...mit dem Herzen lesen

Michael Zeller – „Die Sonne! Früchte. Ein Tod“

von Frank Becker

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Vor knapp 100 Jahren starb in Worpswede im Alter von nur 31 Jahren, kurz nach der Geburt ihres ersten und einzigen Kindes die Malerin Paula Becker, verheiratete Modersohn, an einem Herzschlag (eine Embolie sei es gewesen, heißt es anderswo). Trotz intensiver künstlerischer Arbeit und Ausbildung stets im Schatten ihres Mannes Otto Modersohn stehend, wurde ihr Werk öffentlich erst spät als eigenständig anerkannt.
Michael Zeller hat einen der letzten Lebensabschnitte der Künstlerin in einem wunderbaren kleinen Roman und der fiktiven Begegnung mit dem ebenso fiktiven Schriftsteller Hans Anderland nachgezeichnet: den letzten Aufenthalt Paulas (so nennen wir sie einfach vertraulich mit Anderlands Sprache) in Paris, als sie Tür an Tür mit jenem die Bohème dieser Zeit lebte. „Die Sonne! Früchte. Ein Tod“ hat Zeller den Roman getitelt - bei der Gestaltung des Umschlags wurden die Begriffe im Sinne von Paulas schweren Farben umgesetzt. Ich spare es mir nicht bis zum Schluß der Besprechung auf, weil ich es gleich hier und jetzt loswerden will: eine Trouvaille!

Der Deutsche Hans Anderland hat 1906 in Paris ein möbliertes Zimmer bezogen, um in Ruhe ein Marat-Drama und vielleicht ein wenig Prosa zu schreiben. Unvermeidbar lernt er die Zimmernachbarin kennen, eine junge Malerin, in die er sich bald mit heißer Eifersucht auf alles Männliche verliebt, das ihr Leben berührt. Da wäre zunächst einmal ihr Ehemann Otto Modersohn, vor dem sie nach Paris geflohen ist, um frei arbeiten zu können. Dann ist da ein manierierter deutscher Dichter namens Rilke, der Paula seine Aufwartung macht, von ihr gemalt wird und den armen Anderland nach allen Regeln abkanzelt. Schließlich tritt ein dritter Verdächtiger ins Bild, ein Bildhauer Hoetger, dem Hans Anderland ebenfalls nur schlechte Motive unterstellen mag. Wir wissen es aus der Geschichte: Paula wird ihrem Mann wieder nach Worpswede folgen und bald darauf sterben. Anderland hat keine Chance.
Wie Michael Zeller den herzklopfenden Alltag Anderlands, seine hoffnungslose Verliebtheit, zarte Annäherungen, das sich um Kopf und Kragen reden und einen katastrophalen „Absturz“  schildert, ist ein einziger Genuß. Mit Eleganz, genialen Wortfindungen und bildhaften Beschreibungen  nimmt er der Worpsweder Malerin die ihr anhaftende Erdenschwere. Das Aufeinandertreffen der dramatis personae in herrlichen Dialogen ist einfach delikat, seinem Protagonisten - in den er durch die Wahl der Warte des Ich-Erzählers hineinschlüpft - gibt er mit warmer Ironie beinahe pubertäre Züge. Zugleich wird bei der Lektüre deutlich, wie intensiv Zeller sich mit den Biographien der verwendeten realen Personen sowie deren Werk beschäftigt hat. Die Gemälde Paulas z.B., die er im Roman auftauchen und eine Rolle spielen läßt, sind sämtlich im Werk der Malerin wiederzufinden. Zeller beweist Seite um Seite saftiges Erzähltalent, das in der im Nachwort kunstfertig konstruierten Biographie Anderlands seine Krönung findet.
 
Der Verlag ars vivendi veröffentlicht aus Anlaß des 100. Todestages von Paula Becker nach zwanzig Jahren den bereits 1987 erschienenen kleinen Roman noch einmal in vierter Auflage. Ein lohnendes Unterfangen, denn „Die Sonne! Früchte. Ein Tod“ ist sicher eines der besten Bücher über Paula Modersohn-Becker, führt trotz aller Fiktion und Wahrheitsferne dennoch dichter an die Malerin der Sehnsucht heran, als es manch „ernste“ Sekundärliteratur zu Leben und Werk der Künstlerin vermöchte. Und es ist von wohltuendem Humor durchdrungen, einer Heiterkeit, die oft genug schmunzeln läßt, im „Nachwort des Herausgebers“ gar zu herzlichem Lachen, ist dieses Nachwort allein doch schon ein frecher, lesenswerter kleiner Geniestreich.

Michael Zeller – „Die Sonne! Früchte. Ein Tod“
Roman
© 2007 ars vivendi, 137 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag
12,90 €

Weitere Informationen unter: www.arsvivendi.com - www.michael-zeller.de