Anfang 2013. Auch mit 85 Jahren stand der Kabarettist Dieter Hildebrandt fast täglich auf der Bühne. Ein kantiger Typ, der uns piesackte, bis es weh tat.
Lieber Dieter Hildebrandt,
gestatten Sie mir am Anfang eine kleine Zeitreise. Der Krieg war gerade beendet, in München eröffnete Erich Kästner mit Freunden das Kabarett „Die kleine Freiheit“. Den Rest der Geschichte könnten Sie besser erzählen, denn der junge Mann, der dort für 4,50 Mark am Abend als Platzanweiser arbeitete und während der Vorstellung stets hinter der Bühne stand, Waren Sie. „Ich wollte Theater fühlen“, sagen Sie.
Aus Fühlen wurden Liebe, Leidenschaft, Lebensaufgabe. Selbst mit 85 stehen Sie fast jeden zweiten Tag irgendwo in Deutschland auf der Bühne und machen, was Sie, unser dienstältester Kabarettist, der zum Inventar der Republik gehört, am besten können: amüsieren, provozieren, verärgern. Mehr als 60 Jahre lang ziehen Sie mit grimmig nachdenklichem Hundeblick und runterhängenden Lippen über alles her, was im Staate faul war und ist. Und das ist, wie wir alle wissen, so viel, daß Ihnen nie der Stoff ausgehen wird. Sie lästerten und lästern auf feine, leise Art, auch schon mal stotternd spöttisch, über Wiederbewaffnung, Wachstum, Wohlstand und unseren Übermut. Über Korruption, Banken und Euro-Krise. Früher mit Vorliebe über Helmut Kohl, heute über Rainer Brüderle („Ein Sprachrohr der eigenen Verwirrung“). Selbst die Ihnen sympathische SPD bekam gehörig ihr Fett weg. Quer durch die Parteienlandschaft jonglieren Sie mit Sprache und Kritik, ohne Rücksicht auf Amt und Würde. Unangepaßt, immer schlagfertig und spontan, gesegnet mit reichlich Improvisationstalent, um Zwischenrufe aus dem Publikum zu kontern oder Textunsicherheiten zu kaschieren. Und fanden sich mit Ihrer Alkoholsucht und der Mitgliedschaft in der NSDAP selbst in den Schlagzeilen wieder. Wer aus dem Glashaus heraus austeilt, muß auch einstecken können. Mit der Münchner Lach- und Schießgesellschaft, in den Sendungen „Scheibenwischer“ oder „Notizen aus der Provinz“ und auf Ihren unzähligen Tourneen: Sie haben uns zum Lachen, zum Nachdenken gebracht. Mehr noch: Sie halten uns den Spiegel vor, mit Wortspielen, ohne Zeigefinger. Herrlich, unvergessen spielten Sie in „Kir Royal“ den etwas dösigen, unterwürfigen Fotografen von Skandalreporter Baby Schimmerlos, eine Paraderolle.
Lieber Dieter Hildebrandt,
ich wünsche mir, daß Sie noch ganz lange Theater fühlen. Wir haben viel zu viele Comedians, die herumblödeln. Wir haben zu wenige kantige Typen wie Sie, die uns piesacken, bis es wehtut.
(19.01.2013)
Dieter Hildebrandt starb am 20.11.2013.
Mit freundlicher Genehmigung des Autors und des Verlags Henselowsky Boschmann.
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„Beckfelds Briefe“ gibt es auch in Buchform Redaktion: Frank Becker
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