Was die Großmutter noch wußte

Sinnfragen

von Lars von der Gönna

© Heiko Sakurai
Was die Großmutter noch wußte
 
Florian Silbereisen von Dirndl überfahren - Babs und Bobs, das Feuer brennt immer noch - Königin Silvia, die wahre Geschichte ihres Fersensporns. Diese Wartezimmer-Zeitschriften: scheußliches Zeug, aber man liest sich fest.
Meine Lieblingsrubrik in diesen Heftchen ist aber nicht das glänzende Parkett der Schönen und Reichen. Es ist ein Einspalter, über dem zumeist das Porträt einer gütigen Greisin thront. „Omas Nähkästchen“ heißt sie oder „Was die Großmutter noch wußte“. Ich selbst weiß gar nicht, ob diese Zeitungsomas echt sind, aber sie wissen echt viel. Ich lese: „Fischgeruch im Schlafzimmer ist mit einer Wäscheklammer an der Nase wie weggeblasen!“ Oder: „Kaffeeflecken auf der Festtagstafel? Verteilen Sie rasch Sonnenbrillen an Ihre Lieben!“ Oder: „Gebiß verrutscht? Tun Sie einfach so, als wollten Sie ein irisches Trinklied anstimmen!“
Ich bewundere diese Großmütter und was sie noch wußten. Aber wenn ich dereinst alt und grau - lang hin ist es nicht mehr - über einem Einspalter throne, was kann ich der Welt raten? Was weiß ich noch, was den Nachgeborenen verlustig gegangen ist? „Mit leeren Wodkaflaschen von Ihrem Schreibtisch lassen sich putzige Mobiles für die Betriebskantine herstellen!“ „Aus Nasenhaar älterer Akademiker kann man leicht Persianerkappen für Barbiepuppen fertigen. Ihre Enkelin wird begeistert sein!“ Während ich diesen meinen Erfahrungshorizont ratgeberkompatiblen Weltwissens abschreite, spüre ich, wie viel mir noch fehlt, um für andere die wahren Klippen des Lebens zu umschiffen. Unter anderem besitze ich kein Nähkästchen.
 
 

© Lars von der Gönna - Aus dem Buch „Der Spott der kleinen Dinge“
mit freundlicher Erlaubnis des Verlags Henselowsky Boschmann und der WAZ.