Schwanengesang

Hans-Christian Seeger inszeniert John Osbornes „Der Entertainer”

von Frank Becker

v.l.: Claudia Naujok, Annette Conrad, n.n., Hans-Christian Seeger- Foto © Rudolf Finkes

Schwanengesang
 
Schillertheater NRW:
John Osborne - „Der Entertainer”
 
Hans-Christian Seeger inszenierte und spielte den Archie Rice in
Osbornes Parabel auf den Untergang des Commonwealth.
 
     Man sagt schon in der griechischen Antike den Schwänen nach, daß sie ihr schönstes Lied angesichts des Todes singen. Um das Lob der Kritik voranzustellen: Hans-Christian Seegers Schlußlied seiner eigenen Inszenierung bewies künstlerische Größe, den Mut, so schlecht zu sein, daß es schon wieder gut war. Und damit hatte er akkurat den Ton getroffen, den die Rolle des Archie Rice von ihrem Darsteller verlangt: einen schlechten Entertainer zu spielen, ohne schlecht zu sein. Zur Genüge ist der große Sir Laurence Olivier beschworen worden, perdu! Osborne hat sein Stück 1956 vor den Hintergrund der Suezkrise, die symptomatisch für den Untergang des britischen Commonwealth war, geschrieben. Er ließ, was im Großen geschah, sich im Kleinen wiederholen: die einst populäre Unterhaltungsform des britischen Kleinbürgers, die Music-Hall-Show, ging vor die Hunde. Schluß mit lustig! Seeger hat sich vorgenommen, das Stück aus seinem historischen Kontext zu lösen und auf die heutige Zeit und die in ihr eigene Verwilderung der Unterhaltungssitten zu projizieren. Harald Schmidt als Plattitüden-Produzent der abgestumpften Fernsehnation - Grimme-Preis hin, Grimme-Preis her - konnte ihm da ebenso recht sein, wie irgendein anderer Tiefflieger. Nun war es eben der. Und um den zu parodieren, mußte man eben noch ein bißchen platter sein, voilà! Es wäre am Ziel vorbeigegangen, wenn die Witze gut gewesen wären, man etwas hätte lachen können. Das ist keine Komödie, wie manche Besucher wohl glaubten, ebensowenig, wie Macbeth eine ist.

     Seeger war wagemutig und hat seine Sache recht gut gemacht, grandios unterstützt von seinen drei Hupfdohlen und einem gnadenlos gut-schlechten Musikarrangement (Otto Beatus) nebst schön-schleußlichem Show-Ballett. Der Entertainer versinkt in Mißerfolg und Schulden, seine Familie zerbricht. Den schlechten Vater konnte Seeger nicht so gut vermitteln wie den schlechten Entertainer und skrupellosen Ehemann. Der jüngere Sohn stirbt in der Kriegsgefangenschaft eines Krisenstaates, der andere ist wie der Rest der Familie ein perspektivloser Säufer - falsch besetzt mit Cornelius Schwalm, der zu alt und zu steif für einen HipHopper ist. Die Tochter verläßt den gutbürgerlichen Verlobten, um zur elterlichen Schnapsbar zurückzukehren, Esther Reubold zeigt das Mädchen nur in Ansätzen. Der alte Vater Billy Rice stirbt unter der Belastung, die ihm von seinem zynischen Sohn zugemutet wird (zu hastig und unglaubhaft inszeniert). Gerhard Remus gibt ihn zu elastisch, zu jugendlich, wenn auch sympathisch. Eike Gercken hingegen ist genau richtig. Wie sie die zwischen Hoffnung und Verzweiflung gebeutelte Alkoholikerin spielt, Archies zweite Frau Phoebe rührt an, ist glaubhaft. Ob sie Gin-seelig plappert, über einen vom Schwiegervater angebissenen Kuchen in Haßtiraden ausbricht oder erbarmenswürdig heult - sie überzeugt und liefert die beste Leistung des Abends ab. In Nebenrollen Rainer Krause, Stefan Rieger und Seegers Bühnenbild. Friedrich Luft schrieb 1958: „Ein fragwürdiges Stück englischer Selbsterkenntnis Aber ein Stück mit ein paar spielbaren Rollen und einem sehenswerten Titeldarsteller. Wer mehr will, hat hier nichts verloren.“ Der nur halb gefüllte Saal gab vollen Beifall.
 
Frank Becker, 22.3.1997