Sechs weiße Pferde für Ras Tafari
Evelyn Waughs abessinisches Abenteuer 1930
Mit Ethiopian Airlines erreicht man heute bequem in ca. sieben Stunden Addis Abeba. Bequem war die Reise 1930 auch, als der Autor auf der „Azay le Rideau“ zusammen mit diplomatischen Gästen aus Frankreich, Holland und Polen zur Kaiserkrönung nach Abessinien reiste. Zehn Tage dauerte damals die Schiffsreise von Marseille nach Dschibouti, die man sich vertrieb mit Tanz, Wettlaufen der Kinder an Deck und Tombola. Waugh hatte sich in seinem Geschichtsbuch über das Land informiert und wusste, daß die Geschichte Äthiopiens unmittelbar nach der biblischen Sintflut begonnen hatte und die ersten Herrscher auf Salomon und die Königin von Saba zurück zu verfolgen sind. Von Vielweiberei und Trunksucht der abessinischen Elite hatte er auch gelesen. Jetzt stand die Krönung Ras Tafaris an, zu der er als Sonderkorrespondent und ordentlich akkreditierter, neugieriger Journalist dem englischen Publikum berichten sollte. In Äthiopien wunderte man sich damals über die Resonanz dieser Krönung des vorläufig letzten Kaisers von Äthiopien. Aus aller Welt kamen diplomatische Delegationen, Angehörige von Königshäusern, Wirtschaftsbosse und weitere obskure Figuren. Das Deutsche Reich übergab beim Fest eine persönlich signierte Fotografie Hindenburgs sowie 800 Flaschen Rheinwein. Die Äthiopier fühlten sich gebauchpinselt. Aber erst mal mußten sich die Schiffsreisenden durch dampfende Straßentümpel vorbei an baufälligen Häusern mit Arkaden und misanthropischen Affen in Zitronenbäumen zum Bahnhof von Dschibouti durchschlagen, um die Abfahrt des Zuges nach Addis nicht zu verpassen, der schließlich nur einmal pro Woche fuhr. Dort angekommen, staunten die Gäste über Hinrichtungsbaracken an der Straße und amüsierten sich in Nachtclubs namens „Haile Selassie“( Macht der Dreifaltigkeit), verstehen diesen miß als Highly Salcious (sehr geil) oder auch I love lassie (Ich liebe ein Mädel). Über die Diskrepanz der Berichterstattung über die Krönung in der internationalen Presse mit seinen eigenen Erfahrungen staunte der Autor nur und glaubte, nach der Lektüre der Beiträge seiner Kollegen, eine andere Veranstaltung besucht zu haben. Er vermutete, daß die Leitsätze der Presse (Fleetstreet) : „Die Nachricht als erster bringen“, bzw. „dem Leser geben, was er lesen will“ für die Presseberichterstattung dieses Ereignisses nicht adäquat gewesen sind. Die Leser in London und anderswo wollten vor allem unterhalten werden, also über sechs weiße Pferde der Kaiserkutsche lesen und erwarten Intimitäten vergoldeter Eunuchen, auch wenn alles von den Journalisten frei erfunden worden wäre.
Evelyn Waugh schrieb über die Unsäglichkeiten der Organisation und das Chaos dieses sechstägigen Festes, was aber dadurch etwas Charme und Charakter bekam. Köstlich, heute zu lesen, wie „Hysterie und Apathie, Erhabenheit und Farce, Animosität und Mißtrauen“ schon die damalige internationale Festgemeinde in Addis prägte. Was spielt sich wohl heute bei internationalen Ereignissen ab? Und was davon lesen wir beim Frühstück? Waughs Beobachtungen bei seiner Reise mit dem Auto im Anschluß an das Krönungstheater von Addis nach Debre Libanos, und zwar bevor die faschistischen Italiener einige Jahre später die wenigen Straßen des Landes erstmalig einigermaßen passierbar machten, sind vor allem auch für den derzeitigen Touristen interessant. Da das bereits in London gebuchte Schiff für die Rückfahrt ausblieb aus, nahm der Autor gerne die Einladung des britischen Konsuls in Harar zum Besuch dieses Karawanentreffpunktes mit den schönsten Frauen Ostafrikas an. Er erreichte die Stadt über schmale gewundene Passstraßen, auf denen schon Arthur Rimbaud Waffen geschmuggelt hatte. Die Wellblecharchitektur, die immer noch das Land überhaupt bewohnbar macht, charakterisierte schon damals den Städtebau am Horn von Afrika. Die Schönheit der schlanken Frauen in Harare in ihren bunten Seidengewändern, mit ihren leuchtendem Goldschmuck und aufwändig bezopftem Haaren übertraf alle seine Erwartungen vor allem auch im Vergleich zu den plumpen, pausbäckigen Bewohnerinnen von Addis mit ihrem bebuttert glänzenden, aufgetürmten Haaren. Und die Entscheidung Rimbauds sich seine Lebensgefährtin „aus dem stumpfen Volk der Tigre“ zu suchen und nicht auf die örtlichen Schönheiten Harares zurück zu greifen, stieß auf völliges Unverständnis des Autors. Natürlich verlief die Reise nach Dschibuti nicht ohne Widrigkeiten. Tagelang wartete er auf Transportmöglichkeiten und dachte über den abgrundtiefen Horror der Langeweile während des Reisens nach, der ihn dort schwer beeinträchtigt hat. Englische Langeweile bei gesellschaftlichen party small talk schien dagegen in der Erinnerung ein Vergnügen. Leider kam er nicht nach Lalibela, Gondar und Axum. Man hätte gerne einen historischen Bericht über die heutigen touristischen Ziele gelesen. Ein für die Schiffsreise notwendiges ärztliches Attest über Gesundheitszustand und Impfung stellte der zuständige Arzt gegen Bezahlung ohne weiteres aus. Er traf ihn beim Angeln auf seinem Boot, nicht auf dem Golfplatz. Zwangsimpfen wollte er sich jedenfalls nicht lassen Mit schriftstellerischer Souveränität und Beweglichkeit werden diese Probleme vergnüglich geschildert. „Was frommt`s dergleichen viel gesehen“ und darüber geschrieben zu haben?
Seine Überlegungen zum britischen Imperialismus bei Besuchen in Aden, Sansibar und überhaupt in Ostafrika sind nach wie vor bedenkenswert. Er schreibt, die Engländer wollten in den Kolonien den Sklavenhandel unterbinden, und bedauert, daß aber mit der Kolonisation die arabische Zivilisation dort zerstört und eine schäbige, ärmliche Kultur etabliert worden sei: ein Kernproblem beim Export europäischer Vorstellungen in die Welt. In Sansibar bewundert er die reizvolle arabische Architektur des 18. Jahrhunderts und sieht in Mombasa die Kopie einer englischen Gartenstadt. In Kenia verliebt er sich: Solche Anmut, Weite und Großzügigkeit habe er nur in Irland gefunden. Die offensichtlich schon in den 30er Jahren bekannte Kritik am Kolonialismus, nach der Afrika Besitz der Afrikaner sei und Kolonialisten wie ausländische Siedler eigentlich vertrieben werden sollten, lehnt der Autor ab. Nach seiner Auffassung ist die gesamte Geschichte von ihren Anfängen an durch Völkerwanderungen, Eroberungen, Kolonisierung und Durchmischung der Völker geprägt. Will er englischen Kolonialismus rechtfertigen? Jedenfalls hält er die englischen Siedler in Kenia nicht für solche Verbrecher, Sträflinge und Ganoven, wie sie Australien besiedelt haben, beschreibt aber immerhin die willkürliche Vertreibung der Massai 1904 zugunsten der britischen Kolonialverwaltung als eine schwerwiegende Verletzung europäischer Moral. Daß nicht nur die Schwarzen, nein auch die in Ostafrika angesiedelten Inder unabhängig von ihrer Bildung von den dort lebenden Europäern gesellschaftlich nicht akzeptiert werden, in der Eisenbahn separate Toiletten benutzen müssen, zeigt wie die Europäer höchst differenziert verschiedene Volksgruppen voneinander separieren. Die Kopflosigkeit der Europäer bei drohender Unterwanderung durch eine farbige Rasse wird beklagt. Mit britischer Arroganz und britischem Humor werden teilweise satirisch Rassismus und Kolonialismus diskutiert. Die Vorstellungen von 1930 könnten Anregungen und Hinweise liefern zur aktuellen, vielleicht Schicksal bestimmenden Bedrohung Europas durch Migration aus Afrika. Eine umfassende Kritik an der europäischen Eroberung und Ausbeutung der Welt formulierte der Autor damals nicht. Am Ende des Werks gibt eine Zeittafel über das Leben des Evelyn Waughs Auskunft. Er wurde 1903 in Hampstead/London geboren, studierte Geschichte in Oxford (ohne Abschluß) arbeitet als Journalist und Schriftsteller. Seine Romane und Reisebücher gelten als literarische Meisterwerke. Im Diogenes Verlag sind etliche erschienen und in den Musenblättern besprochen.
Evelyn Waugh - „Expeditionen eines englischen Gentleman“
Aus dem Englischen von Matthias Fienbork. Mit einem Nachwort von Rainer Wieland. Im Anhang mit Zeittafel
© 2018 Diogenes Verlag, 336 Seiten, Ganzleinen, Fadenheftung, Schutzumschlag - ISBN: 978-3-257-07026-2
24,- € (D) / sFr 32.00* / 24,70 € (A) * unverb. Preisempfehlung Weitere Informationen: www.diogenes.ch
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