Dieser Holländer lohnt jeden Kilometer Autobahn!

„Der Fliegende Holländer“ unter Reinhardt Friese in Hof

von Alexander Hauer

James, Tolksdorf, Susanne Mucha, Ensemble - Foto © H. Dietz, Hof

Der Fliegende Holländer

Romantische Oper Von Richard Wagner
Theater Hof - Premiere 22. September 2017
 
Musikalische Leitung: Walter E. Gugerbauer – Inszenierung: Reinhardt Friese - Choreographie: Barbara Buser - Bühne und Kostüme: Annette Mahlendorf - Chor: Hsin-Chien Fröhlich // Claudio Novati - Dramaturgie: Lothar Krause - Regieassistenz und Abendspielleitung: Philipp Gehringer - Inspizienz: Jerzy Barankiewicz - Soufflage: Izabela Kuc - Musikalische Einstudierung und Korrepetition: Michael Falk // Jooa Jang // Utako Washio // N. N. - Fotos: H. Dietz Fotografie, Hof

Besetzung: Daland, ein norwegischer Seefahrer: Rainer Mesecke - Senta, seine Tochter (Gesang): Tanja Christine Kuhn - Senta, Seine Tochter (Schauspiel): Susanna Mucha - Erik, ein Jäger: Alexander Geller - Mary, Sentas Amme: Stefanie Rhaue - Der Steuermann Dalands: Minseok Kim - Der Holländer: James Tolksdorf 
Ballett und Opernchor des Theaters Hof - Hofer Symphoniker 

Senta träumt. Und danach ist sie kein Mädchen mehr.

v.l. Tanja Christine Kuhn, Susanne Mucha - Foto © H. Dietz, Hof

Es geht schon in der Ouvertüre los. Zu den gepflegt angelegten Klängen der Hofer Symphoniker, die einem die schwere See fast körperlich spüren ließen, „erwacht“ Senta. Sie ist in ihrem Haus - unter den vielen wunderschönen Bühnenbildern von Annette Mahlendorf ein weiteres Highlight - und erträumt sich die Handlung des Holländers.
Zugegeben, der Trick, den Reinhardt Friese anwendet, ist nicht neu, aber die Umsetzung ist genial. Mit der Verdoppelung der Senta, Susanna Mucha als die träumende Senta und Tanja Christine Kuhn als die geträumte, gibt er der Geistergeschichte um den verfluchten Seemann eine neue Dimension.

Alptraumhaftes Geschehen
Friese erliegt auch nicht der Versuchung die dramatische Musik Wagners im ersten Akt mit angestrengter Aktion auf der Bühne zu verdoppeln, der Traum Sentas verläuft in einer ruhigen Abfolge der Ereignisse. Zusammen mit dem scherenschnittartigen Bühnenbild ergibt sich dadurch ein alptraumhaftes Tableau. Senta selbst steht als kühle Beobachterin dabei, erlebt wie ihr Vater sie für schnödes Geld verkauft, ohne Rücksicht auf ihre Bedürfnisse oder ihre Wünsche.

Gnadenlose Personenanalyse
Auch die Spinnstube bleibt genauso surrealistisch. Senta sieht sich selbst zu, wie sie von ihrer Erzieherin Mary gegängelt, verspottet und gedemütigt wird. Der Damenchor agiert als biedermeierliche Portraits an der Zimmerwand. Auch Erik, der einzige Mann im Dorf der nichts mit der Seefahrt zu tun hat, ist wie alle anderen ein bleicher Zombie. Fixiert auf seinen Vorteil, versucht er Senta für seine Zwecke auszunutzen. Als Daland dann seinen Favoriten mit in sein Haus bringt, und Senta sich endlich ihrem Traumprinzen gegenüber sieht, steht ihrem Glück eigentlich nichts im Wege - eigentlich. Aber auch der Verdammte versucht sich Senta durch Druck und Drohungen mit der ewigen Verdammnis gefügig zu machen. Im Traum erlebt Senta ihren eigenen Tod - einen auch von Wagner geforderten Sprung von einer Felsenklippe - und erwacht.
Das Schlußbild zeigt die reale und die Traum-Senta vereint als selbstbewußte Frau, die sich von allen Männern in ihrem Leben, aber auch von ihren Jungmädchenträumen trennen wird.

Regietheater der besten Sorte
Reinhardt Frieses mutig angelegtes Konzept geht nicht nur deshalb auf, weil er mit Susanne Mucha eine exzellente Schauspielerin im Ensemble hat, die scheinbar mühelos ihre stumme Rolle bewältigt. Auch „Regietheatereinfälle“ wie die Damen des Balletts als wollweiße „junge Schwänchen“ oder viel besser als wildgewordene Spinnräder auf Extasy im Spinnstubenbild, die Herren des Balletts als tote Marionettenholländer im letzten Bild, wie so oft sind die Choreographien Barbara Busers berückend, tragen zu diesem Nachtmahr bei.
Walter E. Gugerbauer, der den Posten als GMD von Arn Goerke übernahm, setzt mit seinem Einstand einen Markstein. Seine „Mannen“, in fast kompletter Besetzung, spielen die Partitur makellos, aber nicht leidenschaftslos. Nie wird ein Sänger übertönt nur um den „typischen“ Wagnerklang zu bekommen, Gugerbauer weiß, wann er die Dynamik drosseln muß, wann er aufdrehen darf. Allein die Orchesterleistung war mir schon ein Fest.


Tanja Christine Kuhn, Alexander Geller - Foto © H. Dietz, Hof

Gelungene Einstände
Seit der Saison 2017/18 gibt es in Hof ein paar neue Gesichter. Minseok Kim überzeugt als Dalands Steuermann, Rainer Mesecke ist ein abgründiger Daland. An dieser Stelle Gratulation zum gelungenen Einstand, man freut sich auf weitere Produktionen.
Stefanie Rhaue, ein Hofer Urgestein, singt und spielt die Mary als bösartig sadistischer Quälgeist, James Tolksdorf einen stimmlich wie auch szenisch elegant barocken Holländer. Alexander Gellers Erik verführt mit seinem virilen Tenor. Die eigentliche Überraschung dieser Produktion ist aber Tanja Christine Kuhn. Die junge Sängerin war schon als Mi im „Land des Lächelns“ zu Gast in Hof. Hier wie da war sie in ihrer doch so unterschiedlichen Rollen hinreißend.


Minseok Kim, Susanna Mucha, Rainer Mesecke, Ensemble - Foto © H. Dietz, Hof

Fantastische Ensembleleitung
Der mit einigen Gastsängern verstärkte Opernchor wurde von Hsin-Chien Fröhlich und Claudio Novati vortrefflich einstudiert.
Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Einzelteile, egal ob die Schwerpunkte nun auf der musikalischen Seite, der Regie oder in der fantastischen Ausstattung liegen. Zu diesem überwältigenden Abend tragen aber auch viele Menschen hinter der Bühne bei. Mehr als lobend will ich hier, ohne andere Gewerke zu vernachlässigen, das Maskenbild und die lautlos arbeitende Technik erwähnen.
Um ein abschließendes Fazit zu ziehen, dieser Holländer lohnt jeden Kilometer Autobahn!

Alexander Hauer, 22. September, Premiere