Irgendwie unfaßbar, in welcher Welt wir heute leben

„Snowden“ von Oliver Stone

von Renate Wagner

Snowden
(USA – 2016)

Drehbuch und Regie: Oliver Stone
Mit: Joseph Gordon-Levitt, Shailene Woodley, Melissa Leo, Zachary Quinto, Tom Wilkinson, Rhys Ifans, Nicolas Cage u.a.
 
Am 15. September dieses Jahres hätte man Regisseur Oliver Stone zu seinem 70. Geburtstag gratulieren können, aber das amerikanische Kinopublikum machte ihm kein Geschenk. Ganz im Gegenteil: Noch nie, so hieß es in den Pressemeldungen, hätte ein Oliver-Stone-Film einen so verheerend schlechten Start hingelegt wie „Snowden“ (8 Millionen Dollar am Weekend). Und dabei hatte Stone unendliche Mühe in die Entstehung gerade dieses Films investiert. Gleichzeitig behauptet Clint Eastwood mit seinem (um die Wahrheit zu sagen: grottenlangweiligen) Film „Sully“ über Wochen die Spitze der Charts (21 Millionen Dollar am Weekend). Und beides ist ganz leicht zu erklären…
Denn bei „Sully“ handelt es sich um einen „echten“ Helden, dem Unrecht geschehen ist, den Piloten Chelsey B. Sullenberger, der 2009 seine Passagiere rettete, indem er sein Flugzeug im Hudson River „parkte“, wofür ihm später der Prozeß (!) gemacht wurde. Ehrenrettung für einen Mann, der nicht biederer und treuherziger verkörpert werden könnte als von Tom Hanks.
 
Der heute 33jährige Edward Snowden hingegen ist neben Wikileaks-Gründer Julian Assange der berühmteste „Whistleblower“ der Welt, der die Machenschaften der USA, nämlich die ganze Menschheit zu „überwachen“, aufgedeckt hat: Donald Trump würde ihn hinrichten lassen, und vermutlich ist dessen Wählerschaft (also halb Amerika?) der selben Meinung. Und von den übrigen haben es überaus viele vermutlich doch für „unamerikanisch“ gehalten, das eigene Land dermaßen vor der Welt bloßzustellen. Die wenigen, die ihn in seiner Heimat bewundern, sind vermutlich ins Kino gegangen.
Und haben einen schönen, aber doch ziemlich glatten Politthriller gesehen, den Stone erst machen konnte, als er einen deutschen Produzenten fand: Kein Amerikaner hatte den Stoff angerührt. Die Entstehung des Films glich, glaubt man den vielen Zeitungsberichten, selbst fast einer Spionagegeschichte.
Oliver Stone (der Mann hat immerhin drei „Oscars“) hat sich in den Augen der US-Kinobesucher das falsche Thema ausgesucht. Das waren noch Zeiten, als er süffig von Wallstreet, JFK und Nixon berichtete, da durfte er auch kritisch sein. Heldenhaft und uramerikanisch war „World Trade Center“, die Verkitschung von 9 / 11. Lieber als einen Alexander-Schinken sah das Publikum von ihm eine griffig-brutale Rauschgifthändler-Geschichte (Savages). Aber einen „Verräter“ zum Helden machen? Das geht in den Augen seiner Landsleute zu weit.
 
Und er hat einen Helden aus ihm gemacht, obwohl er keinen „schönen“ Hauptdarsteller wählte – Joseph Gordon-Levitt ist tatsächlich, was bei „Biopics“ so gut wie nie vorkommt, nicht so attraktiv wie der originale Snowden, den man am Ende des Films „he himself“ in seiner Moskauer Wohnung (wo er wohl sterben wird) sieht. Aber man glaubt Gordon-Levitt gleichermaßen das Computer-Genie und den anständigen Charakter, der nach und nach einsieht, daß er bei der CIA und der NSA verbrecherischen Institutionen angehört, denen es auch auf Menschenleben nicht ankommt – von Menschenrechten gar nicht zu reden. Überwacht wird von den Amerikanern jeder – schuldig, nichtschuldig, verdächtig, unbeteiligt… einfach jeder.
Der Film manövriert sich auf die übliche Art und Weise geschickt durch eine Story, die als Polit-Thriller höchst attraktiv verkauft wird. Hongkong, Luxushotel „The Mira“, ein Hotelzimmer, der Mann, der sich den Journalisten des britischen „Guardian“ anvertraut, die Dokumentarfilmerin Laura Poitras (Melissa Leo) sowie Glenn Greenwald (Zachary Quinto) und Ewen MacAskill (Tom Wilkinson). Ihnen stellt er die zahllosen geheimen Unterlagen zur Verfügung, die er (nicht ohne Gefahr für Leib und Leben) aus den Computern der NSA kopiert hat.
Dann Rückblenden – das Computergenie, das ursprünglich ein braver US-Soldat sein wollte, aber an dem harten Training scheiterte. Der dann zur CIA kam – dort ist dann Corbin O’Brian (ein sehr versnobter, zynischer Rhys Ifans) sein Chef und der enttäuschte Programmierer Hank Forrester (Nicolas Cage, einmal in einer totalen Nebenrolle) sein Kollege.
In einer dick und viel zu ausführlich gezeichneten Liebesgeschichte, wo Shailene Woodley als Snowdens Freundin Lindsey Mills von geradezu penetranter Präsenz ist, will Stone auf simple Art die Wandlung des ursprünglich brav konservativen Snowden zu den liberalen Anschauungen seiner Gefährtin darstellen.
 
Auslandseinsätze zeigen die CIA in ihrer schlimmsten Art und Weise, Informationssammlung durch Erpressung und Manipulation, Mord wird achselzuckend als nötig hingenommen. Dann merkt Snowden nach und nach (Oliver Stone erzählt es so, daß auch kleine Kinder es kapieren), wie unverantwortlich die Abhörtechniken der NSA (National Security Agency, doppelt so groß wie die CIA) sind. Irgendwann, gerade als er im „paradiesischen“ Hawaii lebt, hält er es nicht mehr aus – die Welt muß es wissen, sagt er.
Die Folgen – dramatische Flucht, Stranden in Rußland – werden eher kurz behandelt, bis dahin war es die simpel gestrickte Hochglanzgeschichte eines „ehrenwerten Mannes“. Man würde keinen Weltklasseregisseur hinter dem Unternehmen vermuten.
Was bleibt von der Geschichte? Das Wissen um die totale Überwachung – und die Hilflosigkeit des Einzelnen, etwas dagegen zu tun. Und traurige Wirklichkeit für Snowden, der immerhin sein Leben aufgegeben hat, um die Wahrheit zu verbreiten: Wie einst die englischen Spione Philby und Co. besteht seine grausame Strafe darin, daß er vermutlich den Rest seines Lebens (und das kann noch lang sein) in Rußland verbringen muß. In Putins Rußland. Die Hoffnung, daß Obama ihn, den Staatsfeind Nr. 1, noch rasch begnadigen würde (Clinton oder Trump werden es vermutlich nicht tun), hat sich erledigt – zumal Obama in dem Film nicht sehr gut wegkommt. Man erinnert sich daran, daß er sogar Angela Merkel, die große Verbündete, abhören ließ…
Irgendwie unfaßbar, in welcher Welt wir heute leben. Immerhin das macht Oliver Stones Film klar.
 
 
Renate Wagner