Ein „Snakefucker“

„Loro – Die Verführten“ von Paolo Sorrentino

von Renate Wagner

Loro – Die Verführten
Italien / 2018

Regie: Paolo Sorrentino
Mit: Toni Servillo, Riccardo Scamarcio, Elena Sofia Ricci u.a.
 
Sich für den Film „Loro“ zu interessieren, dafür gibt es hierzulande zwei gute Gründe. Zuerst ist Paolo Sorrentino ein Regisseur, dessen mit dem Auslands-„Oscar“ gekrönter Film „La Grande Bellezza“ ein Erlebnis war, das man im Gedächtnis behalten hat (und dessen – englischsprachige – „Ewige Jugend“ zumindest verstörend seltsam war). Und dann hat Silvio Berlusconi, diese durch und durch irritierende Politikergestalt aus dem Nachbarstaat, noch immer etwas von Faszination an sich. Gerade, weil man nicht begreift, wie die Italiener auf ihn hereinfallen konnten.
Interessant, daß Politiker, die noch leben, Filme über ihre Biographie zulassen, obwohl sie gar nicht gut dabei aussteigen: Weder Amerikas Dick Cheney in „Vize“ (kommt bei uns Anfang März ins Kino, nachdem Christian Bale für die Gestaltung der Hauptrolle bereits einen „Golden Globe“ heimgetragen hat) – noch Berlusconi hier. Allerdings wird er auch nicht so in die Erde gestampft, wie man es sich vorstellen könnte. Letztendlich ist Sorrentinos Film zu verfremdet, dramaturgisch zu verwirrend und auch in der Aussage unklar – abgesehen davon, daß er viel zu lang ist. Zweieinhalb Stunden in der Fassung, die man hierzulande sieht (das Original soll noch länger sein), auf Italienisch mit Untertiteln.
 
Silvio Berlusconi tritt überhaupt erst nach einer satten Dreiviertelstunde als Person auf – man hat die längste Zeit den Eindruck, hier werde ein Film um eine Person gemacht, die man am Ende gar nicht zeigt. Da steht noch Sergio Morra im Mittelpunkt (gut aussehend, aber doch kein Mastroianni-Format: Riccardo Scamarcio), der aus einer Kleinstadt kam und es dort in der Atmosphäre der Anständigkeit zu langweilig fand. Nun gibt er sich in Rom als eine Art Manager aus, tatsächlich ist er ein ziemlich schmieriger Zuhälter im Hochpreis-Zirkus, wo er schöne junge Frauen paradieren läßt und alten Säcken anbietet. Im Grunde gleich erschütternd, wie gelassen diese Frauen ihre Brüste zeigen, die Beine zwecks Betrachtung spreizen und sich gelangweilt nehmen lassen. Und wie die Herren nehmen, zahlen und wegwerfen.
Das alles erinnert an „Dolce Vita“, ist aber nicht so stylish wie bei Fellini, allerdings wird die halbseidene „Schönheit“ des Ganzen reizvoll vorgeführt. In unserer Welt, in der nichts mehr erlaubt ist, könnten männliche Besucher in diesen Film gehen und mit den Augen grenzenlos „Frischfleisch“ tanken, in einem Soft-Porno, der – ja doch in einen Kunstfilm gegossen – gewissermaßen „erlaubt“ ist.
Sergio Morra begibt sich mit den Frauen im Dutzend billiger in eine Luxusvilla auf Sardinien, wo er sie aufreizend herumtanzen läßt, in der (berechtigten) Hoffnung, sein Nachbar würde einen Blick riskieren – und er könnte endlich dessen Bekanntschaft machen. Das klappt auch, aber sobald die Figur des Silvio Berlusconi endlich mit Gattin in seiner Villa auftaucht, beginnt gewissermaßen ein neuer Film. Und der ist seltsam elegisch.
 
Er spielt zu einer Zeit, da Berlusconi drei Amtszeiten als Ministerpräsident hinter sich hatte, 70 war, sich langweilte und nichts dringlicher wollte, als noch einmal in die Politik zu gehen (er hat es bekanntlich geschafft). Mit Gattin Veronica Lario (Elena Sofia Ricci zeigt den ganzen Überdruß, den diese Frau angesichts des Gatten empfand) lag er in sehr schlechten letzten Zügen seiner Ehe. Man erlebt Berlusconi als rücksichtslosen Politiker, der Besuche empfängt, dabei Gegner in den Boden stampft und an seiner Rückkehr arbeitet, man sieht in einer seltsamen Szene, wie er einer alten Dame eine Immobilie aufschwatzt – wohl um sich selbst zu beweisen, daß er jedem (zumindest jedem Italiener, obwohl ein Drittel fand, er gehört ins Gefängnis) noch alles verkaufen kann. Ein „Snakefucker“, wie die Amerikaner sagen – aber leider einer mit Überzeugungskraft.
 
In einer Szene überlegt er, noch irgendwo ein Haus zu kaufen, und die Gattin sagt müde: „Aber wir haben doch alles.“ Daß dieses „Alles“ für den Alternden nur die totale Leere beinhaltet, wenn es nicht mit Macht und Sex verbunden ist… das walzt Regisseur Paolo Sorrentino zu lange aus. Auch wissen wir hier zu wenig über Berlusconi: Ist es möglich, daß er wirklich bei jeder Gelegenheit in Gesang ausgebrochen ist, begleitet von einem Gitarristen – oder ist das ein Verfremdungseffekt des Films, der doch äußerst künstlich wirkt?
Und dennoch: Toni Servillo, Paolo Sorrentinos Hauptdarsteller vom Dienst (er hat auch schon für ihn den italienischen Politiker Giulio Andreotti in „Il Divo“ gespielt und war die Hauptfigur in der faszinierenden Society-Abrechnung „La Grande Bellezza“) spielt den seltsamen Mann – geschminkt, gestylt, artifiziell – so faszinierend, daß „Loro“, im Deutschen mit dem Untertitel „Die Verführten“, zumindest als Stück italienischer Geschichte und Filmgeschichte von Relevanz ist.
 
 
Renate Wagner