Seh-Reise (32)

Zweiunddreißigste Ausfahrt: Robert Lentz, Kateri Tekakwitha

von Michael Zeller

Michael Zeller - Foto © Frank Becker
Michael Zeller: Seh-Reise (32)
 
Mit Bildern durch das Jahr
 
32. Ausfahrt: Robert Lentz, Kateri Tekakwitha

Große Kunstgenüsse, flüstert mir die europäische Blasiertheit ein, sollte ich hier nicht erwarten. Allzu neu kommt mir ihr Inneres vor. Im späten 19.Jahrhundert erst ist die Kathedrale von Santa Fé erbaut worden. Und werde dann doch vor diesem glatt gemalten Tafelbild einer Heiligen festgehalten, dem ich in Italien, Polen oder Deutschland rasch den Rücken kehren würde. Hohe Kunst? Nein, etwas ganz anderes ist darauf zu sehen.
In den lichten Goldgrund einer Ikone hineingesetzt eine Heilige, von dunkelbrauner Gesichtshaut, mit fremden Zügen. Kateri Tekakwitha (1656 – 17. April 1680) war die erste Einheimische (Native American) Nordamerikas, die eine Heilige der Kirche wurde (der Begriff „Indianerin“ ist in der amerikanischen Erklärung ausgespart). Sie wurde, so lese ich auf dem Rücken der ausgelegten Ansichtskarte, in den Stamm der Mohawk-Algonquin hineingeboren, um 1650, in Kanada. Die zugewanderten spanischen Jesuiten bekehrten die kleine „Heidin“, und Kateri (Katherina) lebte seitdem heiligenmäßig unter ihrem Volk und warb für den neuen Gott, der der ihre geworden war. Bereits mit vierundzwanzig Jahren ist sie verstorben, liest man – und daß ihr durch Pockennarben entstelltes Gesicht Minuten nach ihrem Tod narbenlos glatt und schön geworden sei.
Damit ist über die Schönheitssuche hinaus ein anderes Interesse an dem Altarbild geweckt, es bekommt eine Aura, die mich ausgesprochen fesselt. Was jetzt alles darauf zu sehen ist!
 

Die junge Frau mit dem braunen Gesicht und im Festgewand einer Indianerin, statuarisch ungelenk steht sie da. Der Mantel vom hellen Blau des Himmels hier umhüllt die ganze Gestalt, wie eine Priesterin, er reicht ihr vom Scheitel um das geflochtene glänzend schwarze Haar bis zu den leichten Mokassins hinab. Darunter das lange Kleid, mit breitem Schmucksaum unten, cremefarben auch die Hosenbeine, die so anders geschnitten sind als gewohnt. Im Bastkorb vor der Brust präsentiert sie Maiskolben, drei an der Zahl, jeder von eigener Farbe: grau, braun, der dritte gescheckt. Ein handfestes Symbol, aus der Natur entnommen, für die Verwandtheit der verschiedenen menschlichen Hautfarben. Aus einer Wurzel gewachsen. Nicht durch die Blume gesprochen – durch Mais! Früchte der Erde, amerikanischer Erde, „Indian corn“, wie der Mais hier genannt wird. Die augenfällige Aufwertung brauner und roter Haut, ins Altarbild gesetzt. Von schlagender Beweiskraft.
Mit beiden Beinen steht Kateri, als die erste indianische Heilige, auf der Erde ihres Landes, den Goldglanz einer anderen Welt im Rücken. Und die Schildkröte zu Füßen, ein Tier, das mehr Zeit hat als wir Menschen und In vielen Schöpfungsmythen als die „große Mutter“ die Erde selbst auf ihrem Rücken trägt. Deshalb kommt ihm eine besondere Symbolkraft zu. Und dabei fällt mir die Geschichte ein, die erzählt, wie der Azteke Juan Diego, hundert Jahre vor Katheri, das Heiligenbild von Guadalupe gefunden hat, in Mexiko: Auf einem Felsen blühten Rosen, heißt es in der Legende, mitten im Winter. Diego pflückte sie, und als er die Blüten ausbreitete, um das Wunder anderen zu zeigen, erschien das Gesicht der heiligen Jungfrau in einem Strahlenkranz auf seinem groben Hirtenkittel.
Diese Geschichten aus alten aztekischen und indianischen Mythen und ihre Einfärbung ins Christliche haben ihre eigene Würde. Sie sammeln eine Kostbarkeit in sich, aus einer menschlichen Frühzeit, selbst wenn es, wie hier das Bild in Santa Fé, aus dem 20. Jahrhundert stammt, gemalt von dem amerikanischen Franziskaner-Mönch und Ikonen-Maler Robert Lentz (*1946).
Der Blick Kateris aus schwarzen runden Augen, starr in eine Weite gerichtet, trifft mich, fremd und nicht. Ich bin allein in der Kathedrale von Santa Fé, am Vormittag eines Werktags, und ich nehme den Blick mit hinaus in eine Stadt, in der viele historische Schichten sich überlagern, vom „Star Bucks“-Kasten über spanische Paläste bis zu den indianischen Pueblos von Taos.
Der Himmel darüber war immer gleich, im Blau von Kateris Mantel, und die Schildkröte hat ältere Rechte auf diesem Boden als wir flüchtigen Gesellen. Im mexikanischen Guadalupe übrigens ist aus dem Rosenwunder des Juan Diego von 1531 der größte Marienwallfahrtsort der Welt geworden. Zwanzig Millionen Menschen pilgern jährlich dorthin. Maiskolben sind eben keine Rosen im Schnee.
 
Robert Lentz, Kateri Tekakwitha, 20. Jh. Kathedrale von Santa Fé

 

 
Redaktion: Frank Becker