Das geht unter die Haut.

„Angelo“ von Markus Schleinzer

von Renate Wagner

Angelo
(Österreich 2018)

Drehbuch und Regie: Markus Schleinzer
Mit: Ange Samuel Koffi D’Auila (Angelo 1), Kenny Nzogang (Angelo 2), Ryan Nzogang (Angelo 3), Makita Samba (Angelo 4) und   (Angelo 5), Lukas Miko, Michael Rotschopf, Alba Rohrwacher u.a.
 
Dafür, daß er einst nur einer von Hunderttausenden bedauernswerter Schwarzer war, die in West- und Zentralafrika von Sklavenhändlern eingefangenen wurden, hat „Angelo Soliman“, wie man ihn dann nannte, immerhin ein Schicksal, eine Karriere, Bekanntheit und Nachruhm geerntet. In der mitteleuropäischen Welt des 18. Jahrhunderts war er ein „Exote“, dessen Existenz sich nach seinem Tod auf das grauenvollste erfüllte: „Ausgestopft“, seine Haut von Präparatoren aufgezogen, war er Museumsschaustück, um einem neugierigen Publikum einen echten „Wilden“ vorzuführen… 1848 verbrannte seine Körperhülle im Zug der Revolution.
Bedenkt man, welch ergreifend kitschige Geschichte man daraus machen könnte, erscheint der Film, den Markus Schleinzer dem Schicksal Angelos widmet, von geradezu klinisch-kühlem Umriß (ähnlich wie sein Spielfilm-Erstling „Michael“ über einen Kinderschänder). Er greift auch nicht weit aus, um das historische Biopic auszustatten, das in der Geschichte drinnen stecken könnte: Opulenz ist nicht gefragt.
Wie historisch korrekt er inhaltlich vorgeht, ist schwer zu fixieren. Der Regisseur, der zusammen mit Alexander Brom auch das Drehbuch schrieb, hält sich an Situationen, die wie Einzelteile (oft auch zusammenhanglos) aneinander gereiht werden. Aber jede dieser Situationen sagt etwas aus.
 
Es gibt drei Lebensstufen von Angelo. Zuerst das Kind, eingefangen mit anderen Leidensgenossen. Gelegentlich wird einer von einer weißen Dame „ausgesucht“. Nicht jeder übersteht seelisch die Taufe, die Kleider, in die man ihn steckt, die Dinge, die man ihm gewaltsam beibringen will. Angelo schafft es und überlebt es.
Im zweiten Teil ist er schon – man weiß nicht wie – in Wien gelandet. Man kennt es aus dem „Rosenkavalier“, wo der kleine Mohr der Marschallin ein ach so pittoreskes Element des adeligen Lebens darstellt. Auch hier „hält“ sich erst der Fürst Lobkowitz, dann der Fürst Liechtenstein einen „Schwarzen“, der von der übrigen Dienerschaft scheel beäugt wird. Immerhin, er ist klug, hat Sprachen gelernt, überragt die anderen. Und doch überschreitet er entschieden seine Grenzen, als er eine Weiße heiratet.
Höhepunkt dieses zweiten Teils sind die Begegnungen mit Kaiser Joseph II. Wenn dieser angesichts des Fremden zu philosophieren beginnt, was etwa ihn, den Kaiser, wirklich von anderen unterscheidet, oder was für diesen Mann aus fremder Welt „Heimat“ bedeutet… da wird die Geschichte ein bißchen dick, schwülstig und absichtsvoll. Angelo unter den Freimaurern zu zeigen, ist der Beweis dafür, daß er durch seine Bildung, aber auch durch seine Anpassung die Rassenschranken überwunden hat und vielleicht mehr wurde als der Quoten-Fremde, mit dem die Aufklärung ihre Liberalität erweisen wollte.
Die Handlung springt dann auf den dritten Teil, der ganz zu Ende des 18. Jahrhunderts spielt (Angelo, etwa 1721 geboren, starb 1796). Da ist Angelo (der Film verbraucht mehrere Kinder, einen jungen Mann und einen alten Mann für die Rolle) dann alt, Vater einer Tochter (daß sie später Ernst von Feuchtersleben geheiratet hat, wird nicht gesagt, obwohl das in der Wiener Gesellschaft viel besprochen wurde). Darf im Museum belehrt werden, wie großartig sich die neuen „wissenschaftlichen“ Zeiten fühlen – und landet wenig später selbst da. Das geht unter die Haut.
 
Jedenfalls dankt man Markus Schleinzer zuerst, daß er die Geschichte nicht in historischem Tralala, das nur ablenken würde, ertränkt hat, vor allem aber auch, daß er nicht die aufgeplustert-empörte Haltung unserer ach so korrekten Gegenwart einnimmt, wie sich unsere ach so schrecklichen Vorfahren verhalten haben. Sie waren, wie wir, Kinder ihrer Zeit. Ihr „Rassismus“ war anderer Art als unserer. Und die besten Schlüsse aus der Vergangenheit zieht man aus einer gänzlich nüchternen Betrachtungsweise.
 
 
Renate Wagner