Die Zahl „5“
und ihre Bedeutungen in der Literatur Da die Bibel keine so recht verwendbaren Nennungen dieser Zahlt hat - eigentlich sind nur die jeweils 5 klugen und törichten Jungfrauen aus einem Gleichnis zu erwähnen -, da jede Zahl aber nach patristischer und mittelalterlicher Auffassung ihren Geistlichen Sinn haben muß, kam man auf die Verehrung der fünf Passionswunden Christi an Händen, Füßen und an der Seite. So heißt es in einer Anrede an den Gekreuzigten in einem Kirchenlied von Benjamin Schmolck im Jahr 1725: „Ach zeige mir auch deine Wunden / Du angenehme fünffte Zahl.“ Außerhalb der engeren Frömmigkeitesgeschichte faßte diese Vorstellung aber keinen Fuß in der Literatur; ich habe jedenfalls nur einen ziemlich entlegenen Beleg gefunden, und zwar in Anselm Ziegler von Kliphausens voluminösen „Täglichen Schauplatz der Zeit“ aus dem Jahr 1695. Unter dem 6. November 1632 beschreibt er die Leiche Gustav Adolfs, der in der Schlacht bei Lützen für die Evangelische Sache ruhmreich gefallen sei:
„Da doch sein unsterblicher Ruhm auch die Ewigkeit besiegen wird, daß er vor die Ehre seines gekreutzigten und mit 5 Wundern hingerichteten Jesus auch durch 5 Wunden seinen Geist auffgeopfert.“
Gustav Adolf als Postfiguratio Christi im Zeichen der 5 Wunden.
Derselbe Anselm spielt indes kurz zuvor in seiner lange berühmt gebliebenen „Asiatischen Banise“ (von 1689) überdeutlich auf eine andere uralte Symbolik der Zahl Fünf an, wenn am Ende der Geschichte drei Prinzessinnen nach knapp 500 Seiten Romanverwirrungen endlich zur verschämt ersehnten Entjungferung im Beilager mit ihren drei Prinzen gelangt sind:
„Drei Zelte, in denen das fünfte Wesen der Liebe geschah…, worinnen die mit so vielen Dornen bisher verwahrte Rosen mit größtem Vergnügen gebrochen, und alles Ungemach mit einem süßen Achgeschrei der leidenden Prinzessinnen erwünscht geendiget wurde.“
Das „fünfte Wesen der Liebe“ hat nun ganz und gar nichts mit den 5 Wunden Christi zu tun, wohl aber mit einer gleichsam heidnischen Bedeutung der Zahl 5 (es war dies auch die allbekannte Zahl der antiken Liebesgöttinnen Ischtar und Venus/Aphrodite sowie der germanischen Freia – ihr ist übrigens der Frei-tag, der 5. Tag der Woche, geheiligt); diese Bedeutung sollte seit dem frühen Christentum erkennbar zurückgedrängt werden, so daß sie dann tatsächlich 2000 Jahre hindurch meist nur noch von jeweils wenigen Eingeweihten, sozusagen im Geheimen, im Untergrund tradiert wurde.
Zu den Anfängen: Man hat seit je die 5 mit der Sinnenwelt in Verbindung gebracht; man zählte und zählt fünf Sinne (Sehen, Hören, Riechen, Fühlen, Schmecken), man ordnete die sinnlich erscheinende Lebenswelt der gemischten Körper in fünf Gruppen: Steine, Metalle, Pflanzen, Tierpflanzen, Tiere, und innerhalb der letzten Kategorie wieder fünf Unterarten: Menschen, vierfüßige, kriechende, schwimmende und fliegende Tiere.
Wichtiger und folgenreicher noch: Seit Pythagoras sah man die Fünf als Vereinigungszahl von Männlichem und Weiblichem im Zeichen der körperlichen Liebe an: Leib und Seele des Mannes = 2, die verbindende Liebe = 1, Leib und Seele der Frau = 2, und die Summe ist fünf. Das sah man alsbald um Nuancen anders. Plutarch faßt es in seinen „Moralia“ so zusammen, was schon Platon in seiner „Politeia“, später Aristoteles und Ovid sowie noch später Martianus Capella ganz ähnlich formuliert hatten:
„Fünf ist die Summe der ersten geraden Zahl, der Zwei, des weiblichen Prinzips, und der ersten ungeraden Zahl, der Drei, des männlichen Prinzips und daher die symbolische Erotik- und Hochzeitszahl.“
Mag sein, daß die zweimalige prononcierte Berufung der Zahl Fünf in Christi Gleichnis von der Himmlischen Hochzeit in diesem Zusammenhang zu sehen ist, denn 5 Kerzen im ehelichen Schlafgemach waren üblich, mindestens 5 Gäste mußten bei einer Trauung anwesend sein.
Fünf als die Erotikzahl: Diese geheime Bedeutung ließen sich manche neueren Dichter nicht entgehen; ich werde mich auf wenige Beispiel beschränken müssen.
Zuvor aber sei auf den literarischen Unterstrom verwiesen, in dem die Zahl und ihre Bedeutung eher unbewußt tradiert wurden. Wie nebenbei spielt ein frustrierter Liebhaber in einem Fastnachtsspiel des 15. Jahrhunderts auf die geheime Bedeutung dieser Zahl an: „frau, gedenk daran, das ich dir viel gedienet han, her in fünf jahren“.
Wilhelm Grimm hat in Kinderspielen nachgewiesen, was Walther von der Vogelweide sechs Jahrhunderte zuvor in seinem auf fünf Aussagen gestellten Liebesorakel festgehalten hatte: „Si tuot, si entout, sie tuot, si entuot, si tuot … swie dicke ihz also maz, so was das ende ie guot.“ - 'Ich konnte messen, so oft ich wollte, es deutete immer auf Liebeserfüllung' (Kunststück, wenn man die Fünferreihe mit dem positiven Bescheid beginnt).
Dasselbe entdeckt Gretchen in Goethes „Faust“, wenn sie die ihr namensverwandte fünfblütige Margeritenblume als Orakel befragt: „Er liebt mich, liebt mich nicht....“ usw.
Ob sich deutsche Schlagerdichter dieses Zusammenhanges noch bewußt waren, muß bezweifelt werden, aber immerhin: „Ich zähl' mir's an den Knöpfen ab, ob ich bei dir Chancen hab: Ja-Nein-Ja-Nein-Ja (wieder ist die fünfte Antwort ein „Ja“).
Goethe läßt in den „Wahlverwandtschaften“ eine Ehe auf Probe vorschlagen:
„Eine jede Ehe sollte nur auf fünf Jahre geschlossen werden. Es sei dies eine schöne, ungerade, heilige Zahl – danach könne man sich entscheiden, ob man sich entzweie oder wieder versöhne“ (Goethe hat insofern Recht, als die Statistik erweist, daß die meisten Ehescheidungen heutzutage nach fünf Jahren erfolgen).
In seinen „Römischen Elegien“ schildert Goethe die Verabredung zu einem nächtlichen Stelldichein. Die Uhrzeit steht noch nicht fest, und in der Gesellschaft der Osteria müssen sich die Liebenden mit Zeichensprache verständigen. Das Mädchen malt die das Stelldichein begünstigende Stundenzahl mittels einer Weinlache auf den Tisch:
„Endlich zog sie behende das Zeichen der römischen Fünfe
und ein Strichlein davor.“
Rendezvous ist also für 4 Uhr angesagt; aber der Dichter will hier die erotische Fünf ins Spiel bringen – daher erst die scheinbare Täuschung. Zudem ist das lateinische Zeichen für Fünf, das „V“, ein Kürzel für Vulva, die „Eins“, der einfache Strich, Kürzel für das männliche Pendant.
„Ihr Götter, gebt dem Dichter, was er bedarf“, heißt es in einem andern Goethe-Gedicht, nämlich vier Dinge und dann vor allem: als Fünftes und als Krönung „ein Liebchen des Nachts, das ihn von Herzen begehrt; die fünf natürlichen Dinge verlang ich.“
Als sich der 74jährige Goethe zu seiner eigenen Überraschung noch einmal 1823 in Marienbad verliebt hatte, was er niemandem so direkt sagen wollte, schrieb er im Brief an seine Schwiegertochter Ottilie, die offenbar die Bedeutung der Fünf kannte, verschlüsselt:
„Ich gelangte erst um Mitternacht zu Hause, woraus Du errathen wirst, daß außer Tanz, Thee, Abendessen und Chmapagner sich noch ein Fünftes müsse eingemischt haben, welches auf mich seine Wirkung nicht verfehlte.“
Die um die antike Bedeutung der Zahl wußten, sahen nun allenthalben Bestätigungen: die Rose, als Blume der Liebenden, hat fünf Blütenblätter, der Mai, als der Monat der Liebenden, ist der fünfte, die Oper aller Opern über Liebe und Hochzeitmachen beginnt mit dem Wort Fünf (Mozarts „Die Hochzeit des Figaro“), Thomas Manns „Felix Krull“ hat schließlich fünf Geliebte (dann ist's genug), die verwitwete Katze im einzig obszönen Märchen der Brüder Grimm verlangt einen neuen Kater mit fünf Schwänzen.
Der in der Antike bestens versierte Eduard Mörike spielt ständig mit der geheimen Bedeutung der Fünf: Die schöne Lau nennt sie ihre holde Zahl, weil ihr nach fünfmaligem Lachen (zweimal durch eine Frau, dreimal durch einen Mann veranlaßt) Mutterfreuden beschert sind. Der Liebesliederzyklus „Peregrina“ umfaßt fünf Gedichte, in seiner Novelle imaginiert Mörike in Mozarts Erinnerung ein verfängliches, mit erotischen Signalen besetztes Ballspiel zwischen fünf Mädchen und fünf Jungen, das den Komponisten eine Melodie zu einem nicht ganz jugendfreien Text in seiner Oper „Don Giovanni“ finden läßt.
Ich breche die Betrachtung der Fünf mit einem Blick auf einen Schriftsteller ab, dem man eigentlich kaum Interesse an solchen Symbolbezügen zutrauen möchte, dessen Umgang mit der Symbolik der „Fünf“ aber desto beweiskräftiger für die Überlebenskraft der seit der Antike überlieferten Bedeutung ist. Der später sozialistische und von Anfang an fast ausschließlich dezidiert mit sozialkritischen Themen aufwartende Arnold Zweig läßt 1920 in seiner Anekdote „Die Näherin“ eine kleine Frivolität erzählen: Ein junger Mann umwirbt vergebens eine verheiratete Frau, bis eine Kupplerin ihm zur Hilfe kommt, auf deren Tisch der Verliebte „einen Beutel mit fünfzig Franken“ deponiert hatte. Dann kommt die junge Ehefrau zur Kupplerin, findet bei ihr ein laues Zimmer, in dem Zimmer ein warmes Bett und in dem Bett einen heißen Liebhaber ... . Ich sage nur, daß, angefeuert durch die magische Fünf in der Zahl der fünfzig Franken, der junge Mann sein Bestes tat, was auch der Schönen wohl gefiel.
Zur Liebe „angefeuert durch die magische Fünf“ - nun ist klar, was das eindeutig heißt.
Wem das gefiel, sollte am kommenden Freitag nicht die Zahl „40“ versäumen!
Redaktion: Frank Becker |