Jeder sollte bei der Religion seines eigenen Kulturkreises bleiben (falls er überhaupt eine braucht)

„Womit haben wir das verdient“ von Eva Spreitzhofer

von Renate Wagner

Womit haben wir das verdient?
Österreich / 2018

Drehbuch und Regie: Eva Spreitzhofer
Mit: Caroline Peters, Simon Schwarz, Chantal Zitzenbacher, Hilde Dalik u.a.
 
Es gibt Situationen, die will man sich nicht einmal in seinen schlimmsten Träumen vorstellen. Aber es gibt sie wohl, man liest davon in den Zeitungen – und man sieht es nun im Kino. Hier ist es Wanda, liberal bis in die Fingerspitzen, die es trifft – volle Pulle. Denn eines Tages steht ihre 16jährige Tochter Nina mit Kopftuch und im Hijab da und verkündet, sie sei nun Muslima und heiße Fatima… Die Kleidung sei nötig, erklärt sie, sonst fiele ihre Konvertierung ja niemandem auf (!!!). Und schon da merkt man, daß die junge Dame ein gewaltiges Ego-Problem damit hat, ausreichend beachtet zu werden. Wie auch immer – ein Problem für die Familie, die Umwelt und vor allem die Mutter bleibt es noch immer… und wer weiß, wann und ob das überhaupt vorbei geht?
 
Wie geht man mit einer solchen Fragestellung, die man schließlich selbst hingeworfen hat, als Filmemacherin um? Eva Spreitzhofer, bisher als Schauspielerin bekannt und als Drehbuchautorin tätig, hat bis 50 gewartet, ihren ersten Spielfilm als Regisseurin vorzulegen. Und ist mit Thema und Machart sorglich umgegangen, nicht hämisch, gegen keine Seite diskriminierend, doch humorvoll (nur manchmal überdrehend), aber nie leichtfertig. Wie wahnsinnig die Religionsfrage ist, wenn sie in eine Familie einbricht, macht der Film jedenfalls klar.
Eine fassungslose Mutter, eine stolz-sture Tochter und rund um die beiden eine nach allen Seiten wuchernde Patchwork-Familie und noch Freunde dazu. Und originellerweise eine Leidensgenossin in Gestalt einer Muslima, die in den Westen kam, um den Repressionen gegen Frauen zu entgehen, und erleben muß, daß auch ihre Tochter freiwillig das Kopftuch trägt… nicht unbedingt aus religiöser Überzeugung, sondern weil es offenbar als „chic“ gilt. Die todernste Seite des Problems, daß junge Mädchen nach Syrien reisen und dort für den IS kämpfen, wird hier allerdings nicht angesprochen…
 
Die Regisseurin blättert das Problem anhand der betroffenen Personen(fülle) auf, wobei Wanda das starke Zentrum ist, um das sich alles dreht (man hätte nur nicht unbedingt eine Chirurgin aus ihr machen sollen, denn es ist anzunehmen, daß diese nicht so viel Zeit und auch nicht den Kopf für das ausführliche Ausleben ihrer privaten Miseren haben). Caroline Peters ist die Spät-Entdeckung von Wiens Theater- und Filmszene, die beste, stärkste, originellste, die wir derzeit haben, eine Virtuosin der Nuancen, eine alles sprengende Persönlichkeit. Sie offenbart die Problematik der heutigen Elterngeneration,, die nicht mehr auf den Tisch haut und erklärt: Hört sofort auf mit dem Blödsinn! Nein, da muß man Verständnis zeigen, nachgeben, tolerant sein, alles ernst nehmen, sich mit der Sachlage genau beschäftigen, dem armen Kind nach wie vor das Gefühl geben, wie geliebt es ist …kurz, demütig in die Knie zu gehen bis zur lächerlichen Selbstaufgabe einer Generation, die aus der nächsten selbstherrliche Monster macht, die sich mit Lust alles erlauben, weil ihnen niemand Grenzen setzt. Wie Caroline Peters, die sich all der Widersprüche bewußt zu sein scheint, gute Miene zum bösen Spiel zu machen versucht… das ist sehenswert. (Schade, daß das Drehbuch manchmal dann doch in die Posse ausufert, wenn Wanda und Harald in schwarzen Tschadors in die Moschee rasen – und von Polizisten aufgehalten werden. Da kann man sich angesichts des Verhüllungsverbots nur in einen „Faschingsscherz“ retten…)
 
Simon Schwarz als Wandas Ex-Mann Harald ist der Typ dese unsicherem Schwächlings, der einer starken Frau entflohen ist, um an die nächste zu geraten: Hilde Dalik als Sissy, seine junge schwangere Neue, verstreckt unter einem süßen Gesichtchen stählerne Entschlossenheit. Witzig auch die adoptierte vietnamesische Tochter von Wanda und Harald (Anna Laimanee), die Selbstbewußtsein und flockige Formulierungen nur so um sich wirft. Wandas Freundin Elke (Pia Hierzegger) kann über alle Turbulenzen nur amüsiert den Kopf schütteln, und Alev Irmak als Hanife ist die aufgeklärte Muslima von heute, die sich von Männern und gar von Imamen gar nichts mehr vorschreiben läßt… Ihre Tochter Maryam (Duygu Arslan) hat zwar auch das Kopftuch genommen, macht aber im Gegensatz zu Nina klar, daß sie wirklich weiß, was Islam bedeutet…
Die schwächste Figur im ganzen Gefüge ist die frisch gebackene Muslima (Chantal Zitzenbacher), weil diese 16jährige nicht ein vernünftiges Argument für ihr Handeln zu bieten hat und alles nur auf pubertärem Mutwillen beruht. So viel Aufwand für etwas Wichtigmacherei.
 
Der Film bietet keine Lösungen, das Ende bleibt offen. Versöhnliches Multikulti wird ebenso wenig geboten wie absichtsvoll dramatisierte oder gar ideologisch scharf gemachte Abgründe. Wie sagte doch der Dalai Lama angesichts all der Europäer und Amerikaner, die den Buddhismus für sich entdeckt haben und sich so schrecklich toll dabei fühlen? Jeder sollte bei der Religion seines eigenen Kulturkreises bleiben (falls er überhaupt eine braucht – das hat der Dalai Lama aber nicht gesagt).
 
 
Renate Wagner