Nicht ganz verschenkt

„Tour de France“ von Rachid Djaidani

von Renate Wagner

Tour de France
(Frankreich 2016)

Drehbuch und Regie: Rachid Djaidani
Mit: Gérard Depardieu, Sadek, Louise Grinberg u.a.
 
Wer wäre nicht a priori ein Fan des französischen Films, der Legendäres hervorgebracht hat? In letzter Zeit aber häuften sich die „schaumgebremsten“ Produktionen, die echte Themen auf einen verlogenen Gefälligkeits-Nenner brachten – ob es die schwarz-weiße Behinderten-Schnulze „Ziemlich beste Freunde“ oder die Multi-Kulti-Familienschlacht „Monsieur Claude und seine Töchter“ war. Aber wenn sich die Franzosen für diese wohlmeinende Verzerrung ihres Alltags so dankbar zeigen, daß sie millionenfach ins Kino stürmen – wer wird dann noch wagen, ihnen die Wirklichkeit als solche vorzusetzen?
Wenn man nun als Vorgabe eines Films liest, daß Gerard Depardieu als alter Rassist sich mit einem jungen Moslem auf einer „Tour de France“, einem Road Movie durch Frankreich, zusammenraufen soll, dann sind die Erwartungen auf das Gebotene nicht sonderlich hoch. Doch Regisseur Rachid Djaidani (Franzose algerisch-sudanesischer Herkunft) macht in diesem seinen auch in Cannes präsentierten Film zwar Fehler, aber erst einmal nicht die auf der Hand liegenden. Allzu verbindlich wird es erst später.
 
Der Ärger, den sich in Paris rivalisierende Banden auf den Straßen bereiten, ist sicher echt und annähernd beängstigend. Wenn da Todesdrohungen ausgesprochen werden, glaubt man das aufs Wort. Also zieht der Manager eines jungen Musikers – begabter und bekannter Rapper, der sein Gesicht meist unter einer roten Schirmkappe versteckt – diesen lieber bis zum Konzert in Marseille aus dem Pariser Verkehr.
Far’Hook (gespielt von einem jungen Mann namens Sadek, der auch im wahren Leben Erfolge als Rapper erzielt) erhält den Auftrag, Serge, den Vater des Managers, in einem Klapperauto herumzukutschieren. Dieser Vater ist, fett wie immer und entschieden ungepflegt, Gerard Depardieu – offensichtliche Idealbesetzung für den faschistoiden, in der Vergangenheit auch kriminellen Unterschicht-Franzosen, der jeden Grimm der Welt gegen die Muslime hegt, die da sein Land überfluten.
Im übrigen aber ist der Papa Maler und stolzer Freund französischer Geschichte – hat also zumindest eine feinsinnige Seite, wenn er dem jungen Migranten („Warum sprichst Du mich immer auf meine Herkunft an?“, beschwert sich dieser) die Schönheiten der Gemälde von Claude Joseph Vernet vermitteln will. Es sind Hafenansichten, die dieser im 18. Jahrhundert im Auftrag von Ludwig XV. malte und die Serge nun, mit Staffelei, Farben und Spachtel unterwegs, in den Hafenorten nachempfinden will…
 
Was die Musik betrifft, so liebt Serge es eher gestrig: Wenn er seinem Begleiter, den er anfangs gar nicht mag, „zurück-rappt“, tut er es mit aller Verachtung. (Musik durchzieht den Film übrigens und spielt eine große Rolle, vielleicht im Hinblick auf ein jugendliches Publikum.)
Sicher, was sich nun auf dieser Tour durch Frankreich begibt, sind die üblichen Auseinandersetzungen, die zwischen Menschen verschiedener Herkunft und verschiedener Weltanschauung logischerweise emporkochen. Da raschelt das Papier des theoretischen Schlagabtausches gelegentlich durch die Dialoge, so sehr Depardieu sie auch differenziert erfüllt und so sympathisch der junge Mann letztlich guckt.
Indem er beide Figuren nicht ultimativ extrem zeichnet (zumal der junge, sehr hellhäutige und neutral aussehende Araber nicht furchteinflößend ist wie so viele seiner Kameraden, sondern er wirkt eher sanft), kann man dem Regisseur vorwerfen, das Thema zu verwässern, besonders wenn die Klischees stärker werden (die hübsche junge „Zigeunerin“, Louise Grinberg, wird eingeführt, damit sie mit Far’Hook locker ins Bett geht und ihm eine Predigt hält, wie die Muslime ihre Schwestern und Frauen behandeln), wenn es dann einfach alberner Kintopp ist (Depardieu fesselt Far’Hooks Gegner in der Badewanne).
 
Und doch, so schlecht die Kritiken des Films teilweise ausgefallen sind, ganz verschenkt er sein Thema nicht. Und kann man letztendlich einem „betroffenen“ Autor / Regisseur nicht nachfühlen, lieber die „menschliche Möglichkeit“ des Zusammenlebens auszuloten, als immer wieder Öl ins Feuer zu gießen – was ohnedies ausreichend geschieht (und auch thematisiert wird)?
 
Trailer (mit deutschen Untertiteln)  
 
Renate Wagner