Und ganz offensichtlich war er ein Lebenskünstler, ein Bohemien und Dandy, ein eleganter Nichtstuer mit Potential und einem erlesenen Freundeskreis, zu dem praktisch alle zählten, deren Namen später in einem Atemzug mit den literarischen Expressionismus genannt wurden und noch werden.
Der Verlagstext faßt das trefflich zusammen:„Er kannte jeden und ein Jeder kannte ihn, doch wer kannte ihn wirklich?“ Der Dichter und Künstler John Höxter kam 1906 aus seiner Geburtsstadt Hannover nach Berlin und avancierte binnen Kurzem zu einer der bekanntesten Figuren der Berliner Bohème. Die Kaffeehäuser der Stadt wurden ihm zu einer „Heimat auf Verdacht“. Nahezu täglich saß er im Café Josty am Potsdamer Platz, im Café des Westens und im Romanischen Café und gehörte zum beweglichen Kaffeehausmobiliar. Hin und wieder ging er von Tisch zu Tisch, gab einige Bonmots oder Verse preis, erhielt dafür einen Obolus und wurde so zum populärsten Schnorrer Berlins.
Im „Dritten Reich“ wurde dem Juden und Bohemien Höxter auch die Ersatzheimat Kaffeehaus verwehrt. Wenige Tage nach der Pogromnacht im November 1938 nahm er sich das Leben. In seinem letzten Brief an seinen einstigen Lehrer, den Porträt- und Genremaler Leo von König, schrieb er: „Ich bin noch ein ungeübter Selbstmörder.“
Was bleibt von John Höxter? Ein umfangreiches Werk von Gedichten, Glossen, Essays, Schüttelreimen, Zeichnungen, Grafiken und Gemälden liegt trotz vieler Verluste vor. Lange Zeit war er vergessen. Inzwischen gilt er als emblematische Figur einer der auf- und anregendsten Epochen von Kunst und Kultur in Deutschland.“
Jörg Aufenangers Buch aber ist weit mehr als nur die nicht allein zeitgeschichtlich spannende Biographie eines Künstlers, Bohemiens und Schnorrers. Es ist eine packend lebendige Schilderung einer der wichtigsten Literaturströmungen der ersten Jahre des 20. Jahrhunderts im pulsierenden Berlin, in der Genies aufloderten und nach kurzem ungemein intensivem Feuer in Krieg, Suff, Morphinismus, Wahnsinn oder Selbstmord verloschen – oder später, von den Nationalsozialisten verfolg, das Land verließen und wo nicht, von ihnen umgebracht wurden. Aufenanger zeichnet ein faszinierendes Bild der ungeheuer kreativen Epoche des literarischen Expressionismus, führt packend die Fäden zwischen Kurt Hiller und Franz Pfemfert, Jakob van Hoddis und Georg Heym, Ernst Blass und Walter Mehring, Herwarth Walden und Else Lasker-Schüler, Emmy Hennings und Hugo Ball, Alfred Döblin und Mynona, Karl Kraus und Oskar Kokoschka und vielen anderen zusammen – und mittendrin, überall und nirgends richtig dabei: John Höxter. Die Aktion, der Querschnitt und Der Sturm, der Neue Club und das Neopathetische Cabaret, Theater, die Berliner Kaffeehäuser und Redaktionen waren die Böden, auf denen Geist gedieh und John Höxter zu Hause war.
Das andere Ich
Mein Herz umklammert meine Füße. Bleib.
Ich stampfe Luft. Entgleite über die Dächer.
Blutschwere zieht. Dünnblaue Luft trägt schwächer.
Ich sinke zur Erde und liege beim Weib.
Berghüften im Abend. Rücken. Leib.
Im Tale ruh ich in deinem Schatten. Gemächer
Umschlingen uns lautlos. Ein Fächer
Atmet dein Mund, Flüstert. Bleib.
O Bögen der Ferne, Brücken von hier zu mir.
Straßen, die ich nie wachen Auges gesehen.
Vertrauter Hauch der Winde, die euch durchwehen.
Erreicht ihr nie das Hier?
Vor den Toren des Schlafs bleib ich tagelang stehen
Und suche zu dir.
Wer Kurt Pinthus´ „Menschheitsdämmerung“, Gottfried Benns „Lyrik des expressionistischen Jahrzehnts“ und die Sekundärwerke von Knapp, Rothe und Raabe (die sämtlich John Höxter ignorieren) besitzt, ist gut beraten, dieses schmale, nichtsdestoweniger gewichtige und kostbare Bändchen dazu zu stellen. Denn neben blendender Unterhaltung bietet es hervorragend recherchierte Informationen. Eine dringende Empfehlung der Musenblätter.
Am Mittwoch, dem 28. September stellt Jörg Aufenanger um 20 Uhr sein Buch mit einer Lesung und einem Gespräch mit Annett Gröschner im Brechthaus-Literaturforum Chausseestrasse 125, 10115 Berlin-Mitte (http//:lfbrecht.de), vor.
Jörg Aufenanger – „John Höxter - Poet, Maler und Schnorrer der Berliner Bohème“
© 2016 Quintus Verlag, 112 Seiten, 27 Abbildungen Hardcover mit Schutzumschlag, Fadenheftung, Format: 12,5 x 20,5 cm
16,00 € (D) / 16,40 € (A) Weitere Informationen: www.quintus-verlag.de
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