Seh-Reise (20)

Zwanzigste Ausfahrt: Gentile Bellini und Topkapi

von Michael Zeller

Michael Zeller - Foto © Frank Becker
Michael Zeller: Seh-Reise (20)
 
Mit Bildern durch das Jahr
 
20. Ausfahrt: Gentile Bellini und Topkapi

Die Kunstkarte dieser Woche zeigt ein Blättchen Pergament, kaum größer als die Karte selbst. Mit seinen 18 mal 14 Zentimetern kommt es noch nicht einmal auf das Format der Seite aus einem Schulheft.
Obwohl es mit der allergrößten Feinheit ausgeführt ist, von Tuschfeder und Pinsel, hat das Blättchen den Charme des Privaten. Ohne den Ehrgeiz eines Kunstwerks, das bleiben soll, unbelastet vom Druck eines Auftraggebers und seinen Erwartungen – das kleine Pergament hat etwas von einer intimen Fingerübung, als ein Geschenk vielleicht gedacht, ein Scherz unter Freunden.
Das Profil eines jungen Mannes. Im Schneidersitz auf einem Teppich, hält er ein Brett auf seinen Knien. Und schreibt. Oder zeichnet er? Ich muß zur Lupe greifen, um mich dann doch – sehr gerne! – für Zeilen zu entscheiden, gegen Gezeichnetes.
 
Ein bescheidenes Sujet. Aufregend wird das Abbild erst durch die Kleidung des jungen Schreibers, dieses Gewand aus Seide. Sein Schwarz gibt
ihm eine schwere Materialität, die aber gleich im betrachtenden Auge sich streitet mit der überreichen Stickerei, die alle Stofflichkeit auflösen will: Blätter, Blüten, Girlanden in Gold und Weiß durchbrechen das Dunkel, nehmen dem schwarzen Untergrund alle Wucht. Und dann noch das kostbare Violett an Kragen und Ärmeln. Samten weich, müssen sie der Haut des Schreibers großes Behagen bereiten. Unter dem weißen Turban, weich und flauschig gebunden, das feine blasse Gesicht eines Knaben. Der Blick unter hoher Braue ist auf seine ausgearbeiteten zierlichen Hände auf dem Brett gerichtet, besonders die Rechte, die den spitzen Stift führt. Alles in dem Gesicht ist zart und fein: die Nase, gerade und schmal, das rote Mündchen, darüber die Ahnung dunklen Bartflaums. Am feinsten vielleicht das Ohr unter dem Turban: Es gleicht eher einer Arabeske, mit seinem durchs Läppchen gestochenen Geschmeide.
Hochkonzentriert, aber nicht angestrengt sitzt der jugendliche Schreiber vor einer leeren Wand, eierschalenweiß. Nichts soll und kann ihn ablenken von der stummen Bewegung, die aus seiner Rechten kommt. Auch das weiße Schriftband nicht, auf rotem Grund: Arabische Buchstaben, von oben nach unten - kalligraphisch aufgelöst die goldenen Lettern, auf der Grenze von Schrift und Bild.
„A Turkish Artist“ ist das Bostoner Blatt betitelt. Sein Maler: Gentile Bellini, der venezianische Meister des Quattrocento (oder war es vielleicht doch Constanzo da Ferrara?). Trotz der vielen großformatigen Bilder, die er hinterlassen hat – was mich an Gentile Bellini immer am stärksten beeindruckte, ist sein Aufenthalt in Istanbul gewesen, am Hof von Sultan Mehmet II. Zwei Jahre lang, von 1478 bis 1480, hat er sich dort aufgehalten und gemalt, hoch geehrt. Giorgio Vasari hat diesen Besuch eines europäischen (und christlichen) Künstlers am türkisch-mohammedanischen Hof in seinem Biographienwerk über die italienische Renaissance ausführlich gewürdigt. Als Sultan Mehmet Bellinis Malerei sah, „wollte er fast nicht begreifen“, erzählt der nachgeborene Vasari, „wie ein Sterblicher solche Göttlichkeit in sich tragen könne, daß er die Natur mit so großer Treue nachzuahmen vermöge. Gentile war noch nicht lange in Konstantinopel, als er den Sultan Mohammed sehr gut nach dem Leben darstellte, was dort als ein Wunder erschien“ (das Bild hängt heute in London in der National Gallery). „Der Sultan glaubte nichts anderes, als jener (Bellini) habe einen göttlichen Geist bei sich. Ja wäre nicht den Türken diese Kunst (der Darstellung von Menschen) verboten, so hätte der Sultan den Gentile niemals entlassen.“
 
1480 kehrte der Maler reich beschenkt in seine Heimatstadt Venedig zurück, und alle dort „freuten sich der Ehre, welche Mohammed seinem Talent erwiesen hatte.“ Der Heimkehrer „stellte sich dem Dogen und den Senatoren vor, die ihn freundlich aufnahmen und sehr lobten. Da er den Sultan höchlich zufriedengestellt hatte, bestimmten sie ihm ein Jahresgehalt von zweihundert Skudi; dieses wurde ihm bis zum Ende seines Leben Lebens ausgezahlt“ – noch siebenundzwanzig Jahre immerhin!
Reibt man sich da nicht die Augen angesichts einer solchen religiösen und kulturellen Toleranz zwischen Islam und Christentum, vor mehr als einen halben Jahrtausend? Erst recht, wenn man die Zeit bedenkt. Es waren gerade fünfundzwanzig Jahre vergangen seit Bellinis Ankunft am Hof des Sultans, daß die Stadt Byzanz an die Türken gefallen und zur Hauptstadt des osmanischen Reiches geworden war (1453) und jetzt „Istanbul“ hieß (immerhin noch griechisch). Erobert hatte sie eben jener Sultan Mehmet II., im jugendlichen Alter von einundzwanzig Jahren, ging mit dem Ehrennahmen „Fatih“ in die türkische Geschichte ein – der Eroberer. Und lud doch Künstler der Christenheit ein an seinen Hof und freute sich an der „Göttlichkeit“ ihres Tuns und feierte sie.
Deshalb sei ihm und dem Geist, den er verkörperte, hier sein Porträt gezeigt von der Hand eines anonymen türkischen Porträtisten, das ich im Topkapi Saraj von Istanbul fand – als ein kleines Zeichen in jenem „interreligiösen Gespräch“, zu dem wir Heutigen uns anschicken …
 
Gentile Bellini oder Constanzo da Ferrara, The Turkish Artist, um 1480. Isabella Stewart Gardner Museum, Boston
Mehmet der Eroberer, 1475. Topkapi Saraj, Istanbul
 

Redaktion: Frank Becker