Vom guten Ton auf Reisen

Ein literarischer Streifzug

von Frank Becker


Vom Guten Ton auf Reisen

Ein amüsanter Blick zurück auf
Kulturen der Welt
 
Wenn einer eine Reise tut... – dann kann er nicht nur hinterher etwas erzählen, er sollte sich zur Vorbereitung seiner Reise – auch heute im Jet-Zeitalter – über Land und Leute, Sitten und Gebräuche des Landes informieren, das er zu besuchen gedenkt. Denn ein Gast ist er, dem Rücksicht auf die Menschen und ihre Lebensgewohnheiten auferlegt ist, deren Heimat er betreten darf. Leider fallen viele Sandalentouristen in fremde Länder ein wie wildgewordene Teutonenhorden oder tumbe Botschafter von Kaugummi und Coca-Cola. Katja Alves und Dawn Parisi tragen dem Problem mit Witz und Reiseerfahrung in ihrem 2006 erschienenen nützlichen Bändchen „Darf man das? - Ein Benimmbuch für unterwegs“ Rechnung. Ein leuchtendes Beispiel für das Einfühlen in Menschen und Kulturen war der vielleicht bekannteste deutsche Reisejournalist des ausgehenden 20. Jahrhunderts, Rolf Nöckel (1953-2017), der 35 Jahre lang für die Westdeutsche Zeitung die Erde umrundete. Seine Kolumne „Reisefieber“ in zwei Bänden (2005 und 2015) gesammelt erschienen, öffnete dem Leser einen philanthropischen Blick auf die Welt und ihre Menschen.
 
Als ich vor 44 Jahren das erste Mal in China war, habe ich neben wunderbaren Begegnungen mit Chinesen in meinem Reisetagebuch notiert: „...Leider fehlte an diesem heiligen Ort (gemeint war der Lama-Tempel in Peking) nicht „die“ amerikanische Touristin, die sich nicht entblödete, in Shorts und mit nackten Beinen herumzulaufen. Die höflichen Chinesen, auch die Mönche, zeigten ihr nicht offen ihr Mißfallen, doch hinter ihrem Rücken wurde getuschelt, mit dem Kopf geschüttelt und mit den Fingern gezeigt...“. In China bei Tisch geräuschvoll schmatzen und schlürfen, den abgenagten Hühner-Knochen aufs Tischtuch werfen – kein Verstoß gegen die guten Sitten, wie immer wieder auf dem Festland und in Taiwan erlebt. Aber wehe, sie schneuzen sich als unbedarfter Europäer beim Essen die Langnase! Das würde als höchst unanständig aufgefaßt. Um solche Situationen vermeiden zu können, haben seit eh und je welterfahrene und weitgereiste Leute hilfreiche Bücher geschrieben.
 
Da ist zum Beispiel Hans-Otto Meissner, Diplomat und Verfasser vieler spannender Reisebeschreibungen über alle Winkel der Erde. Vor 63
Jahren erschien sein in einigen Punkten bis heute nützliches Buch: „Reise richtig - auch im Ausland“. In dem unterhaltsam erzählten Band erläutert er die Sitten von Siam, die Gebräuche in Griechenland und das Benehmen bei den Berbern und macht darauf aufmerksam, wie wichtig und vor allem, was für ein Kompliment es für das Gastgeberland es ist, wenn man sich in die Lage versetzt, einige Floskeln in der Landessprache zu beherrschen. Auch die Kleidervorschriften und Tischsitten in fremden Ländern (s.o.) unterscheiden sich oft von denen hierzulande. Gut, wenn man das weiß und sich danach zu richten versteht. Der legendäre erste deutsche Fernsehkoch Clemens Wilmenrod hat in seine Bücher Anekdoten dazu eingeflochten: „Reisen, speisen, entgleisen“ titelt ein Kapitel seines ersten Kochbuches „Es liegt mir auf der Zunge“, das 1954 erschien. Hans Herbert Blatzheim, Gentleman-Reisender und Gastronom hat das 1961 in seinem kulinarischen Reiseführer „Cocktails, Kaffern, Caviar“ anhand einer Reise u.a. über Kapstadt, Mauritius, Melbourne, Fidschi (das Paradies auf Erden), Hawaii, Tokio, Bangkok, Teheran und Istanbul sehr anschaulich mit vielen Rezepten und mit einem gehörigen Schuß Ironie dargestellt. Immer noch eine vergnügliche Lektüre. Wenn man z.B. vom Komfort und dem kulinarischen Angebot der damaligen Flugreisen liest, kann man in der Zeit der Billig-Fluglinien nur neidisch seufzen... Die beiden Bücher wirken zwar aus heutiger Sicht beinahe skurril, sehr amüsant und scheinen mächtig verstaubt. Doch zu ihrer Zeit waren sie wichtige Hilfen für diejenigen, die mit Anstand die Welt bereisen wollten.
 
Den Vogel aber schießt der Heidelberger Völkerkundler Afrika-Reisende Hans Himmelheber mit seinem Buch „Der gute Ton bei den Negern“ ab,
das 1957 als Ergebnis von sechs Expeditionen durch Afrika erschien. Ein Auszug aus dem Klappentext des Verlages: „Aus seinen reichen Erfahrungen schildert er (...) die Gesittung der Afrika-Neger, indem er (...) typische Situationen erleben läßt... Wir nehmen an der Tafelrunde einer Neger-Familie teil (...) wir sind dabei, wie man die Leistungen eines geschickten Sklaven würdigt. Der Leser wird (...) in seinem Wissen über die wahre Wesensart der Afrika-Neger bereichert.“ Und im Kapitel über Begrüßungen zitiert Himmelheber seinen Kollegen Thomson: „Sich bespucken drückt größte Zuneigung aus...Du würdest besser tun, eine junge Dame anzuspucken, als sie zu küssen...“. Na, das lassen wir aber lieber bleiben. Seit das veröffentlicht wurde, sind notabene, erst gut 60 Jahre vergangen. Tempus fugit, mores mutantur. Also: Reise richtig – besonders im Ausland!
 

Zu den erwähnten Büchern:
- Katja Alves/Dawn Parisi – „Darf man das?“, Sanssouci im Carl Hanser Verlag, München 2006
- Hans-Otto Meissner – „Reise richtig – auch im Ausland“, Brühlscher Verlag, Gießen 1955
- Hans-Herbert Blatzheim – „Cocktails, Kaffern, Caviar“, Verlag Gourmet, Köln 1961
- Hans Himmelheber – „Der gute Ton bei den Negern“, Verlag Richter u. Co., Heidelberg 1957
- Clemens Wilmenrod – „Es liegt mir auf der Zunge“, Hoffmann und Campe, Hamburg 1954