Die Kippe und das Glas

Jim Heimann / Steven Heller – „20th Century Alcohol & Tobacco Ads“

von Frank Becker

© TASCHEN GmbH
Leidenschaften:
Die Kippe und das Glas
 
Alkohol & Tabak in der US-Werbung
 
Raucher stehen heute bei Minustemperaturen zitternd auf Balkonen und auf Gehwegen vor Kneipen. Das sorgt für Ärger bei Passanten und ungemütliche Leere im Lokal. Plakatwände, die mir früher Lebenslust, Freiheit und gesellschaftliche Akzeptanz suggerierten, schreien mich jetzt an: „Rauchen tötet dich und deine Spermien und den Nachbarn“. Ekelhafte Schockbilder auf Zigarettenpackungen stören zwar den Raucher nicht, sorgen aber beim Nichtraucher, also bei mir, für Brechreiz. Ent-setz-lich. Verteufelt wird der Raucher, aber der Leidtragende ist der artige Nichtraucher. Wo ist das ganze Vergnügen, wo die Eleganz des Rauchens geblieben, die wir Ihnen in unserer Kolumne „Als das Rauchen  noch Spaß machte“ in unserem Feuilleton präsentiert haben? Wo das an die Decke gehende HB-Männchen, das durch den Genuß einer Zigarette wieder auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt wurde? „Unbeschwert genießen“ war die Devise. Perdu.
 
Es gab doch einmal eine Zeit, in der - wegen der eingenommenen Steuern sicher auch staatlich gewünscht und gefördert – die Zigarette, dank der entsprechender Inhaltsstoffe im Tabak beruhigend und konzentrationsfördernd zum Arbeitsprozeß gehörte und in Freizeit und Gesellschaft ebenso zum guten Ton gehörte, wie der trocken Martini, der Whisky on the Rocks oder das Fläschchen Bier. Denn wer unter den früheren Fernsehzuschauern erinnert sich nicht an die sonore Stimme von Harry Hardt, die uns klarmachte: „Wenn einem also Gutes widerfährt, das ist schon einen Asbach Uralt wert“. Der gepflegte Feierabend-Drink, der Glimmstengel dazu – das stand für das Ende des Arbeitstages, für Freiheit und Entspannung. Die Risiken von beidem blieben im Verborgenen, denn als „unschlagbares Erfolgsduo der Risikosubstanzen haben Nikotin und Alkohol Generationen von Werbeschaffenden ein solides Einkommen gesichert und zu solch kreativen Höchstleistungen angespornt, daß es lange unvorstellbar schien, es könne mal auseinandergehen“, heißt es im Klappentext einer wunderbaren Sammlung von amerikanischen Werbeanzeigen aus 100 Jahren, die, von Jim Heimann und Steven Heller zusammengestellt, den enormen und enorm erfolgreichen Werbeaufwand belegen, der bis heute für die Suchtmittel Nikotin und Alkohol betrieben wird.

 
 Lucky Strike 1935, Seite 123
 
Es ist das „Loblied auf den entspannten Genuß nach harter Arbeit Müh, das Millionen jahrzehntelang voller Inbrunst angestimmt haben, wenn auch vielleicht nicht mit optimalem Lungenvolumen.“ Es gehörte schlicht zum gesellschaftlichen Kontext, zu rauchen. So wie jeder Mann – Büromensch oder Arbeiter der Hand - früher rauchte und dabei am Abend seinen Drink nahm, wurden Frauen, noch bevor sie ohne Erlaubnis des Ehemannes den Führerschein machen durften, zum Zigarettenkonsum animiert. Sogar als Diät-Tip werden Zigaretten empfohlen: „Reach for a Lucky instead for a sweet“.
„Der Tag geht, Johnnie Walker kommt. Vielleicht bringt er Jim Beam, Captain Morgan oder Herrn Heineken mit“, heißt es im Buch und: „Unter Freunden schmeckt die Lucky, Pall Mall oder Chesterfield noch mal so gut.“ Jahrzehntelang war es dem Menschen gar nicht möglich, sich ohne Zigarette und Alkohol zu entspannen, wurde ihm durch die aggressive Werbung suggeriert. Selbst der Weihnachtsmann qualmte nach getaner Arbeit (S. 63), noch bevor er sich auf Coca Cola besann.
Schauen Sie einmal ein paar alte Filme oder später Fernsehspiele aus den 1930ern bis in die 1980er an: Sie werden fast keine Nichtraucher finden, da wurde gequarzt, was das Zeug hielt.
Sichtbar wird auch die Zunahme an Werbung während und durch die beiden Weltkriege, in denen vor allem Zigaretten als Unterstützung der Moral der Soldaten beworben wurden. Das US-Miltär führte sogar die Zigaretten-Zuteilung für seine Soldaten ein, die erst 1975 eingestellt wurde. Nicht nur der Name „Lucky Strike“ wurde dadurch weltweit transportiert und bekannt.

 
 Schlitz 1951, Seite217
 
„Leider ist der Marlboro-Mann vom Zigarettenholen nicht zurückgekommen, und die Flasche steht nun verwitwet da. Wird sich der Tabak von seinem All-Time-Low in der allgemeinen Wertschätzung noch einmal erholen? Nein. Wie soll man sich nach vollbrachter Leistung im Hamsterrad der Konkurrenzgesellschaft nun bloß erholen?“, fragen die Herausgeber. Zumindest für die 1950er-1980er Generationen stellt sich die Frage besonders intensiv.
Der opulent gestaltete voluminöse Sammelband „20th Century Alcohol & Tobacco Ads“ mit Werbekampagnen der US-Tabak- und Spirituosenbranche ist nicht nur ein Spiegel der Gesellschaft jener Epochen und ihrer Manipulation durch die Wirtschaft, der den Tanz ums goldene Kalb zeigt (vgl. Vortitel und S. 70 „Murad“) er offenbart auch die Einbindung bekannter Künstler, Schauspieler, Sänger, Sportler, TV-Show-Stars und Graphiker, die sich damit als populäre Vorbilder und Leitfiguren zu den Genüssen des Rauchens und des Alkohols bekannten.
 
Prominente warben für legendäre Tabak-Marken wie Murad, Old Gold, Pall Mall, Marlboro, Winston, Kent, Viceroy, Benson & Hedges, darunter Edie Adams (Muriel), Al Jolson, Carole Lombard, Miss America, Joan Crawford, Myrna Loy, Marlene Dietrich (Lucky Strike), Bing Crosby, Perry Como (Chesterfield), Bob Cummings, Lucille Ball, Desi Arnaz (Philip Morris), Henry Clay Foster, Fredrick West, John Wayne, Phil Silvers (Camel) oder die Biere Schlitz, Rheingold, Budweiser, Hamm´s, Goebel, Pabst Blue Ribbon, Burgermeister/Burgie und Schaefer und Blatz.
Adolf Loos zeichnete das Logo für die „American Bar“, die Pin-Up-Künstler George Petty und Harry Ekman (?) für Old Gold Zigaretten, Paul Jones für Camel und Norman Rockwell für Four Roses Whiskey. Zsa Zsa Gabor warb für Smirnoff Vodka, Sean Connery für Jim Beam, Orson Welles für Whisky, Yul Brynner für Lauder´s Scotch, Larry Hagman für Black Velvet, Chuck Berry für Christian Brothers Brandy und Liberace für Blatz (um nur einige zu nennen). Interessant isr auch die Veränderung des VErpackungs-Designs zu beobachten - Lucky Strike ist ein besonderes Beispiel dafür.
Mit diesem Wälzer können sich passionierte, heute stigmatisierte Freunde des blauen Dunstes und des gepflegten Hangover noch einmal zurücklehnen und sich wehmütig an die Zeiten trauter Zweisamkeit von Quarzen und Trinken erinnern. Informative Zeitschienen am unteren Seitenrand begleiten die nach Jahrzehnten geordneten Kapitel.

 
 Old Gold ca. 1950
 
Jim Heimann / Steven Heller – „20th Century Alcohol & Tobacco Ads“
© 2018 TASCHEN GmbH, 392 Seiten, Hardcover, Schutzumschlag, 23,8 x 30,2 cm, reich illustriert, Zeitschienen, Auswahl-Index – ISBN: 978-3-8365-6652-0
Mehrsprachige Ausgabe: Deutsch, Englisch, Französisch
 
Weitere Informationen: www.taschen.com