Warum warten Merkel und Nahles bis zum 14. Oktober?

Ein Kommentar

von Ulli Tückmantel

Foto © Anna Schwartz
Warum warten Merkel und Nahles
bis zum 14. Oktober?
 
Ein Kommentar von Ulli Tückmantel
 
Seit Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) im Juni das Sommertheater um seinen angeblichen „Masterplan“ für Flüchtlinge und Migration vom Zaun brach, haben er und die führenden Köpfe seiner bayerischen Regionalpartei nur wenig unversucht gelassen, um die Große Koalition platzen zu lassen und damit Angela Merkel als Bundeskanzlerin zu
Das ist ihnen bisher nicht gelungen.
     Im Gegenteil, sind die meisten Aktionen regelrecht krachend gescheitert. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt hat einen Putsch innerhalb der CDU/CSU-Bundestagsfraktion mit falschem Timing versemmelt. Der bayerische CSU-Ministerpräsident Markus Söder stürzt von Umfragetief zu Umfragetief. In der Causa Maaßen hat Seehofer alle Grenzen des politischen Anstands eingerissen ‑ bislang vergeblich. Die Kanzlerin läßt ihn gewähren, die SPD-Vorsitzende Andrea Nahles auch. Bezeichnend für die Haltung weiter Teile von CDU und SPD ist der Kommentar des frisch gebackenen Vorsitzenden der NRW-SPD, Sebastian Hartmann (Anspruch: „Rot pur, klare Sprache und echte Lösungen“) zu den Berliner Zuständen: „Wir brauchen spätestens nach der bayerischen Landtagswahl einen kompletten Neustart der Koalition.“
     Mit Verlaub: Wieso „nach“ der bayerischen Landtagswahl? Wieso akzeptieren es die Spitzen der beiden größten Koalitionäre als politische Normalität, ihre Regierungsfähigkeit vom Chaos-Kurs einer Regionalpartei im Vorfeld einer Landtagswahl abhängig zu machen? Die beschämende Antwort ist: Weil Angela Merkel darauf setzt, daß sich das Problem Seehofer mit der absehbaren CSU-Niederlage am 14. Oktober von selbst erledigt, und Andrea Nahles angesichts der Umfrageabstürze der SPD nichts so sehr fürchtet wie Neuwahlen. Wäre das Land in einem anderen Zustand und ginge es um nichts, könnte man diese Konfliktscheu und den ausgeprägten Mangel an Mut „pragmatisch“ nennen. In Wahrheit ist es Haltungslosigkeit.
     Und sie dürfte sich kaum auszahlen. Viel wahrscheinlicher als ein „Neustart der Koalition“ (Hartmann) sind als Folge der bayerischen Landtagswahl Neuwahlen im Bund. Oder würde irgendjemand wirklich darauf wetten, dass Söder keine Koalitionsgespräche mit der AfD führt, wenn es seinem Machterhalt dient? Wo Seehofer und sein Mitstreiter Maaßen durch Assistenzdienste und die Weigerung, die AfD vom Verfassungsschutz beobachten zu lassen, diese Tür doch sperrangelweit offen gelassen haben?
Den politischen Preis für die Handlungsunwilligkeit von Merkel und Nahles werden als erste Volker Bouffier (CDU) und Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD) mit miesen Ergebnissen bei der hessischen Landtagswahl am 28. Oktober zahlen.
 
 
Der Kommentar erschien am 21. September 2018 in der Westdeutschen Zeitung.
Übernahme des Textes mit freundlicher Erlaubnis des Autors.