Cinderella in Neuss

Das Grand Ballet der Meerbuscher Ballettschule Groenendijk im Neusser Landestheater

Peter Bilsing entdeckt sein Herz für engagierte Amateure

Foto © Bianca Mück

Cinderella 
oder:
  Die Liebe zu den
16 Orangen

Grand Ballet der Meerbuscher
Ballettschule Groenendijk
im Neusser Landestheater


Zuerst etwas ganz persönliches: Ich lebe und sterbe für und in den Aufführungen dreier großer Ballett-Compagnien, welche da heißen Stuttgarter Ballett, Stanislawski Ballett (Moskau) und Ballettschule Groenendijk (Meerbusch). Das Ballett meiner Heimatstadt Düsseldorf der Rheinoper muß hier aus Qualitätsgründen vorerst unerwähnt bleiben.

Zu berichten ist über die neueste Inszenierung von Prokofjews „Cinderella“ – die seit zwei Jahren von allen Meerbuscher Ballettomanen zwischen 3 und 89 mehr als spannungsvoll erwartete neue Produktion der „Grand Dame du Ballet“ und Chefchoreografin dieser kleinen aber feinen Truppe, Greetje Groenendijk und ihrem Team. Insgesamt 250 (!) Namen zieren den Besetzungszettel. Das schöne neue Neusser Landestheater – alle 4 Vorstellungen waren mal wieder einmal schneller


Foto © Bianca Mück
ausverkauft als die Jahreskarten von Schalke 04 – bot prächtige Kulisse für Prokofjews Ballett und Meerbuscher Tanzkunst. Demokratisch ansteigenden Sitze bieten Garantie, daß Kinder auch in der letzten Reihen hervorragend sitzen und alles sehen können. Die Technik des Hauses zeigte sich in Bezug auf Ton und Licht in bester Verfassung.

Die Geschichte vom Aschenbrödel ist allseits bekannt und wird von Greetje Groenendijk (Assistenz Jenny Schäfer / Co-Choreografie: Patricia Mück) auch nicht modernisiert, sondern gelegentlich nur ein wenig mit moderneren Nummern globalisiert. Ansonsten ist praktisch alles, vom „Pas de chat“ Nr. 2 bis zum finalen „Andante dolcissimo“ Nr. 50, in dieser gut zweieinhalbstündigen Aufführung vorhanden. Musikalisch gibt das berühmte „Cleveland Orchestra“ unter Vladimir Ashkenazy sein verspätetes Deutschland-Debut über die hervorragende Tonanlage des NLT.


Foto © Bianca Mück
Und was heuer nun nach fast zweijähriger Vorbereitungszeit über die Bühne ging, war so gewaltig wie zu Tränen rührend, so kostümvielfältig wie farbenprächtig und so tänzerisch reizend wie choreografisch großartig. In dieser Welt der Phantasie fehlte es weder an kleinen noch an großen Charakteren, die samt und sonders unerhört präsent, solistisch oder in ihren Ensembles das Geprobte nun im großen Bild dieses schwierig zu inszenierenden Handlungsballetts umsetzten.

Um es vorweg zu nehmen: es gelang herzerweichend schön! Die Bilder gingen fast nahtlos ineinander über und auch die Kleinsten - von den Täubchen angefangen, über die köstlichen Mäuse, die bezirzenden Libellen, fragilen Grashüpfer, putzigen Zwerge bis hin zu den hüpfenden Orangen - evozierten jeweils begeisterten Zwischenapplaus. Alle Opernhäuser dieser Welt können Meerbusch um ein so engagiertes und mitgehendes Publikum glattweg beneiden. Darüber hinaus boten eine umfangreiche Adelsgesellschaft mit Hofstaat, die Feen der vier Jahreszeiten mit ihren glanzvollen Begleitungen, Schuhmacher, Spanierinnen und tanzende Uhren einen bewegten Rahmen, in dem das auf großen Theatern meist überbordende Bühnenbild und die Requisitenvielfalt entbehrlich erschienen. Wie in manchen Szenen fast 50 Tänzerinnen/Tänzer auf der fürs Ballett doch recht kleinen Bühne Raum fanden, um sich in grandiosen Finales herrlich aufzulösen, war ein Tanzerlebnis von hoher choreografischer Qualität.


Foto © Bianca Mück

Pars pro toto für all die, welche uns begeisterten die Solisten: Anneke Liebrecht / Andrea Keilholz (Cinderella) tanzten sich heldenhaft in unsere mitfühlenden Herzen, Christiane Rausch / Ulrich Germer (Prinz) boten königliche Tanzkunst und die böse Stiefmutter (Eva Strohschneider) mit ihren unsäglich tolpatschigen Töchtern (Denise Kisselbach / Andrea Keilholz, Louisa MacKenzie & Anneke Liebrecht) faszinierten durch ein Furioso tänzerischer Slapsticks… Das muß jemand erst einmal so nachtanzen!

Was mich als wirklich umtriebigen Kritiker aber neben der tollen Choreografie von Greetje Groenendijk diesmal am meisten beeindruckte, waren die fabulösen Kostüme von Ingrid Liebrecht & Anne Enders. Eine solche Vielfalt, Differenzierung und glamouröse Optik gibt es  selten auf großen Bühnen. Hinreißend z.B. das kitschig bonbonfarbene Ballgewand der bösen Schwiegermutter, welches an ein Silvester-Knallbonbon erinnerte oder die hüpfenden Minitomaten bzw. seidengeflügelten Libellen und tanzenden Uhren; da gab´s die großen Ballkleider neben folkloristischen Gewändern und zwei echten chinesischen Drachen, die aus jeweils 5 Tänzern bestanden. Bravissimo!


Foto © Bianca Mück

Ein wunderbarer Ballettabend, der große Freude bereitete und auch hoffentlich noch vielen Tanzfreunden, Omis, Opas, Freunden und Verwandten in der von nicht weniger als einem halben Dutzend Kameraleuten auf DVD festgehaltenen Fassung fürderhin gute Unterhaltung garantieren und vielleicht sogar neue Begeisterung fürs Ballett erwecken könnte.

Zu beziehen über groenendijk@web.de – ein tolles Geschenk. Der Dank des Rezensenten geht schließlich als ganz persönliches Statement an all die Tanzmäuse und Ballettratten, zukünftigen Pawlowas und Nijinskys: Ihr wart einmalig! Danke für den tollen Abend.