Zu lebendig, um trist zu sein

„Ungefähr gleich“ von Jonas Hassen Khemiri im Theater am Engelsgarten, Wuppertal

von Martin Hagemeyer

Alexander Peiler - Foto © Sebastian Hoppe

Zu lebendig, um trist zu sein


Rund um üble Zeitdiagnosen macht „Ungefähr gleich“ in Wuppertal viel Spaß
„Ungefähr gleich“ von Jonas Hassen Khemiri
 
Regie und Bühne: Elias Perrig - Kostüme: Sara Kittelmann - Dramaturgie: Dr. Cordula Fink-Schürmann - Fotos: Sebastian Hoppe
Besetzung: Lukas Mundas (Andrej / Kunde) - Alexander Peiler (Mani / Jobcentermann / Kunde) - Philippine Pachl (Silvana / Martina) - Lena Vogt (Casparus van Houten / Angestellte beim Getränkemarkt / Jobcenterfrau / Martina 2) - Julia Reznik (Laura Lorenzo / Freja / Ivan / Karriereberaterin) - Stefan Walz (Peter / Pfarrer / Angelika / Arbeitgeber)
 
Prekär, Wohlstandsschere, durchökonomisiert: Ernste Themen, große Wörter verbinden sich mit „Ungefähr gleich“, dem Stück von Jonas Hassen Khemiri, das jetzt beim Schauspiel Wuppertal Premiere feierte. Stimmt alles selbstverständlich - aber pardon, liebe Regie: Ein Vergnügen ist es trotzdem geworden.
Der vielgespielte schwedische Dramatiker hat ein Stück aus und über unsere Zeit verfaßt, das speziell abzielt auf Möglichkeiten des Theaters. Daß er studierter Wirtschaftswissenschaftler ist, mag dabei den ernsten Rahmen abgeben; verkörpert wird dieser im Stück durch einen Ökonomen als Figur, Mani, die in der Tat Dreh- und Angelpunkt der Handlung ist, tragisch zudem. Um ihn herum aber spinnen sich Lebensgeschichten, die kaum als Symptom irgendeiner Wirtschaftstheorie daherkommen, gar als Ergebnis eines bestimmten Zeitübels.
 
Klar, Martina, seit der Uni Manis Partnerin, jobbt unter Wert im Tabakladen. Dort sucht Andrej sein Glück im Lottospiel, nachdem sein Marketingdiplom es ihm nicht gebracht hat, und kommt irgendwann auf die Idee, arbeiten könnte er im Laden ja eigentlich auch, wo er eh immer da ist. Das mag alles zu tun haben mit globaler Gier und Schattenfinanz - aber was man erlebt, bleiben doch Menschen mit Geschichten, an denen der Überbau wenig interessiert. Auch die Figur Mani, dramaturgisch spannend auch Element der Reflexion, hütet sich, das echte Leben um sich herum auf die großen Weltfragen herunterzubrechen: Daß Martina mit ihrem Versuch eines Biobauernhofs schnell ins Schleudern kommt, führt er auf persönliche Schwächen als „Bürgertöchterchen“ zurück.


v.l.: Philippine Pachl, Alexander Peiler, Lena Vogt -  Foto © Sebastian Hoppe
 
Und nun die Inszenierung? Macht das Ganze vollends unterhaltsam. Regisseur Elias Perrig zieht alle Aufmerksamkeit auf die Drehbühne und das rasante Geschehen auf und vor ihr. Während etwa Philippine Pachl als Martina laut über ihre Hofpläne nachdenkt, rotieren dafür wichtige Faktoren in ihrem Rücken oder zwingen sie, auf der Scheibe in Bewegung zu bleiben: darunter ihr nicht zu lebenspraktischer Mani (eindringlich zwischen Tun und Denken: Alexander Peiler) oder aber sie selbst als Gegenstimme im Kopf (Alter Ego, fleischgeworden: Lena Vogt). Schön, diese Szenen nur sparsam auszustatten, mit wenigen Möbeln oder ein paar wie hingestellten Getränkekästen. Sie müssen kämpfen, das wird sehr klar durch diesen fliegenden Wechsel - nur trist wirkt das nicht, nicht einmal sehr negativ.
 
Und daß Bühnenideen belebend wirken, ja spaßig, das trifft schließlich auch auf die großartigen Besetzungen gegen den Strich zu: Stefan Walz spielt den Obdachlosen Peter, aber anders als laut Programmheft spielt keineswegs Walz den Arbeitgeber oder die glückliche Erbin Angelika: Peter spielt sie, unverkennbar! Was toll die Behauptung im Titel ausführt, daß die Figuren alle, eigentlich wir überhaupt alle, ungefähr gleich sind, nämlich gleich anfällig und in unseren Positionen austauschbar. Aber eben auch ziemlich komisch ist. Und wenn man als Zuschauer zu Beginn den Spaß gern mitgemacht und dem bettelnden Peter fünf geizige Cent in die Büchse geworfen hat, um vier Minuten später Julia Reznik als dreizehnjährigen Knilch Sätze sagen zu hören wie „Da gibt's kein Beef“, egal was das heißt unter dreizehnjährigen Knilchen: Wie bitte soll man da ernst bleiben? Eben.
 
Theater am Engelsgarten, Wuppertal. Nächste Termine: 29.1., 2., 5., 11., 16., 17.2.2017.
Weitere Informationen: http://www.schauspiel-wuppertal.de/