Die Bilder der Opfer zerreißen einem das Herz...

„Boston“ von Peter Berg

von Renate Wagner

Boston
(Patriots Day - USA 2016)

Regie: Peter Berg
Mit: Mark Wahlberg, John Goodman, J. K. Simmons, Michelle Monaghan, Kevin Bacon u.a.
 
Grundsätzlich ist natürlich nichts dagegen zu sagen, daß die Tragödien des Alltags zu Kino werden – „Futter“ für die Drehbücher ist schließlich in den meisten Filmen das reale Leben von Menschen. Vielleicht ist man in Europa auch dünnhäutiger, aber die Idee, daß die Amerikaner die großen Katastrophen, die ihrem Land passiert sind, doch ziemlich flugs zu Heldengeschichten verarbeiten, mag Unbehagen zu erzeugen.
9/11 war an der Reihe, der Tsunami (der keine amerikanische Tragödie war, aber groß genug) auch, und nun ist der Boston Marathon an der Reihe. Zur Erinnerung: Alljährlich feiert man in Boston den „Patriots’s Day“ am dritten Montag im April, ein volksfestartiges Mordsspektakel, das an Ereignisse des Unabhängigkeitskrieges erinnert. Fester Bestandteil der Veranstaltung ist der Boston Marathon, und 2013 traten über 20.000 Teilnehmer an, um die 42 Kilometer zu bewältigen.
Aber an diesem 15. April 2013 haben zwei Brüder aus Tschetschenien zwei Sprengsätze in der Nähe des Ziels gelegt, die drei Tote und mehrere hundert Verletzte forderten. Eine Situation, in die man nie geraten will – aber es muß Menschen geben, die sich dergleichen ansehen. Zumal wenn es dann zu einer „Wer ist der Täter?“-Menschenjagd kommt, die, ungeachtet dessen, daß diese Geschichte wahr ist, einfach der üblichen Dramaturgie entspricht.
 
Allerdings beruht dieser Film auf dem Tatsachenbericht von Ed Davis: Er war damals der Polizeichef, er mußte die Täter finden. Dennoch steht nicht er im Mittelpunkt, sondern Mark Wahlberg als (erfundener) Sergeant Tommy Saunders Er ist der „schöne“ Held, der von dem Charakterkopf von J.K. Simmons flankiert wird. John Goodman spielt Ed Davis, und weil es ohne weiblichen Anteil nicht geht, ist Saunders Gattin Krankenschwester und mit der immer eindrucksvollen Michelle Monaghan besetzt. Damit es auch noch Kompetenzgerangel gibt (das man gerne glaubt!), mischt sich das FBI in Gestalt von Kevin Bacon flugs ein.
Es ist ein Team zusammen gekommen, das Filme dieser Art – sich dokumentarisch gebend und dennoch alles erfüllend, was das Kino so braucht – geradezu routiniert liefert. Regisseur Peter Berg und Mark Wahlberg haben schon zusammen „Lone Survivor“ (über vier Navy SEALs in Afghanistan) und „Deepwater Horizon“ (über eine Ölkatastrophe im Golf von Mexiko) zusammen gedreht, und wer das spannend findet, wird auch bei „Boston“ dabei sein. Natürlich gibt es unendlich viel Krach, Geschreie und Unübersichtlichkeit bei der Katastrophe des Anschlags, aber dergleichen gesteht man der Situation gerne zu.
 
In einer Welt der Überwachungskameras hatte man die Brüder Zarnajew ziemlich schnell als Verdächtige im Visier, in der Bevölkerung zeigt sich jener tapfere Zusammenhalt, der aus Notsituationen geboren wird (und später schnell wieder verschwindet) – da werden dann Filme, die als Action-Unterhaltung in die Kinos kommen, in den USA auch zum politischen Statement. (Trump sieht so etwas sicher gerne, zumal, da die Täter echte „Terroristen“ und als solche zweifellos nach seinem Geschmack waren…)
Es knäult sich dann viel Handlung in den fraglichen fünf Tagen, wobei Wahlberg gewissermaßen die verbindende Hauptperson ist. Die gejagten tschetschenischen Brüder (einer von ihnen war übrigens mit einer konvertierten Amerikanerin, einer erschreckenden Figur im Film, verheiratet) sind hektisch und gefährlich unterwegs, bevor man sie doch noch faßt. Es dauert zweieinviertel Stunden, bis man am Ende des Films angelangt ist – und einem dann im Nachspann die originalen Bilder der tatsächlichen Opfer das Herz zerreißen…
 
Renate Wagner