Colette
GB, USA, Ungarn 2018
Regie: Wash Westmoreland
Mit: Keira Knightley, Dominic West, Fiona Shaw, Eleanor Tomlinson u.a. Heute ist ihre Reputation keine besondere mehr – Colette, eine Frauenschriftstellerin von gestern, wie man meint. Gestern aber war diese Dame ein Skandal für ihre Welt und eine Pionierin für die Sache der selbständigen, selbstdefinierten, selbstbewußten Frau. Und als solche ist sie in diesem „Biopic“ zu erleben, das wieder ein Stück weibliche Emanzipationsgeschichte auf der Leinwand aufarbeitet.
Was weiß man schon von Sidonie-Gabrielle Claudine Colette (1873-1954), die ihren Nachnamen später als Schriftstellerin solistisch wie einen Nom de guerre nahm und ihrer ersten Romanheldin den eigenen Namen „Claudine“ verlieh? Mit diesen Geschichten wurde sie berühmt – bis sie es sein durfte…
In diesem Film von Regisseur Wash Westmoreland, der als bekennender Homosexueller das besondere Flair von Erotik und Androgynität einbringt, das Colette umstrahle, erlebt man sie erst als junges Mädchen mit wilder Haarpracht: Keira Knightley, erste Hälfte 30 und gar kein Teenager-Typ, schafft es dennoch, auch jung zu sein – und noch besser zu reifen: an ihren Erlebnissen, an ihren Kämpfen. Und der Film beläßt sie in den Kostümen der Zeit, weil der elegante, überbordende Plunder der Epoche, die man auch „Belle“ nannte, aufs herrlichste zu den Abgründen in den Frauenleben kontrastiert.
Konventionell war sie nie: Sex mit dem gut 15 Jahre älteren Literaten Henry Gauthier-Villars (Dominic West) genoß die 16jährige Sidonie ohne Reue. Dieser, von der Mitwelt „Willy“ benannt und unter diesem Pseudonym Autor vieler erfolgreicher Bücher, war zwar noch verheiratet, aber später konnte sie ihn, als sie 20 war, doch ehelichen. Besonders erfolgreich war die Ehe mit einem Mann, der immer Geliebte hatte („Männer machen das so“, sagte er kopfschüttelnd, und wunderte sich, daß sie es nicht hinnahm, sondern tobte), nicht gerade. Geldsorgen hatten sie immer, und besonders wütend wurde die junge Gattin, wenn Willy sie herablassend als kleines Frauchen behandelte. Sie wollte sehr früh eine Ehe mit zwei selbständigen, einander anerkennenden Partnern…
Aber Willy erkannte das Talent der jungen Frau, mit der er verheiratet war und die wie besessen schrieb. Sie hat ihre eigenen Erlebnisse kaum verändert als jene von „Claudine“ zu Papier gebracht, und Willy, der nur der Lektor ist, gibt sich als deren Autor aus („Das Publikum würde keine Schriftstellerinnen lesen wollen.“). Der Erfolg, als das erste Buch im Jahr 1900 erschien, war enorm, und Willy zwingt ihr ein Buch über Claudine nach dem anderen ab, im Jahresrhythmus, bis sie wirklich nicht mehr will. Zumal er das Geld, das für ihre Arbeit hereinfließt (auch die Theaterrechte bringen etwas ein), gewissenlos hinauswirft.
Selten hat ein Film so klar auseinanderdividiert, wie eine menschliche Beziehung, die einmal auf Zuneigung basierte, zum totalen, brutalen Ausnutzen eines Talents, einer Fähigkeit wurde, ohne Rücksicht auf Verluste. „Schreib!“ brüllt der Ehemann, den alle nach „seinen“ Büchern fragen und die es nicht gibt, wenn seine Frau sie nicht schreibt… dafür sperrt er sie auch ein.
Die Ehe zerbricht auch, als Sidonie, wie sie noch heißt, den Avancen der reichen Amerikanerin Georgie Raoul-Duval (Eleanor Tomlinson) nachgibt (wobei der Gatte sie ziemlich bewußt in deren Arme treibt). Wobei die Dame dann auch mit Willy ein Verhältnis hat… Keine Frage, daß die Geschichte bald häßlich wird.
Und auch hektisch – schwer vorzustellen, daß in Zeiten vor den sozialen Medien ähnliche Hypes entstehen konnten wie heute, daß Colette, die nun allgemein als die „Claudine“ gilt, einen männlichen Typ à la George Sand kreiert und ihre lesbischen Lüste voll auslebt. Wobei ihre Autorenschaft an den Büchern längst kein Geheimnis mehr ist. Nur verlangt sie von Willy nun auch ihren Namen als Autorin auf den Büchern, was er tobend verweigert.
Der Film entläßt Willy, der sich mit jungen Mädchen tröstet, aus dem Leben der Colette, und man begreift, daß es ihrem exzessiven Charakter entspricht, nun mit der neuen Geliebten Missy (Denise Gough) in Shows und Varietes aufzutreten. Mit sexueller Exposition (Damen küssen sich intim auf der Bühne des Moulin Rouge), die zum Skandal wird. Colette, der man in dieser Phase ihres Lebens noch ihre Identität verweigert, sucht sich in der Frau, die da auf der Bühne schockiert.
Es ist eine wilde, interessante Geschichte, getragen von der Ausstrahlung der Keira Knightley, die eine ungewöhnlich kraftvolle, schöne, überwältigende Schauspielerin ist. Sie gibt für die Nachwelt Colette das Profil der Power-Persönlichkeit. Das war eine, die wußte, was sie wollte, und geradezu wütend dafür kämpfte. Wenn es auch erst den Generationen nach ihr wirklich zu Gute kommen sollte.
Renate Wagner
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