Die röteste der roten Linien

Ein Kommentar

von Ulli Tückmantel

Foto © Anna Schwartz
Die röteste der roten Linien
 
Von Ulli Tückmantel
 
An wen auch immer sich die dürre Erklärung von Bundeskanzlerin und Außenminister zum Ausgang des türkischen Referendums gerichtet haben mag – sie war in jeder Hinsicht unzureichend und belegt, daß die Lernkurve von Angela Merkel (CDU) und Sigmar Gabriel (SPD) im Umgang mit und der Einschätzung von Potentaten nicht nach oben zeigt.
Gleich nach seinem Sieg, der den Verdachtsmakel einer betrügerischen Auszählung trägt, kündigte Erdogan die nächste Volksabstimmung an, diesmal über die Todesstrafe. Dazu kann selbst die Bundesregierung nicht mehr wie am Montagabend in kühlem Diplomaten-Jargon erklären, sie respektiere das Recht der türkischen Bürgerinnen und Bürger, über ihre eigene Verfassungsordnung zu entscheiden.

Kanzlerin und Außenminister haben jetzt lediglich eins zu sagen, und zwar unmißverständlich und in klarer deutscher Prosa: Eine solche Abstimmung wird in Deutschland niemandem erlaubt. Sie wird nicht stattfinden.
Es war politisch und moralisch vollständig falsch, in den türkischen Konsulaten die Abstimmung über die Abschaffung der parlamentarischen Demokratie zuzulassen. Merkel und Gabriel müssen sich vorhalten lassen, sich mit ihrer Beschwichtigungspolitik zum Komplizen Erdogans gemacht zu haben. Erdogans Wille, seine politischen Gegner künftig direkt und ungestraft ermorden zu lassen, muß für die Bundesregierung das letzte Klingelzeichen sein, ihren von Grund auf falschen Kurs zu verlassen. Hier ist die röteste aller roten Linien überschritten.

Die Bundesregierung wäre gut beraten, sich jetzt auf die innenpolitische Debatte über die gescheiterte Integration von gut 15 Prozent der hier lebenden Türken zu konzentrieren. Wenn sie diese Debatte nicht aktiv anführt, so werden dies andere übernehmen. Der Preis wäre weit höher als der Verlust von ein paar Prozentpunkten an Extremisten bei der Bundestagswahl. Es steht das friedliche Zusammenleben auf dem Spiel.
 

Der Kommentar erschien am 19. April 2017 in der Westdeutschen Zeitung.
Übernahme des Textes mit freundlicher Erlaubnis des Autors.