Sinnlich, saukomisch - Bexte bewegt

Bettina Bexte – „Fluch der Akribik“

von André Poloczek

© Bettina Bexte
Bexte bewegt
 
André POLOczek über
Bettina Bextes Cartoonbuch
„Fluch der Akribik“
 
Den kleinen, zusammensteckbaren Tuschepinsel hat sie, glaube ich, immer dabei. Es gibt von ihr wunderbare Skizzen aus Cafés und von öffentlichen Plätzen, die genau mit diesem Reise-Pinsel und schwarzer Tusche gemacht sind. Bettina Bexte ist Vollblutzeichnerin. Kein Tag ohne Strich, ohne Zeichnen geht es nicht bei der in Hamburg geborenen und seit vielen Jahren Bremen lebenden Cartoonistin Bettina Bexte. Es darf wohl auch mal der Bleistift sein: im vergangenen Jahr wurde sie mit dem „Bronzenen Bleistift“ des „Deutschen Karikaturenpreises“ ausgezeichnet.
Ihre Skizzen haben immer schon den Charme und die Frische, die sich später in den gedruckten Cartoons wiederfinden. Die sind schnell gezeichnet, grafisch gekonnt und komisch. Oft entsteht in den Vorzeichnungen auch schon Bextes Cartoon-Personal. Die Figuren sind auffällig häufig in Bewegung, was schon deshalb auffällt, weil die Zeichnung an sich ein eher statisches Medium ist und in Cartoons im Allgemeinen gerne auch nur gesessen oder gestanden wird. Der Witz findet sich dann in der Sprechblase.
 
Aber Bexte mag die Aktion, die Komik in der Bewegung. Bei Bexte tut sich was, bei Ihr sehen wir etwa die durch und durch männliche Variante des Bauchtanzes – Männer, die pseudoerotisierend beim „Bierbauchtanz“ ihre Wampen zum Schwingen bringen. Ebenso geschlechtsspezifisch geht es bei Bextes Geschlechtsgenossinnen zu. Ein Cartoon zeigt Frauen im besten Alter und in durchweg einteiliger Schwimmkleidung. Das Wort „Beckenbodengymnastik“ deuten sie neu und machen ihre Übungen am Boden eines graphisch herrlich hellblau gefliesten Schwimmbeckens eines Hallenbades. „Linkes Bein hoch!“ hatte wohl die Anweisung der Vorturnerin gelautet, und weil die Gymnastikstunde unter Wasser stattfindet, kommt diese Zeichnung zwar ohne Sprech- nicht aber ohne Luftblasen aus, die durchs Chlorwasser nach oben steigen.


       © Bettina Bexte

In Bexte-Cartoons wird geradelt, Staub wird gesaugt und Laub geblasen, Leitern wollen erklommen und Fußballtore wollen bejubelt werden. Keine Frage, Bexte liebt die Bewegung. Das war wohl schon während ihres Studiums in Hamburg so, wo sie neben Illustration auch Trickfilm studiert hat.
Für ihr jetzt im Eigenverlag erschienenes Buch „Fluch der Akribik“ greift sie gleich zweimal zu unterschiedlichen Mitteln, um ein Cartoonbuch

         © Bettina Bexte
tatsächlich in Bewegung zu versetzen. Wenn ich mein Exemplar ungezielt aufschlage, lande ich immer auf der Doppelseite „Halbzeitpause“. Das wird vielen Leserinnen und Lesern genau so gehen, denn „Halbzeitpause“ ist ein Pop-up-Blatt, das schon buchbinderisch aus dem Rahmen fällt. Zur Hälfte aufgeschlagen, also wenn das linke Blatt senkrecht steht, ist die 3-D-Szene komplett, und die Herren, die zuvor noch flach auf dem Boden lagen, stehen vor dem Spiegel. Womöglich hat sich die Zeichnerin für dieses Kabinettstück in Sachen Buch-Komik dafür in die Umkleidekabine des Weserstadions – sie wohnt sehr in der Nähe – begeben. Wir sehen sechs Männer in Fußball-Trikots vor einem Cinemascope-Spiegel stehen, sie stehen wirklich, und was die Spieler da an Hairstyling-Übungen hinlegen, grenzt an Zirkeltraining in Sachen Selbstverliebtheit. Da werden Locken gedreht, da wird geföhnt und da werden Strähnen gegelt (schreibt man das so, wenn Gel in Haare massiert wird?). Kein Handy, kein Tablet-PC erlaubte uns derartig tiefe, dreidimensionale Einblicke in die Halbzeit-Toilette der Kicker; hier müssen wir nur das Buch aufschlagen.
 
Etwas mehr Arbeit für die Lesenden bringt der beigelegte Bastelbogen für ein Daumenkino mit sich. Dreißig sonderbriefmarkengroße Kärtchen wollen geschnitten und durch ein eingeklebtes Gummiband im Cellophantütchen gebunden werden, um den „Film im Buch“ zu erstellen.
Für das Daumenkino muß man den Filmschnitt eben selber machen, aber in Zeiten, in denen auch digitale Medien auf Interaktion setzen, ist das nicht zu viel verlangt. Der Lohn für die Schneidearbeit ist ein sehr analoger Kurzfilm, der selbst im Weißen Haus in Washington verstanden würde - schon deshalb, weil er sogar die maximale Zeichenmenge von Twitter deutlich unterschreitet. Die Sinnhaftigkeit des Satzes erschließt sich erst, wenn man das Bexte-Buch „Fluch der Akribik“ kauft, die Bastelarbeit nicht scheut und sich das Daumenkino durch die Finger laufen läßt.
 
Und für solch ein sinnliches, saukomisches Buch hätte sich kein Verlag gefunden? Nein! Darin steckt so viel liebevolle Detail- und Handarbeit, daß es aus verlegerischer Sicht durch jede Kalkulation gefallen wäre. Circa tausend handgeklebte Pop-Up-Männerumkleiden und ebenso viele Tütchen mit Gummibändern auf der Innenseite des Buchdeckels!? Das rechnet sich nicht für einen Verlag. Daß es das wunderbare Buch dennoch gibt, liegt daran, daß Akribie, oder Akribik, eben wirklich ein Fluch ist. Die Vermutung, daß der Cartoonistin in den Stunden der Heimarbeit auch der ein oder andere Fluch über die Lippen gekommen ist, kann nicht bestätigt werden. Vielmehr wirkten die monotonen Klebearbeiten kontemplativ - „fast wie eine Meditation“ - sagt die Zeichnerin, die durch ihr neues Buch auch zur Verlegerin und Logistik-Managerin geworden ist; schließlich übernimmt sie auch den Vertrieb des Buches auf Ihrer Homepage: http://www.bettina-bexte.de/shop .
Vielleicht sind Frauen eben doch multitaskingfähig.
 

             © Bettina Bexte

Bettina Bexte – „Fluch der Akribik“
© 2017 Selbstverlag, 25,00 €, ISBN 978-3-00-057162-6
Mehr Informationen: www.bettina-bexte.de


Bettina Bexte beim Lösen eher logistischer Probleme - Foto © Kerstin Rolfes

.... und Andreas Greve (www.andreasgreve.de) stiftet Vorwort-Verworrenheit, stellt die Akribie auf den Kopf und damit auf die Füße. Schließlich hat der Perfektionismus viel häufiger ins Scheitern denn ins Gelingen geführt. Wahrhaft große Findungen und Genialisches sind eher dem Zufall, als der Akribie zu verdanken; das gilt für die Naturwissenschaften und die Künste gleichermaßen.