Brillante Verfilmung eines hinreißenden Romans

„Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse“ von Michael Steiner

von Renate Wagner

Wolkenbruchs wunderliche Reise
in die Arme einer Schickse
(Schweiz 2018)

Regie: Michael Steiner
Mit: Joel Basman, Inge Maux, Udo Samel, Noémie Schmidt, Lena Kalisch, Noémie Schmidt, Sunnyi Melles u.a.
 
Der grimmige Vorname „Mordechai“ paßt nicht so recht zu ihm. Da trifft es „Motti“ für den schmalen jungen Mann mit dem netten Lächeln und den freundlichen Augen schon eher. Allerdings befindet sich Motti unter permanentem Stress, denn als junger jüdischer Mann in Zürich steht er nicht nur fest unter der Fuchtel seiner „Mame“, es wird von ihm auch erwartet, das übliche Schicksal eines Juden in einer orthodoxen Gemeinde zu erfüllen. Das heißt: Man spricht Jiddisch untereinander, man verkehrt miteinander, man macht Geschäfte vordringlich mit andern Juden, und selbstverständlich heiratet man untereinander. Alles andere wäre eine Katastrophe…
Und genau die begibt sich – zuerst in dem Roman „Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse“ von Thomas Meyer (ein Debütroman, der auf eine Auflage von über 100.000 Stück kam!), und nun in der absolut hinreißenden Verfilmung von Michael Steiner. Denn, wie der Titel sagt, Motti begehrt auf – wenn auch angesichts der Mame nur schüchtern, aber immerhin sind seine Triebe stark genug, um der netten blonden Schweizer Schickse nachzulaufen und sogar zu erwägen, ihretwegen das ganze jüdische Leben wegzuwerfen.
 
Es ist dieses jüdische Leben, das hier so liebenswert gezeigt wird, obwohl es in der Realität möglicherweise seine Härten hat. Die Vorschriften, denen man sich (in vielen Fällen natürlich gerne) unterwirft, sind ziemlich rigide, und für Abweichler hat man kein Verständnis. Also verheiratet man junge Leute auf die alte Weise, nur daß das, was früher ein Schadchen (in „Anatevka“ die Jente) gemacht hat, jetzt von den Müttern arrangiert wird, und die jungen Leute können noch froh sein, daß sie zu einzelnen Kandidaten nein sagen dürfen.
Motti will noch mehr, er will auf der Uni nicht so auf den ersten Blick jüdisch aussehen, also läßt er sich den Bart abrasieren und setzt sich eine modische Brille auf. Er und eine der „Bräute“, der die ewigen befohlenen „Bekanntschaften“ (unter den stechenden Blicken der Mütter) auch auf die Nerven gehen, beschließen, einfach vorzugeben, sie hätten einander gewählt, damit man sie in Ruhe läßt. Bloß weiß das am nächsten Tag jeder in der jüdischen Gemeinde, und zur Hochzeit werden sie aus ganz Europa angereist kommen.
Wir allerdings dürfen zuerst erleben, wie Motti auf der Uni in die Arme einer sympathischen, unbefangenen Schickse läuft, was natürlich schlimme Folgen hat: Wer Sorgen hat, geht zum Rabbi, der empfiehlt einen Israel-Aufenthalt (weil er sich einst von dort seine Frau geholt hat), aber der Abstecher geht am Strand von Tel Aviv nicht so gut aus. Die hübsche Jüdin hat nichts gegen einen One-Night-Stand, aber in die Schweiz gehen und dort ein orthodoxes Leben führen? Wo man doch hier so liberal ist, daß Motti statt mit strammem Judentum mit Ashram-Riten konfrontiert ist… Also, zurück nach Hause, und weil er gar so standhaft nicht tut, was Mame will, kann diese nur das Schlimmste vermuten: Ist ihr Sohn vielleicht ein „Feygele“ (sprich: schwul)?
 
Man will nicht zu viel verraten von der schönen Geschichte, die ja doch erzählt, daß nicht alles so kommt, wie man es sich vorstellt (für keinen der Beteiligten), und die mit so viel Liebe und Einfühlungskraft und auch Nachdruck und Nachhaltigkeit gestaltet ist, daß man sich nach dem Film dabei ertappt, selbst Jiddisch zu reden… das geschieht nämlich auf der Leinwand (mit Untertiteln, in Israel braucht man sie dann wirklich).
Wobei Regisseur Michael Steiner den liebevollen, aber nie verklärenden Blick des Autors übernommen hat – und es Motti immer wieder erlaubt, in die Kamera hinein das Geschehen zu kommentieren. Und auch manchmal seinen entsetzlichen Tagträumen nachzugehen – daß seine Mutter seine Schickse doch glatt erstechen will, aber sie erwischt das „milchige“ Messer und bräuchte doch das „fleischige“ dazu.
Der Film lebt von der Besetzung, von Mutter und Sohn vor allem. Man sagt den jüdischen Mames nach, daß sie laut, penetrant und taktlos seien, und Inge Maux ist das alles, echt bis in die Fingerspitzen, aber sie hat nicht nur hintergründigen Humor, sie ist vor allem jede Sekunde erfüllt von der überbordenden Liebe zu ihrem Sohn, und das macht ihre Figur so unwiderstehlich. Sie macht Krach, sie terrorisiert Gatten, Sohn und Familie, und dennoch ist sie die Seele des Ganzen, das, was diese Welt im Innersten zusammenhält.
 
Der junge Schweizer Joel Basman ist für den Motti Wolkenbruch schlechtweg die Idealbesetzung, freundlich, schon ein wenig unterdrückt, noch im Aufbegehren höflich, aber letztlich doch ein Mensch, der sich durchsetzt. Der als moderner Jude zwar weiß, wo er hingehört, aber auch weiß, wo er zu Religion und Tradition sagt: Bis hierher und nicht weiter.
Herrlich Udo Samel als Tate Wolkenbruch, der gelernt hat, unter der Keule der Mame zu leben und bei den familiären Spannungen mit Liebe vermittelt, kein Patriarch, ein friedlicher Mann. Und ihnen allen (es gibt noch einige Familienmitglieder, von denen aber nur Aaron Arens als Yossi und Lena Kalisch als Mottis Heiratskandidatin wirklich Profil gewinnen) steht nun die Schickse gegenüber, die nichtjüdische (christliche) junge Frau, der Alptraum jeder jüdischen Mame (auch wenn sie gewohnt sind, daß sich ihre Männer dergleichen als Freundinnen halten). Noémie Schmidt als Laura hat die Unbeschwertheit einer jungen Frau von heute, die diesen Motti süß findet, ihn sich an Land zieht, aber – nein, weiter wird nichts erzählt.
Ja, und da ist noch Sunnyi Melles, die sich mittlerweile als des Kinos nachdrücklichste Nebendarstellerin etabliert hat (man meint ihr in jedem Film zu begegnen): Als sterbende Frau Silberzweig ist sie so unpenetrant, wie man nur sein kann, aber ein paar gute Ratschläge für Motti sind schon drin. So erzählt der Film von einer Abnabelung – und davon, daß man nicht alles kurz und klein schlagen muß, wenn man etwas verändern will. Und wenn man wirklich auf der einen Seite an Woody Allen, auf der anderen an „Alles auf Zucker“ erinnern will, so möge man das getrost tun: Motti Wolkenbruch hält mit beiden Schritt.
 
 
Renate Wagner