Ich liebe „Dick und Doof” –
Oliver Hardy und Stan Laurel!
Ich wiederhole: Ich liebe Dick und Doof! Gestatten Sie, daß ich diesem Bekenntnis einige Gedanken hinzufüge! Ich rechne die beide zu den großen Clowns und versage es mir, den Clown im einzelnen vom Komiker abzugrenzen, der in stärkerem Maße mit dem Wort und seinem Witz umgeht und mit der Sprache zu spielen weiß. Die großen Clowns vertrauen mehr auf Gestik und Mimik, auf die Kraft der Pantomime und ihrer verzaubernden Wirkung.
Denken Sie an Charlie Chaplin in seiner Stummfilmzeit, an den nur undeutliche Worte von sich gebenden Tati! Erinnern Sie sich der Zirkus-Clowns Oleg Popow und Adrian Wettach, der sich den Namen „Grock” gab!
Den Clown Grock sah ich als Student 1954 bei einer seiner letzten Vorstellungen in einem Zirkuszelt in Tübingen. Ein Glücksfall, der mir unvergeßlich bleibt. Ich war so beeindruckt, daß ich mein Erlebnis niederschreiben mußte. Aber nicht aus diesem Bericht will ich zitieren, sondern aus dem Buch des großartigen Sachkenners Constantin von Barloewen mit dem Titel „Clown”. In dem Kapitel „Künstler Clown: Zur Metaphysik des Auftritts” schreibt er: „Seine Kunst lebt nicht im vordergründigen Hier und Jetzt, sondern im hintergründigen Jetzt und Allezeit … Die Spannung zwischen Alltagswirklichkeit und der rasanten Zeitlichkeit der clownesken Erfahrung verbindet ekstatische Transzendenz mit tiefer Versenkung in das Leben. Im Glücksfall gelingt es der Clownkunst, der Tendenz zur Verflüchtigung der Gegenwart listig entgegenzuwirken und das Leben in sich selbst zur Ganzheit zu sammeln.”
Das Thema der Alltäglichkeit mit ihren großen und kleinen Drangsalen, mit Gefahren und Hemmnissen – das ist das Thema des Clowns, und es ist unser Lebensthema. Wie sich zurechtfinden in dieser verwirrenden Welt, wie zurechtkommen? Überall liegen Stolpersteine, öffnen sich Labyrinthe, türmen sich Hindernisse, ballen sich Widerstände und verschlingen sich Komplikationen zu schier unlösbaren Knoten.
Da kann der Transport eines Klaviers die aussichtslose Anstrengung des Sisyphos veranschaulichen. Oder die Bemühungen des Heimwerkers, den tropfenden Wasserhahn zu reparieren, führen zu einer Flutkatastrophe, die das traute Heim in eine triste Spelunke verwandelt und apokalyptische Visionen beschwört.
Das wären nun freilich nur die Sichtbarmachung übler Situationen mit komischen Aspekten und der Gewinn von Schadenfreude beim Zuschauer, würde nicht die clowneske Kunst mit Überraschungseffekten aufwarten, die Verblüffung und befreiende Heiterkeit auslösen.
Ein Clown, der sich einem konkreten Problem gegenübersieht – und das geschieht ständig -, entwickelt einen Denkansatz und danach eine Bewältigungsstrategie, die wir sehr rasch als unzulänglich oder doch als sachlich unangemessen einstufen werden.
In jener Tübinger Vorstellung gedachte der Clown Grock das Publikum mit seinem Klavierspiel zu erfreuen. Ein schwarzer Flügel stand bereit. Grock setzte sich auf den Schemel und streckte die Hände aus. Aber siehe da! Er erreichte die Tasten nicht, der Abstand war zu groß. Nach
Aber, und das ist ein anderer Überraschungseffekt, der Clown versteht es hin und wieder, in schwierigsten Situationen mit List und Trick, mit Kunst und Geschick einen großen Befreiungsschlag zu landen. Auch hier lachen wir aus Verblüffung, aber auch aus staunender Anerkennung.
Noch einmal das Beispiel Grock! Grock, schwerfällig und alt, besteigt einen Stuhl und steht schwankend auf der Sitzfläche. Diese gibt nach, und Grock landet innerhalb des Gestells auf dem Boden. Gewiß, man kann heraussteigen, aber das verstärkt nur die Peinlichkeit der Lage. Grock springt empor, plötzlich nicht mehr schwerfällig und alt, und schon sitzt er auf der Lehne des wackligen Stuhles! Applaus brandet auf …
Der Clown wird mit 1000 Kleinigkeiten nicht fertig, und dann meistert er ein einziges Dilemma auf großartige Weise. Der Clown kann manchmal das Unmögliche, das Mögliche aber ist ihm zumeist unmöglich. Karl Heiz Kramberg führt dazu in seiner Schrift „Der Clown” aus:
„… Grocks Wunschlogik folgert: In einer Welt, in der fast alles erstaunlich ist, muß auch fast alles möglich sein. Es läßt sich ermöglichen, und zwar durch die strikte Unterwerfung des ausführenden Willens unter den Anspruch des Wunschbildes.”
Grocks Verwunderung in dieser Welt des Erstaunlichen drückt sich in seinem „Nit möööglich” aus. Seine Kunst triumphiert über den Vewirrungszustand, indem er das schier Unmögliche in die Tat umsetzt. Sein akrobatisches Kunststück mit dem Stuhl soll ihm kein anderer Mensch nachgemacht haben.
Stan und Ollie sind keine Meister großer Sprünge. Sie sind ungeschickt und tapsig und typische „Verschlimmbesserer”. Wo sie sich einem kleinen technischen Mangel zuwenden, muß man mit einem Schaden gigantischen Ausmaßes rechnen. Nur selten befreien sie sich mit Hilfe einer Spur von Pfiffigkeit und einer überraschend glücklichen Fügung aus einer verzwickten Lage und feiern einen lächelnden Sieg über Kalamitäten. Nur selten leisten sie etwas, was der normale Mensch nicht ohne weiteres leisten kann. Man denke an Doofs Kniechen-Öhrchen-Näschen Kunststück!
Hinzukommt, daß ausgerechnet der dumme und tölpelhafte Doof Überlegenheit beweist. Das frappiert und es freut uns, wie es ihn freut. Dick wird dadurch in eine fast unerträgliche Situation gebracht. Sein geistiger Führungsanspruch, der – weiß Gott! – auf wackligen Füßen steht, gerät ins Wanken.
In die clowneske Kunst bringt der Auftritt zu zweit, das Komiker-Paar, eine andersartige Qualität. Der Einzelgänger-Clown, wie Chaplin, Grock, Tati, ist so etwas wie der Mittelpunkt eines Kreises; er steht im Zentrum, das Publikum bildet die Zuschauer-Runde. Das Duo verändert diese Konstellation. Es entstehen wie in einer Ellipse zwei Brennpunkte mit charakteristischen Spannungsfeldern. Zwei Clowns sprechen und agieren miteinander. Das schafft ein andersartiges Beteiligungsverhältnis beim Publikum, es wird in stärkerem Maße einbezogen. Denn es ist eine Erfahrungstatsache: Wo zwei Menschen miteinander umgehen, plaudern oder streiten, spielen oder werkeln, gesellt man sich eher hinzu. Dem Einzelgänger gegenüber bewahrt man Abstand und Zurückhaltung. Deshalb, so behaupte ich, fühlt man sich dem Duo näher und vertrauter.
Ich liebe Dick und Doof, und das bedeutet ein Maximum an Nähe und Vertrautheit. Ist mir vielleicht der eine lieber als der andere? Ich glaube nicht. Sie sind zu sehr „ein Herz und eine Seele” und damit eine Einheit.
Freilich die Unterschiede zwischen den beiden sind mit den Händen zu greifen. Aber sie ergänzen sich auf das Glücklichste! Wo Dick cholerisch reagiert, da resigniert Doof weinerlich. Wo Doof ungeschickt schwächlich herumfingert, da greift Dick beherzt zu – und bahnt dem Unheil seinen Weg. Dick beansprucht gegenüber Doof die Führungsrolle. Er ist stärker und klüger – so meint er jedenfalls! Denn Doof kennt recht gut Dicks körperliche Schwachpunkte und weiß sie zu nutzen. Ja, und der Intelligenz-Vorsprung, den Dick für sich reklamiert, ist minimal und häufig äußerst zweifelhaft.
Das eben erhöht den Spaß an der Clownerie des Dummen und an der lächerlichen Anmaßung des Dicken. Es kann sogar passieren, daß Dicks Idee einer Problemlösung totales Chaos erzeugt und Doofs absurde Vorschläge bei weitem übertrifft. Außerdem macht sich Dick nicht selten Doofs Einfälle zu eigen und führt sie über das absehbare unheilvolle Ziel noch ein Stück hinaus. Am Ende steht die schicksalsergebene Geste von Doof neben der in Zorn und Verzweiflung wetterleuchtenden Mimik von Dick.
Ihre Kommunikation wird getragen von Mißverständnissen, so stellt sich immer wieder ein absurdes Einvernehmen her, das in den praktischen Konsequenzen überrascht. Sagt Dick zu Doof: „Wenn du Lärm machst, dann bitte leise!” Daraufhin steckt sich Doof zwei Pfropfen in die Ohren und setzt die Produktion von Getöse fort.
Zu Dick und Doof würde auch jener Dialog passen, den Ionesco erfunden haben könnte:
Zwei Menschen, trübes Herbstwetter vor Augen, blicken einander an. Sagte der eine: „Nachts ist es jetzt kälter als draußen!” Erwidert der andere: „Besonders, wenn man die Balkontür nicht schließt!”
Stan Laurel und Oliver Hardy waren glänzende Schauspieler. Sie haben unglaublich vielen Menschen unendlich viel Vergnügen bereitet. Sie leben fort, wie wir durch das Düsseldorfer Filmmuseum (Filminstitut) und das Laurel & Hardy-Museum in Solingen erfahren dürfen. Ich liebe Dick und Doof! Hoch sollen sie leben! Auch von dort werden sie immer wieder zu uns kommen, um uns zu beglücken.
Düsseldorf, den 6. Juni 1994
Redaktion 2017: Frank Becker |