Weltuntergangsfilme

von Erwin Grosche

Foto © Harald Morsch
Weltuntergangsfilme
 
Die ersten Weltuntergangsfilme hatten noch etwas Überschaubares. Da war die Katastrophe eine gemütliche Spielart. Ein Baum fiel um, Autos standen im Stau, ein mutiertes Meerschweinchen lief durch die Straßen und der Feldhamster war ausgestorben. Wo nichts ist, kann auch nicht viel untergehen. Man sagte einfach, wenn die Welt untergeht, dann fahren wir nach Mallorca. Manche dachten, daß man nur lieb sein mußte, um alle Gefahren von sich abzuwenden. So unschuldig war man damals. Mit dem Aufkommen der Klimakatastrophen und der Glaubenskriege bekamen Weltuntergangsfilme ein anderes Image. Wir gingen ja quasi während des Filmdrehs unter. Man mußte nur die Kamera drauf halten und beten, daß der Film vorher fertig wird. Ging man früher mit Popcorn ins Kino, nahm man nun Eierhandgranaten mit. Ging man früher ins Kino um zu knutschen, verkrümelten sich dann Mann und Frau unter den Sitzen und zogen schußsicheren Westen an. Daß diese Filme ab 18 Jahren freigegeben wurden, zeigt auch, daß der Weltuntergang für Kinder und Jugendliche nicht geeignet war.

     Die große Zeit der Weltuntergangsfilme ist nun allerdings vorbei. Sie erscheinen viel zu nah an der Realität. Wer applaudiert schon, wenn das Haltbarkeitsdatum des Käses abläuft? „Wenn ich sehen will wie die Welt untergeht, dann fahre ich nach Dörenhagen.“ Das gute Image des Neuanfangs ist einer allgemeinen Ernüchterung gewichen. Der Zustand der Welt ist inzwischen auch schon so weit, daß sich da gar nicht mehr so viel ändern dürfte. „Vielleicht wird es wieder mehr Parkplätze geben“, sagte mir ein Hausmeister, „aber ich glaube noch nicht mal das.“ Einmal schwebte ich selbst in einem Weltuntergangsszenario. In der Südstadt wurde eine Bombe gefunden, und während der Entschärfung mußte das gesamte Viertel evakuiert werden. Bei einem Blick aus dem Fenster sah ich dann, daß einer meiner Nachbarn seinen Mülleimer rausgestellt hatte, weil am nächsten Tag, einem Montag, die Müllabfuhr kommen würde, um die Tonnen zu entleeren. Das hat mir Hoffnung gegeben. Wenn ich noch einen Tag zu leben hätte, dann würde ich vorher meinen Lottoschein abgeben, beim Milcheinkaufen auf das Verfallsdatum achten, mit dem Rauchen aufhören, meinen Mülleimer auf den Bürgersteig stellen und dann noch die Bombe entschärfen. „Hallo, wir drehen hier einen Weltuntergangsfilm, können die anwesenden Statisten vielleicht ihre Privatgespräche einstellen? Ein wenig panisch aus der Wäsche glotzen kann doch nicht die Welt sein. Wir drehen hier einen Weltuntergangsfilm und keinen Softporno. Der Weltuntergang ist kein Zuckerschlecken. Stellen sie sich vor, ihr Mann würde sie mit ihrer besten Freundin betrügen. So ist die Stimmung doch schon besser. Stellen sie sich vor, daß sie zwei Tage früher aus dem Urlaub kommen und ihre Tochter die ganze Zeit Parties gefeiert hat. So ist es gut. Halten sie diesen panischen Blick fest. Stellen sie sich vor, die Gehälter der Statisten würden nochmal gekürzt und das stimmt sogar. Stellen sich einfach vor, ich wäre Dieter Wedel. Jetzt haben wir es. Bitte die Stimmung halten. Ist das mutierte Meerschweinchen am Set? Okay. So machen wir es. Kamera läuft? Ton ab und „Bitte“.

     „Weltuntergang, Weltuntergang, du dauerst manchmal stundenlang / alles wird stumm und nichts bleibt da, wo gestern noch ein Aldi war. / Verluste, Verluste, gern gehste nicht, jetzt mußte. / Wir blieben schon zu lang als Gast, wer uns nicht traf, hat was verpaßt.“