Michael Zeller: Seh-Reise (16)
Mit Bildern durch das Jahr
16. Ausfahrt: Rembrandt van Rijn
Die Kunstpostkarte aus meinem Sammlerleben, die mir diese Woche das Prinzip der Dezimierung beschert hat, ist den Augen keine Freude gewesen, trotz des einschüchternd großen Namens: Rembrandt! Die Abbildung blieb mir fremd, ich konnte mich in keinerlei Beziehung zu diesem barocken Prunkfetzen setzen – und mochte es bald auch gar nicht mehr. Eher ging mir die Frage nach, warum ich damals, in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts, bei einem der ersten Besuche der Gemäldegalerie Dresden, diese Karte überhaupt mitgenommen habe. Da muß mich der berühmte Name geblendet haben – oder hatte der „Volkseigene Betrieb Verlag der Kunst“ nur eine karge Auswahl vorrätig? Wie so manches aus meinem früheren Leben ragt auch das Bild „Rembrandt mit Saskia in der Rolle des Verlorenen Sohnes“ in die Gegenwart hinein, ohne daß ich dazu noch einen Bogen schlagen kann: Allzu weit, zu fern.
Zwei jüngere Menschen, Mann und Frau, in den Prunkgewändern ihrer Zeit. In Rückenansicht gegeben, drehen beide ihren Hals und schauen den Betrachter an: Sie (Saskia), ein vages Lächeln auf ihren leicht geöffneten Lippen. Ihm dagegen (dem Maler selbst) steht das breite Lachen im Gesicht, passend zu dem erhobenen Sektkelch, mit dem er dem Betrachter zuprostet. Doch es sind kaum die Gesichter der beiden, die den Blick auf sich ziehen. Es ist die Pracht ihrer Gewänder, des reich ausgestatteten Salons. Saskia sitzt, fein frisiert, inmitten der Stoffmassen eines grünen Kleides, gerafft und tailliert und mit allerlei Bändern geschmückt. Der Galan in rotgoldener Bluse, den goldenen Ehrendegen an seiner Seite. Auf dem gelockten schulterlangen Haar sitzt ihm ein Barett aus schwarzem Samt. Darauf noch, zu allem Überfluß, ein weißes Fell (oder ähnliches). Die beiden Personen lächeln und lachen aneinander vorbei. Auch die Hand, die der Galan seiner Holden auf den Rücken gelegt hat, liegt dort so beziehungslos wie auf einem der herumstehenden Plüschsessel. Ein schieres Abbild der damaligen Zeit, kam es mir unter der Woche hohl und leer vor, ganz und gar. Die beiden dargestellten Personen so austauschbar, Staffagen ihres Wohlstands. Keinerlei Neugier treibt mich an, über diese ferne Zeit nachzudenken, in den dreihundertfünfzig Jahren, die uns trennen, Spuren einer Lebendigkeit zu entdecken, die auch noch heute gilt oder gelten könnte. Wie dieser pompöse Jüngling gar den abgerissen heimkehrenden Verlorenen Sohn der Bibel verkörpern soll – davor versagt meine Phantasie vollends. Wohin ich auch schaue: Die gemalte Szene bleibt stumm für mich. Mit dem silbernen Pfau mag ja ein Funke Selbstkritik gemeint sein, doch mir ist längst jede Deutungslust abhanden gekommen. Das Bild stammt aus Rembrandts früher Werkphase – vor Saskias Tod und Rembrandts finanziellem Zusammenbruch. Und wer sagt denn überhaupt, daß alles aus einer Hand ein Meisterwerk sein muß, selbst wenn sein Name Rembrandt ist?
Rembrandt van Rijn, Selbstbildnis mit Saskia in der Rolle des verlorenen Sohnes, 1641
Gemäldegalerie Dresden
Redaktion: Frank Becker |