Michael Zeller: Seh-Reise (22)
Mit Bildern durch das Jahr
22. Ausfahrt: Michelangelo Caravaggio
Was meinen Blick hoch vom Spülbecken der Küche in dieser Woche am meisten beschäftigt hat: Das Gemälde des Michelangelo Caravaggio („Johannes der Täufer, mit dem Lamme spielend“) ist eine Schwarz-Weiß-Reproduktion. Wie kommt ein Museum unserer Tage dazu (die „Öffentliche Kunstsammlung“ in Basel), einen Meister der Farbigkeit wie Caravaggio seines Besten zu berauben? Doch schafft es selbst der Farbenklau, die Beschränkung auf Schwarz-Weiß, gerade bei diesem Maler einen eigenen hohen ästhetischen Reiz zu setzen, an dem sich mein Auge ein paar Tage lang jedes Mal aufs neue erfreut hat.
Die markante Kontrastierung von Hell und Dunkel, die meines Wissens Caravaggio in die europäische Malerei gebracht hat, kommt hier, entkleidet jeder Farbigkeit, zu sich selbst: mit der Härte, zu der allein der fotographische Blick fähig ist.
Aus dem Tintenschwarz der Nacht taucht bleich der Jüngling, in der Nacktheit seiner Glieder und der Haut. Selbst das schwarze Haupthaar versinkt im planen Schwarz der Umgebung, in die der Sitzende mit dem Lamm auf seinem Schoß eingetaucht ist. Der Oberkörper, die beiden Arme, das ausgestreckte rechte Bein bis zu den Zehen heben sich davon ab, in hellstem Grau. Ja, dieser Jüngling leuchtet.
Der Mensch nackt, umgeben von undurchdringbarer Nacht: So hat Caravaggio das nicht gemalt. Erst eine spätere Technik hat diesen gnadenlosen Blick freigelegt. Das Thema seines Bildes, sicher die Auftragsarbeit für eine Kirche oder ein Kloster, trifft damit gleichwohl ins Schwarze. Der Täufer Johannes hält das Lamm Gottes im Arm, nach christlicher Auffassung die Verkörperung von Jesus Christ. Durch seinen Opfertod, als Gott und Tier, nimmt er/es die Sünde (Nacht) von der Welt wie vom Menschen.
Die martialische Brutalität des Aktes selbst mildert Caravaggio vor allem durch die fesselnde Farbigkeit seiner Palette ab, aber auch durch die Verspieltheit der ganzen Szenerie: Der Hirte, der mit einem Schaf aus seiner Herde spielt, in kreatürlicher Vertrautheit, die einen heutigen Betrachter vielleicht sogar kitschig anmutet. Jenseits der religiösen Bezüge, als bloßes Bild, kann Caravaggios Gemälde als eine harmlose ländliche Idylle wahrgenommen werden: Eine neckische Tändelei zwischen Mensch und Tier. Agnus Dei als Schoßhündchen.
Ist es zu viel gesagt, wenn ich behaupte: Der christliche Bezug, der sich in weiten Teilen Europas in den Nebel einer vagen grauen Vorzeit verflüchtigt hat, gewinnt durch die Übersetzung in eine moderne Wiedergabetechnik ein Stück seines existentiellen Gewichts zurück – jenseits der Epochen? Der einzelne Mensch, nackt und bloß, im Dunkel von Nacht.
Michelangelo Caravaggio, Johannes der Täufer, mit dem Lamm spielend. Öffentliche Kunstsammlung, Basel
Redaktion: Frank Becker |