Arsen und Überzeugung…

„In Vino Veritas “ Eine Produktion des Bergischen Uni-Theaters

von Frank Becker

Das Böse ist immer und überall... - Niklas Selz- Foto © BUnT
Arsen und Überzeugung…

Joseph Kesselrings Kriminalkomödie
Arsen und Spitzenhäubchen politisch konterkariert
 
„In Vino Veritas - Wie weit darf Überzeugung gehen?“
Eine Produktion des Bergischen Uni-Theaters
 
„Stellt euch vor, ihr könntet ins Jahr 1909 reisen. Nach Österreich.
Und geht dort zusammen mit einem jungen Künstler namens Adolf Hitler
trinken. Bringt ihr ihn um? Tötet ihr ihn an Ort und Stelle, auch wenn er
bis dahin noch nichts getan hat?“ (Paul)
 
Regie: Frida Stein – Bühne: Frank Zobel, Anouk Uyandiran, Rebekka Herring – Überleitungen am Keyboard: Jens Reddemann – Kostüm & Maske: Michelle Middelhoff Technik: Benjamin Blum
Besetzung: Raphael Hausmann (Aurel) – Yvonne Schnickmann (Jule) – Michelle Middelhoff (Melinda) – Marc Busch (Paul) – Rebekka Herring (Sophie) – Ludwig von Kaltenstein (Niklas Selz) – Kommissarin Eva Leitner (Anouk Uyandiran) – Freddy (Sebastian Berg) – Judith Fronbeck (Verena van der Linde) – Sexist (Robin Smets) – Rassistin (Rebecca Hoven) – Klimawandelskeptiker (Arne Fahrenkrog) – Luise (Leandra Tripp) – Maria (Lena Lankes)
 
Wer kann die Wahrheit für sich reklamieren? Und: Wie weit darf Überzeugung gehen? Soviel schon hier: Diese Fragen bleiben in der jüngsten Produktion des Bergischen Uni-Theaters unter der bewährten Regie von Frida Stein unbeantwortet. Fünf pseudo-linke Studenten, die in eigener Wahrnehmung liberal und politisch korrekt denken, leben gemeinsam in einer Münsteraner WG. Das zufällige Zusammentreffen mit dem traumatisierten Ex-Afghanistan-Soldaten Freddy (beachtlich: Sebastian Berg), der sich als Holocaust-Leugner (und später als Kindesmörder - eine fade späte Rechtfertigung) entpuppt, eskaliert zu einem gewalttätigen Streit, in dessen Verlauf der im Grunde friedfertige Aurel (Raphael Hausmann) ihn in Nothilfe niedersticht. Von der Situation überfordert rufen sie nicht die Polizei, sondern vergraben die Leiche im Garten und vertuschen die Tat. Das als Tomatenbeet getarnte Grab wird nicht das einzige bleiben und gute Erträge bringen…


Frau Pastorins Ende ist beschlossen - v.l.: nn, Marc Busch, Raphael Hausmann, Yvonne Schnickmann, Verena von der Linde,
Rebekka Herring, Michelle Middelhoff - Foto © BUnT

Jule (wuchtig aggressiv: Yvonne Schnickmann) sieht in der Tat eine Initialzündung: Wieso nicht mehr solcher Arschlöcher, ohne die es auf der Welt besser aussähe, eliminieren? Aus der theoretischen Überlegung, ob man im Bewußtsein der späteren Verbrechen Adolf Hitlers als Zeitreisender ins Jahr 1909 den erfolglosen Kunstmaler umbringen würde, um die Zukunft zu verändern, entsteht eine Auseinandersetzung mit dem Jetzt. Fortan laden die fünf mehr oder weniger extrem Andersedenkende zum Essen ein, um herauszufinden, wer eine Gefahr darstellt und weg muß. Mit Arsen versetzter Wein wird fort an das Urteil volltrecken. Doch hier beißt sich der Plan in den Schwanz, denn die fünf entwickeln genau die faschistoide Haltung des „Die Wahrheit gehört uns“, die sie in ihrer unsäglichen Hybris „ausmerzen“ wollen. Ein Meinungsaustausch mit den Andersdenkenden findet nicht statt. Ein paar knappe Sätze und die Opfer sind eingeordnet und tot – die homophobe Erweckungs-Pastorin (erschreckend glaubhaft: Verena van der Linde), der Sexist (witzig angelegt: Robin Smets), die zu simpel gezeichnete Rassistin (Rebecca Hoven), der Klimawandel-Skeptiker (Arne Fahrenkrog), der schon nach ein paar „falschen“ Worten abgemurkst wird, Luise (Leandra Tripp), die von Melinda scheints aus reiner Mordlust abgestochen wird, ebenso die ermittelnde Kommissarin (solide verkörpert von Anouk Uyandiran), die unter Jules Fleischerbeil ihr Leben aushaucht. Nur Maria (Lena Lankes) entkommt, als Sophie dem Wahnsinn ein Ende bereitet.


Ein Sexist witzelt sich um Kopf und Kragen - v.l.: nn, Marc Busch, Raphael Hausmann, Robin Smets,
Michelle Middelhoff, Rebekka Herring - Foto © BUnT


Für Luise wirds brenzlig - v.l.: Rebekka Herring, Leandra Tripp,
Michelle Middelhoff - Foto © BUnT
In einer geschickt angelegten Rahmenhandlung gibt Niklas Selz mit eingestreuten Spots gelungen den smarten populistischen TV-Moderator Ludwig von Kaltenstein, der mit rechtsnationalen Parolen gezielt provoziert. Er gerät als letzter per Zufall in die mörderische Runde, bringt mit raffinierter Argumentation Unsicherheit in die Überzeugung der Gruppe, soll dann aber, als echte Gefahr erkannt, doch das prominenteste Opfer der Serie werden. Aber es kommt ganz anders…
Das eigentliche Problem aber wird in dieser Inszenierung, trotz aller Spielfreude der spürbar engagierten Mitwirkenden, lediglich angerissen. Die Brisanz fällt der Groteske, die politische Diskussion der Krimi-Klamotte zum Opfer, Argumente werden zu flach eingesetzt, das absehbare, politisch allzu tendenziell angelegte böse Ende überrascht kaum. Dennoch ein großer Publikumserfolg vor vollem Haus und mit gut plazierten Pointen und durchaus dramatischen Momenten ein sehr unterhaltsamer Abend, wenn man sich von der Erwartung eines Lehrstücks verabschiedet. Daß im Wein nicht die Wahrheit liegt, nimmt man immerhin als Botschaft mit.


„Gift in den Händen eines Weisen ist ein Heilmittel,
ein Heilmittel in den Händen des Toren ist Gift.“
(Giacomo Casanova)
 

Die Premiere fand am 19.1.2018 in Hörsaal 14 der Bergischen Uni statt. Zusätzliche Vorstellungen: dort am 26. und 27. Januar.