Merkels schlechtester Sieg und der Flaschengeist CSU

Ein Doppel-Kommentar

von Ulli Tückmantel

Foto © Anna Schwartz
Merkels schlechtester Sieg
markiert eine Politik-Wende
 
Von Ulli Tückmantel
 
Der, der am dringendsten etwas aus dem schlechtesten Wahlergebnis der Union seit 1949 lernen müßte, hat am Abend angekündigt, es nicht tun zu wollen: Horst Seehofer (CSU). Wie ein Kind, das fester auf die Knöpfe drückt, wenn die Batterien der Fernbedienung den Geist aufgeben, kündigte der im Amt ermüdete bayerische Ministerpräsident einen „Jetzt erst recht“-Kurs an.
Dies gründet sich auf der Annahme, Angela Merkel und die CDU seien von den Wählern für ihre Flüchtlingspolitik mit einem Verlust von mehr als acht Prozent der Wählerstimmen abgestraft worden. Nicht nur NRW-Ministerpräsident Armin Laschet hat dem widersprochen. Träfe die Behauptung zu – wie ist es Horst „Obergrenze“ Seehofer dann gelungen, in Bayern deutlich mehr als zehn Prozent zu verlieren, also noch mehr als Merkel?
Eben. CDU und CSU sind nicht dafür abgestraft worden, eine menschliche Flüchtlingspolitik betrieben zu haben, sondern dafür, daß sie den Wählerinnen und Wählern nicht vermitteln konnten, wie das Leben in Deutschland trotzdem sicher bleibt und wie im Detail die Integration der dritten großen Einwanderung gelingen soll, wo doch jeder sehen kann, daß das bis heute mit großen Teilen der deutsch-türkischen Bevölkerung nicht gelungen ist.
Die genauere Analyse des Wahlergebnisses wird zudem die Lebenslüge von der gelungenen „inneren“ deutschen Wiedervereinigung ein weiteres Mal als Illusion entlarven: 27 Prozent der ostdeutschen Männer haben nach den ersten Daten die AfD gewählt, weil sie sich konstant benachteiligt fühlen. Daran muß die Politik endlich arbeiten. Denn 27 Jahre nach der deutschen Vereinigung schwinden jetzt im Westen langsam Geduld und Bereitschaft, zum eigenen Schaden an Infrastruktur und Investitionen fortgesetzt Bundesländer zu alimentieren, deren Bevölkerung offenbar ein Verständnisproblem damit hat, wer 1990 welchem Wertesystem beigetreten ist.
Die Millionen von Wählern, die ihre Stimme der AfD gegeben haben, werden in Kürze feststellen, daß sie den Wahlzettel auch hätten in die Mülltonne werfen können. Das teils offen rassistische und rechtsextreme Personal, das auf dem Ticket der AfD in den Bundestag gespült wurde, wird dort parlamentarisch vorhersehbar scheitern. Die AfD ist in ihrer gesamten Aufstellung vollkommen ungeeignet, sich zu einer respektablen Vertretung konservativer Kräfte zu entwickeln. Ihre Abgeordneten sind nichts weiter als schlechter Umgang, und neben den erwartbaren Skandalen wird ihre Wahrnehmbarkeit sich sehr schnell reduzieren.
Das auch deshalb, weil die SPD sich noch am Wahlabend entschlossen hat, mit dem – ebenfalls historisch schlechtesten Ergebnis ihrer Geschichte – in die Opposition zu gehen. Das ist konsequent und raubt in den parlamentarischen Debatten nebenbei der AfD die Aufmerksamkeit, wenn, ja wenn es denn so kommt, dass CDU, FDP und Grüne tatsächlich eine Jamaika-Koalition bilden.
Dies ist bisher auf Landesebene erst zweimal versucht worden. Während die schleswig-holsteinische Koalition von Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) erst im Juni gebildet wurde und damit schlicht zu jung ist, um schon vor die Wand gefahren zu sein, flog das 2009 im Saarland gebildete Jamaika-Bündnis vor Ablauf der Wahlperiode krachend auseinander. Dies mag aber auch an einigen saarländischen Spezialitäten gelegen haben.
Was aber offenbar zur Natur von Jamaika-Bündnissen gehört, ist ein noch größeres Bedürfnis der Parteien, mit ihren Positionen trotz eines Dreier-Bündnisses erkennbar zu bleiben und sich in einzelnen Programm-Positionen durchzusetzen – was am Ende wohl weniger gut für die eigene Wahrnehmung ist, als die Parteien glauben. So blieb von den Grünen an der Saar nach Jamaika nur der Eindruck, dass sie die Studiengebühren abgeschafft und ein absurd strenges Anti-Raucher-Gesetz auf den Weg gebracht hatten; bei der Wahl im März flogen sie ganz aus dem Parlament.
Nicht einfach werden dürften die Verhandlungen zwischen CDU/CSU, FDP und Grünen, um das Bündnis im Bund überhaupt schließen zu können. Auf den ersten Blick liegen die Positionen dafür zu weit auseinander. Jedenfalls dürfte die Regierungsbildung auf sich warten lassen. Hatte bis zum gestrigen Abend vor allem die SPD kein Interesse, sich vor dem 15. Oktober (Landtagswahl in Niedersachsen) erkennbar in eine Richtung zu bewegen, so könnten nun auch andere dieses Interesse haben.
Unter Merkels Führung ist eine Jamaika-Koalition insgesamt kein großes Wagnis. Es könnte eine erfrischende Alternative zum eher geschäftsmäßigen Verwalten des Landes sein, das die große Koalition in den vergangenen Jahren vorgeführt hat. Politik wird wieder interessant.
 
 
CSU-Drohung - Zurück in die Flasche, alberner Geist
 
Von Ulli Tückmantel
 
Manchmal fragt man sich, für wie einfältig der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) die Menschen in seinem Bundesland eigentlich hält: Seehofer ist mit einem Minus von mehr als zehn Prozent und annähernd ostdeutschen AfD-Werten der größte Verlierer der Bundestagswahl. Was die CSU noch zur „Union“ mit der CDU beizutragen hat, ist nicht gerade viel. Säße die CSU als Regional-Partei alleine im neuen Mammut-Bundestag, so würde sie mit nur 46 von 709 Abgeordneten die kleinste Fraktion stellen.
Selbst Angela Merkel, die in den vergangenen beiden Jahren viel Verständnis für Seehofers bayerische Schrullen gezeigt hat, dürfte damit überfordert sein, es als Drohung zu verstehen, wenn der krachende Verlierer am Tag danach über das Verlassen der Fraktionsgemeinschaft nachdenkt und wieder einmal den „Geist von Kreuth“ beschwört, jene fixe Idee von 1976, die CSU in Deutschland als vierte politische Kraft zu etablieren.
Mit 46 Abgeordneten und einer Partei, die zu großen Teilen ohnehin längst lieber die CDU statt die CSU wäre, bedroht man im politischen Gefüge der aktuellen Sechs-Parteien-Landschaft überhaupt niemanden, sondern wird als regionale Besonderheit und aus Traditionsgründen hingenommen. Mehr nicht. Kreuth als Drohung? Ernsthaft, Herr Seehofer? Zurück in die Flasche, alberner Geist.
Seehofers krampfhaftes Festhalten an Parteivorsitz und Kandidatur im Vorfeld der bayerischen Landtagswahl 2018 ist eine Hypothek für die ganze Union, die sich – wie alle anderen auch – im deutschen Parteien-Gefüge neu sortieren muß. Die von Heiner Geißler (1930-2017) erfundene Theorie des bürgerlichen Lagers aus CDU/CSU und FDP sowie des linken Lagers aus SPD und Grünen funktioniert nicht mehr.
Was rechts und was links sein soll, versagt immer häufiger als Beurteilungs-Kriterium. Gerade deshalb kann übrigens Jamaika im Grundsatz gut funktionieren, wenn die Akteure das alte Lager-Denken überwinden und sich stattdessen darauf konzentrieren, was sie eint – und von anderen unterscheidet: CDU, FDP und Grüne werden sich vergleichsweise schnell darauf einigen können, dass sie gemeinsam bei aller Unterschiedlichkeit für eine freie und offene statt für eine illiberale, geschlossene Gesellschaft einstehen.
Die CSU muß aufpassen, daß sie als reine Regionalpartei nicht den Anschluß verliert.
 

Die Kommentare erschienen am 25./26. September 2017 in der Westdeutschen Zeitung.
Übernahme der Texte mit freundlicher Erlaubnis des Autors.