Essen: Hans Neuenfels inszeniert Wagner

Tannhäuser als "Event" am Essener Aalto

von Dirk Altenaer und Peter Bilsing

Tannhäuser à la Neuenfels
"Event" am Essener 
Aalto


Kritik und Gegenrede von Dirk Altenaer & Peter Bilsing
Tannhäuser - 29.3.08
- Regie: Hans Neuenfels.


Premieren-Bericht von Dirk Altenaer

"Den Wahnsinn in aller Ruhe betrachten“ - Das ist das konsequente Ziel der Künstlerpassion: nachdem der exzessive Künstler Tannhäuser selbst in Rom weder Ruhe noch Erlösung seiner Sünden erfahren durfte, bleibt als letzte Zufluchtsstätte nur der irdische Limbus oder die Ruhestätte alles Wähnens: Eine Irrenanstalt. In der seziererischen Analytik eines Peter Weiß inszeniert Hans


Foto © Matthias Jung
Neuenfels am Aalto-Theater das Tannhäuser Finale, der Künstler findet nach dem irdischen Wahn zumindest kurze Ruhe und Verständnis durch die Mitleidenden, die sofort "verstehen" was dieser Mann durchlitten hat und spielen förmlich als Therapie den Leidensweg prae mortem nach, ein erschütterndes ergreifendes Bild, das uns der alte Provokateur da vorführt mit seinem kongenialen Austattungspartner Reinhard von der Thannen, wie schon zuvor das zwischen Anmut und Devotionalienkitsch und surrealer Kraft traumwandlerisch schwankende Bild von der sterbenden Marienstatue im Rosenhag, die an die in sie hineinprojezierten Worte des Gebets Elisabeths förmlich zerbricht: Wo Gott tot ist, wie sollen da Heilige noch was bewirken können? Wohltuend frisch kommen die Bilderreize Neuenfels daher, zerstören nicht, verstören eher durch das konsequente gegen-den-Strich-Bürsten. Schon die Venusbergszene wird vom schwül plüschigen Salonmief befreit, Tannhäuser oder das Prinzip Kunst, hat bloße irdische Erotomanie überwunden, vielmehr werden wir einer Agape teilhaftig, die es in sich hat: Im stilisierten Salon, wie unter einem Silberspiegel Beardsleys betrachtet praktizieren Tannhäuser und Venus eine schwarze Messe, die völlig auf sexistischen Schnickschnack verzichtet, nachdem aus einer Monstranz das verkehrte Abendmahl vollzogen wurde, nachdem der Künstler das Göttliche verinnerlicht hat, beginnen die Kräfte an ihm zu zerren, weiße Lichtgestalten, dunkle gefallene Engel - Tannhäuser als ein Seelenverwandter Faust im Widerstreit zwischen Gut und Böse. Eine noch den Schattenseiten der Romantik verhaftete Kunstreligion, die erst im Parsifal ihre vermeintliche Spiegelung ins Positive finden wird. Schon Venus läßt Tannhäuser sich kriechend nahen, eine schmerzhafte Vorwegnahme des Leidenswegs auf dem ihn die an ihn zerrenden "göttlichen" Mänaden des Christentums verfolgen, selten war der Pilgerchor von einer solchen Sogkraft. Ausgestoßen findet Tannhäuser sich in einer Scheinwelt wieder, die vermeintlich realiter daherkommt und ihm doch die Perfidie menschlichen Handelns am Beispiel der Jagd vor Augen führt: Nicht das Wildbret ist das Ziel der Jagdgesellschaft - wie uns Neuenfels schmerzlich zeigt - sondern Menschenjagd in all ihren zynischen Schattierungen. Mit der kryptischen Bilderflut zeigt uns Neuenfels, was uns Wagner heute noch zu sagen hat, wie kühn und revolutionär des Meisters Gedankengut noch ist, wenn man es nur zu Tage fördert. Nur mit dem Priesterstabwunder hat auch Neuenfels seine liebe Not und da verläßt ihn leider auch die Kraft der Bilder, der so gar nicht in die bisher gezeigte Bilderflut passende schwarze Roboter mit der Aufschrift "EX" wirkte da nur wie ein hilfloses Fragezeichen.

Wie in einem überdimensionierten kryptischen Tryptichon zeigt uns Neuenfels die gesellschaftlichen Abgründe, während im ersten und dritten Akt Tannhäuser im Mittelpunkt seiner Passio prae mortem steht, handelt der zweite Akt von der Erstehungs- und Rezeptionsgeschichte nicht ohne augenzwinkernde Ironie, wie wenn Tannhäuser und Elisabeth (mit einer gewissen


Foto © Matthias Jung
Schröder-Devrient-Attitüde) oder Künstler und Muse im romantischen Überschwang der empfindsamen Gefühle ihre Liebe am Flügel preisen und dabei einen von Wolfram gezogenen Schwan aus Rosen besteigen. Das ist nicht nur eine Anspielung auf den schon "erstehenden" Lohengrin sondern auch ein Wink, daß Neuenfels 2010 die Weihe des Grünen Hügels zuteil werden wird, wenn er dort für die Neuinszenierung des Lohengrin verantwortlich zeichnet. Oder auch die köstliche "Entstaubung" des "alten Meisters" während des Einzugsmarsches, der sich sogleich in einen künstlerischen Disput mit seinem königlichen Mentor Ludwig II. stürzt.

Diese vermeintlich heitere Lesart findet ihren musikalischen Widerpart in der luziden Auslegung der Partitur durch GMD Stefan Soltesz. Man kann ihm nicht genug danken, daß er sich endlich der Mode widersetzt und nicht der Pariser Fassung in ihrer Tristan Schwülstigkeit den Vorzug gibt, sondern sich konsequent der frischeren Dresdner Fassung widmet. Nicht zuletzt die Essener Philharmoniker danken es ihrem General: Selten kam wohl eine Wagner-Partitur strahlender und duftiger daher als an diesem Samstag. Als sei es eine der besten Partituren Bellinis strahlt der Essener Tannhäuser von einer Italianità, daß es eine Wonne ist, das tupfig frische Brio der Streicher, der edle dunkle Klang der Celli, die perfekten Holzbläser und die phänomenalen Hörner, sie weben ein federleichtes Bett aus Tönen, das die Stimmen leicht und sicher trägt. In der Prämisse, daß 1845 der uns bekannte schwere "Wagnerheld" noch nicht erfunden war, besetzt Soltesz die Titelpartie bewußt mit einem schlanken italienischen Helden und in Scott MacAllister hat er einen Idealinterpreten gefunden. Selten hat man in letzter Zeit wohl eine Interpretation von strahlenderem Belcanto erleben dürfen, mühelos bewältigt der junge Amerikaner jede noch so gewaltige Klippe seiner Partie und hat selbst für die Romerzählung noch soviel Reserve, daß er imstande ist diese zu "singen" und nicht, wie leider heute so oft üblich, zu deklamierten. Dabei trübt kein forcierter Ton das Gesamtbild, eine nicht hoch genug zu lobende Leistung. Gleiches gilt für "seine" Elisabeth: Danielle Halbwachs, die gerade noch als Chrysothemis in Essen zu überzeugen wußte und hier auch schon vor Jahren eine stupende Agathe sang, dürfte als Elisabeth zur Zeit ihresgleichen suchen. Im jubelnden Überschwang bewältigt sie die Hallenarie ebenso wie die heiklen Schärfen des zweiten Finales, wo sie wie ein Fels in der Brandung, das Ensemble überstrahlt, um dann im dritten Aufzug mit zartesten Tönen innigster Liedinterpretation eine erschütternde Preghiera zu gestalten. Ihr dunkler Gegenpart, Venus, hatte es da etwas schwerer, obschon von der Regie zugegeben recht stiefmütterlkich behandelt, Elena Zhidkova mit vollmundig sattem Mezzo gefiel. Zwar sollte die Russin noch etwas an ihrer Aussprache feilen, aber wie sie die undankbare Rolle stimmlich bewältigte ohne in schrilles Keifen zu verfallen, sondern zur edlen Kantilene fähig war, verlangt hohes Lob.


Foto © Matthias Jung

Trotz Indisposition gelang Heiko Trinsinger eine viril kraftvolle Gestaltung Wolfram von Eschenbachs, dessen "Schlager" er im wohltuend unlarmoyanten Liedton vortrug. Thomas Piffka gefiel einmal mehr als lyrisch belcantistischer Walther von der Vogelweide, während der Biterolf von Almas Svilpa vor Kraft nur so strotzte. Dank Neuenfels´ Regie wurden die beiden "Nebensänger" aus ihrem lethargischen Dornröschenschlaf erweckt und lebten dank der ihnen angediehenen Charakterstudien auf: Rainer Maria Röhr zeichnete als lauernder "Heinich der Schreiber" einen Urahn Melots während sich Michael Haag (Reinmar von Zweter) als träumerischer Schwärmer in epileptische Trance steigerte. Solide, aber letztlich doch recht blaß, blieb der "junge Essener Kammersänger" Marcel Rosca als Landgraf Hermann. Vorzügliches leisteten einmal mehr Opern- und Extrachor des Aalto-Theaters in der vorzüglichen Einstudierung Alexander Eberles, ein großes Lob gilt in diesem Falle aber auch dem physisch bis aufs äußerste geforderten Bewegungschor der Statisterie (Leitung: Matthias Koziorowski), die manche Ideen-Kryptik der Regie in die Tat umzusetzen hatte. Es wäre keine "richtige" Aufführung des Theaterverstörers Neuenfels, wenn zum Schluß sich das Publikum nicht in zwei Lager spaltete, Grautöne gibt es bei Neuenfels nicht, dafür einen aufwühlenden, zum Nachdenken animierenden Theater- respektive Opernabend, der auf intelligenteste Weise polarisiert. In Essen ist zur Zeit ein Meilenstein der Wagner-Rezeption zu bewundern, eine Aufführung, die mehr ist als eine bloße Generalprobe für Bayreuth, wie despektierlich im Vorfeld des öfteren zu vernehmen war. Schmerzlich ist der Abend nur für den, der nicht bereit ist, sich auf ungeahnte Denk- und Sichtweisen einzulassen. Dirk Altenaer


Was noch zu sagen wäre...

nochmal Neuenfels´ Essener Tannhäuser
Ein Nachkommentar von Peter Bilsing

Neuenfels in der zukünftigen Kulturhauptstadt Europas: Essen. Mehr neugierigen Zuspruch sollte der Papst bei einem gefälligen Besuch wohl auch nicht bekommen, denn binnen kurzer Zeit waren alle 10 Opernaufführungen ausverkauft und unzählige Artikel bevölkerten schon im Voraus die lokale Tagespresse. („Statisten als Tiere gesucht“  - oder hieß es: „Tiere als Statisten“?) Allein die Tatsache, daß rund 1400 Leute zu einer Einführung kamen spricht Bände. Und am Ende des PR-Abends ein unisoner Buh-Orkan in (zumindest von mir) noch nie im heiligen Aalto gehörter Dezibel-Stärke. Dann ging man friedlich nach Hause.


Foto © Matthias Jung

Ich koinzidiere, daß die ganze Geschichte durchaus unterhaltsam und kurzeilig daherkommt; mehr Revue als Oper, schon fast eine Wagner-Operette - außerdem: warum soll man in des Meisters Monsterwerk nicht auch einmal lachen dürfen? Ein tieferer Sinn, oder gar roter Faden indes findet sich (wie z.B bei John Dews absolut genialem Krefelder RING vor 25 Jahren) leider nicht. Daher berührt die Sache auch nicht weiter. Wir sind zwar empört, aber nett war es doch.

Kollege Altenaer hat alles wunderbar und einleuchtend geschildert, aber dennoch sei die Frage gestattet: was hat es gebracht außer kurzweiliger durchaus intellektueller Unterhaltung? Was wissen wir nun mehr über die Oper, über die Personen, über die Idee oder gar Philosophie des Werks? Was sagt es uns heute? In die Tiefe ging das alles keineswegs. „Schafft Neues Kinder!“ hatte der Meister einst gesagt. Es verhallte mäßig ungehört.

Und immer wieder und wieder (seit anno 1980) latschen die Chöre postmodern durchs Auditorium, brüllen uns hautnah ins Ohr, tröten Blechbläser aus der obersten Galerie, zieren Krankenhausbetten die Bühne, werden schwarze Messen gebetet, treten Männer in Frauenkleidern (Pilgerchor!) auf usw. etc. pp. Schnarch…deja vue!

Diesmal sogar dankenswert ostentatives Lokalkolorit: eine Zeche mit rauchenden Schloten – dazwischen Ludwig, Wagner und Polizeischwuchteln. Und Bayerische Trachten-Maderl springen vor einem Neuschwanstein-Modell mit einer veritabel eßbaren Weißwurschtkette Seilchen – hahaha! Ja, ja wir sind auch gegen Kirche, gegen Krieg und selbstredend sind Jäger eigentlich verkappte Mörder und Tierquäler; es dürfen weder Nonnen fehlen, noch Mönche - wo war diesmal der Kardinal? Danke, daß heuer keiner vergewaltigt wurde!

Für den Papst stellvertretend erscheint am Ende ein schwarzer Roboter namens EX und stampft


Foto © Matthias Jung
grimmig zu den Schlußtakten der Oper, weil Tannhäuser (dieser gemeine Revoluzzer!) den heiligen Stab trotzig zerbrochen hat und noch im Tode die Faust à la Che Guevara bzw. Black Panthers ballt – dabei hätte der Produktion ein Pink Panther viel eher zu Gesichte gestanden, denn nichts anderes als veroperte kurzweilige Comics hat uns das Genie Neuenfels präsentiert. Schabernack im Irrenhaus – aber ohne Tiefgang. Alles ist von solch gesellschaftskritischer Larmoyanz  wie ein Latte Macchiato, dem eine Mao-Bibel als Untersatz dient. Wagnerkritik als nicht über den Aperitiv hinausgehende Verköstigung. Brav, friedlich, bekömmlich –  es sieht stellenweise so wild aus, als ob es Loriot ernst meinte oder Otto Schenk Dope genommen hätte. That´s all.

Immerhin im Vergleich zum dilettantischen Kölner Tannhäuser ein Quantensprung – auch und insbesondere musikalisch. Da ist Altenaers Worten nicht hinzu zu fügen. Eine wirklich absolut perfekte Interpretation, die der drogennahen Schlafzimmermusik von Herrn Thielemann sinnvolles Kontra bietet. Damit ist Soltesz zur Zeit der interessanteste Wagnerdirigent in westlichen Erdgefilden. Bayreuth wird an ihm kaum vorbeikommen, wenn es sich weiterhin ernst nimmt.


Verwendung der Fotos von Matthias Jung mit freundlicher Genehmigung des Aalto Musiktheaters