Eine wahre Geschichte, und wahrlich keine schöne

„I, Tonya“ von Craig Gillespie

von Renate Wagner

I, Tonya
(USA 2017)

Regie: Craig Gillespie
Mit: Margot Robbie, Allison Janney, Sebastian Stan, Caitlin Carver u.a.
 
Es ist wieder einmal eine wahre Geschichte, und wahrlich keine schöne. Wer weiß, ob man den Namen Tonya Harding heute noch kennte, wenn sie nur die erste Amerikanerin gewesen wäre, die einen dreifachen Axel springen konnte. Vielleicht allerdings hätte sie noch einige Preise gewonnen (1991 war sie US-amerikanische Meisterin im Eiskunstlauf der Damen), wenn ihr Exmann und ihr Bodyguard (ob mit ihrem Einverständnis oder nicht, da gehen die Aussagen auseinander) nicht ihre Konkurrentin Nancy Kerrigan schwer verletzt hätten, um sie für die Olympiade auszuschalten. Der Schuß ging nach hinten los – es war Tonya Hardings Karriere, die ein für alle Male zu Ende war. Und ihr Ruf desgleichen.
Warum einen Film über sie drehen? (Die originale Tonya ist in der Realität heute noch keine 50 Jahre alt.) Die Antwort mag lauten: Weil man es kann, gut kann, mit dem richtigen Drehbuchautor (Steven Rogers), dem richtigen Regisseur (Craig Gillespie) und zwei Idealbesetzungen – Margot Robbie als Tonya Harding und Allison Janney als LaVona Fay Golden, Tonyas Mutter, eine atemberaubende Leistung, zu Recht mit dem „Nebenrollen“-Oscar ausgezeichnet.
 
Dramaturgisch soll der Film wie eine Dokumentation funktionieren, Tonya sitzt vor einer Kamera und spricht über sich selbst. Schon da offenbart sie sich (Margot Robbie macht das unnachahmlich) als reines Proletengeschöpf, die mit zynischer Attitüde in patzigem Ton erzählt, was man dann zu sehen bekommt.
Die Rückblenden gehen zurück bis in die frühe Kindheit des kleinen Mädchens in Portland Oregon. Dort hält ihre Mutter sie eisern bei der Hand und zwingt die Vierjährige einer Trainerin auf. Sie treibt sie gnadenlos an, prügelt sie, wenn sie wütend ist („Dann fährt sie besser“), sorgt für die Ausnahmestellung der kleinen, schwierigen Tochter am Eis: „She does not fit in, she stands out“, immerhin das weiß die Mama sicher.
Tonya wird älter, die Ehe der Eltern zerbricht, auf einander einzuprügeln, ist brutale Unterschichts-Familiengewohnheit, die sich ihr Leben lang fortsetzt. Sie war nie ein „Girlie“, sondern immer eine stämmige Athletin mit einer angeborenen Begabung für das Eis: Offenbar gab es nichts anderes in ihrem Leben, das sie konnte und wollte.
 
Margot Robbie hat für diesen Film eislaufen gelernt (“I did four months of training, five days a week, four hours a day“, erzählte sie in einem Interview), bis auf den dreifachen Axel scheint sie alles (oder viel) selbst gemacht zu haben – überzeugend. Eine kraftvolle Blondine auf dem Eis, eine Persönlichkeit, sexy und unangepaßt (so wilde Shows, wie sie sie tanzte, wagten die anderen nicht). Egal, was sie erreichte, im Hintergrund stand die böse Mutter, die sie herunter machte…
Tonya Harding hatte nicht viel Glück: Als sie Jeff (Sebastian Stan) heiratete, wieder ein prügelnder Proletarier, erlöste sie das nicht aus ihrer Elendsexistenz, die mit dem Glitzerleben auf dem Eis so gar nichts zu tun hatte. Aber „I knew I was the best skater in the world“. Neben ihr stand, anders, zarter, aber gleichwertig, Nancy Kerringan (Caitlin Carver). In den Interview-Szenen gibt Tonya sich als „beste Freundin“ aus – wer würde schon seine Freundin attackieren?
Die Situation spitzt sich zu (und der Film zeigt das drastisch): Die Mutter klinkt sich aus der Karriere der Tochter aus, sie läßt sich von Jeff scheiden, sie muß als Kellnerin arbeiten, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen, und man will sie, als zu unangepaßt, eigentlich nicht an der Olympiade 1994 teilnehmen lassen. Wie so oft erkämpft sie sich ihre Chance – und dann kommt es zu dem „Attentat“ auf Nancy Kerrigan, die große Rivalin. Wie war es wirklich?
Auch das FBI, das Jeff und den Leibwächter als Schuldige ausmachte (beide beschuldigten dann Tonya), bekam es nicht heraus. Die Mutter als Verräterin hat es versucht, ihr ein Geständnis abzuluchsen, aber Tonya roch den Braten. Und der Richter gab Tonya die Strafe ihres Lebens: Ausgeschlossen vom Profi-Eissport für alle Zeiten. Ein Urteil, wie es „lebenslänglich“ für sie nicht härter hätte sein können… „I am not some monster“, sagte sie. Schickt mich ins Gefängnis und laßt mich nachher wieder eislaufen. Man ließ sie nicht.
 
Am Ende sieht man eine Tonya, die versucht, sich ihr Leben mit Damenboxen zu verdienen. Und ganz am Ende gibt es die Szenen der echten Tonya Harding auf dem Eis – sie hatte schon war drauf, um es so flapsig auszudrücken. Und obwohl sie in diesem Film keine Minute „sympathisch“ herauskommt, kann man ihr – dank Drehbuch, dank Regie – das Mitgefühl nicht versagen. Sie war auch ein Opfer der Umstände, „white trash“, das auch im Glitzerkleid des Eisstars die Welt und die Geisteshaltung, aus der sie kam, nicht hinter sich lassen konnte…
 
Trailer   
 
Renate Wagner