Es packt einen der Menschheit ganzer Jammer an…

„Candelaria“ von Jhonny Hendrix Hinestroza

von Renate Wagner

Candelaria – Ein kubanischer Sommer
(
Argentinien – Deutschland- Kolumbien-Kuba-Norwegen 2017)

Regie: Jhonny Hendrix Hinestroza
Mit: Verónica Lynn, Alden Knigth, Philipp Hochmair u.a.
 
Es gibt Publikumsfilme, und es gibt Festivalfilme, die für Kritiker und Preise gemacht werden. Keine Frage, daß die Geschichte von „Candelaria“ des kolumbianischen Regisseurs Jhonny Hendrix Hinestroza Anerkennung verdient hat – beim Filmfestival 2017 in Venedig war es „Bester Film Giornate degli Autori“, und die Kritiken sind hymnisch. Als Normalzuschauer wird man allerdings angesichts dieser Geschichte in Depressionen ausbrechen.
Wir sind in Kuba, in den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts. Der alte Castro hält an seiner ewigen Revolution fest, und wenn seine Untertanten in der Wirtschaftskrise dabei fast verhungern: Sie seien „zwei unterernährte alte Leute“, sagt Candelaria, die Heldin der Geschichte, zu Beginn ironisch, und oft genug sieht man auf ihren Tellern irgendeinen Karottenbrei, nicht mehr. So alt kann man gar nicht sein – und Candelaria und ihr farbiger Gatte, der Victor Hugo heißt, sind hoch in die Siebzig -, daß man nicht schwer arbeiten müßte, Candelaria in einem Hotel in der Wäscheabteilung, Victor in einer Zigarrenfabrik. Abends tritt sie in einem Club auf, und es ist eine ziemlich kläglich Performance, die man da mit ansieht.
Nein, das tolle, lebenspralle, in Musik explodierende Kuba der Werbung ist das nicht, die Songs klingen auch ziemlich melancholisch. Und wenn Candelaria liebevoll ein paar (in dieser Welt illegale) Hühnerküken pflegt, ob aus Zärtlichkeit, ob in Hinblick auf eine spätere Mahlzeit, packt einen der Menschheit ganzer Jammer an… Der Regisseur pinselt das Elend in aller Breite aus, auch wenn Victor gewissermaßen versucht, das Leben mit verzweifelter Anstrengung von einer Art heiteren Seite zu nehmen.
 
Wie glaubhaft die Wendung ist, daß die in der Wäsche gefundene Filmkamera (ein altes Videoding, wie man es heute wohl kaum noch finden würde) die beiden alten Leutchen sexuell lüstern macht, wenn er sie im Bett filmt… Tatsache ist, daß Sex im Alter, der selbstverständlich nicht diskriminiert werden darf, immer etwas Peinliches hat, wenn man ihn vorführt. Es gehört Mut dazu, so wie Hauptdarstellerin Veronica Lynn ihr schlaffes Fleisch zu zeigen, es ist am Rande tragischer Lächerlichkeit, wenn Alden Knight sich lüstern in die Brust wirft, aber es mag möglich sein, und die Zärtlichkeit der alten Leute hat auch etwas Rührendes.
Wenn dann die Kamera abhanden kommt, dann weiß man in Kuba, wo man gestohlenes Gut findet. Und für den österreichischen Kinobesucher gibt es dann die Überraschung, wenn man plötzlich Philipp Hochmair (im Schlafrock und mit Wuschelkopf) in der (doch eher kurzen) Rolle des Hehlers „El Hormigueo“ erlebt, der die Filme der Kamera angesehen hat. Und der widerlich zynisch Geld für mehr Material dieser Art bietet, weil es offenbar ein Freak-Publikum gibt, das sich dafür interessiert.
Der Film, der sich mit Ausnahme weniger „Außen-Szenen“ ganz auf das Paar konzentriert, weicht dann von der „Wir wollen Sex im Alter“-Schiene ab, wenn bei Candelaria Krebs festgestellt wird. Sie lehnt jede Behandlung ab, will einfach ohne Operation und Chemo bis zum Ende leben. „Verlaß mich nicht, Du bist mein Leben“, sagt Victor, und damit endet der Film – hoffnungslos und Tränen in die Augen treibend wie alle, die ihre Figuren mit einer tödlichen Krankheit konfrontieren.
Die Kritiken sahen viel Herzerwärmendes und seltsamerweise Lebensfrohes, Beschwingtes und Verschmitztes in der Geschichte der alten Leute – wer das nicht so zu erkennen mag, der hat allerdings nur eineinhalb Stunden extrem depressiven, tragischen kubanischen Alltag zweier alter Leute gesehen.
 
Trailer   
 
Renate Wagner