Quälend - und keine Antworten

„Beautiful Boy“ von Felix Van Groeningen

von Renate Wagner

Beautiful Boy
USA - 2018

Regie: Felix Van Groeningen
Mit: Steve Carell, Timothée Chalamet u.a.
 
Das Thema der Drogensucht von Jugendlichen hat im amerikanischen Film offenbar eine neue Dringlichkeit gewonnen. Neben „Ben is Back“ mit Julia Roberts als verzweifelter Mutter und Lucas Hedges als süchtigem Sohn, gibt es nun die Geschichte von Steve Carell als ähnlich verzweifeltem Vater und Timothée Chalamet als süchtigem Sohn. Dieser Film basiert auf den Memoiren sowohl von David Sheff („Beautiful Boy: a Father’s Journey Through His Son’s Addiction“) sowie von Nic Sheff („Tweak: Growing Up On Methamphetamines“), Vater und Sohn, zwei Seiten einer Tragödie, die sie erlebt und überlebt haben (ein Schluß, den der Film nicht unbedingt zuläßt).
 
Steve Carrell, meist als Komiker in durchaus zweitklasssigen Filmen eingesetzt, scheint nun, mit Mitte 50, den Wechsel vollziehen zu wollen – und siehe da, dieser Film oder auch „Vice“ (der demnächst in die Kinos kommt) zeigen ohne weiteres seine Befähigung für das „dramatische“ Fach. Wobei dieses ja am besten bewältigt wird, je selbstverständlicher, „normaler“ man mit den Problemen seiner Figuren umgeht. Trotzdem zeigt Steve Carell als David Sheff gleich zu Beginn als Mann in der Nähe des Nervenzusammenbruchs. Denn sein Sohn ist seit Tagen abgängig, und er will das den Behörden klar machen (abgesehen von den Vorwürfen seiner Ex-Frau, die sich in Klagen ergeht).
In Rückblenden auf einen herzigen kleinen Buben merkt man, wie sehr das Bild des Vaters von einer glücklich-sentimentalen Erinnerung geprägt ist. Es ist nicht die einzige Rückblende, sie durchziehen den Film, allerdings nicht in scharfen Schnitten, sondern glaubhaft so, wie sie sich in das Gedächtnis eines Menschen drängen, der Trost sucht.
Der belgische Regisseur Felix Van Groeningen hat schon einmal, in dem für den Auslands-Oscar nominierten Film „The Broken Circle“ (2013) eine schwierige Eltern-Kind-Verlustgeschichte auf die Leinwand gebracht. Er tut es hier wieder – es ist sein erster englischsprachiger Film – sensibel, weitgehend unsentimental, die Aussichtslosigkeit tragisch umkreisend. Die Fragen „Wie konnte es dazu kommen?“ und „Warum?“ finden keine Antwort.
 
David Sheff weiß, daß sein 18jähriger Sohn von Amphetaminen abhängig ist. Der Junge hat sich immer wieder entschuldigt, versichert, es käme nie wieder vor. Von einer Einlieferung zu einer 28tägigen Behandlung will er nichts wissen, aber der Vater hat die Papiere unterschrieben. Und nun ist Nic weg, aus der Anstalt verschwunden, und das Personal redet viel BlaBla-Unsinn, daß das Teil der Genesung sei – und daß es nicht ihre Verantwortung sei, einen Jungen zu suchen.
Carrell, der bärtige Vater mit dem verstörten Gesicht, versucht zu verstehen. Erinnert sich an die immer gleichen Lügen des Sohnes, die immer gleichen Versicherungen, und er weiß vor allem nicht, was er falsch gemacht hat. Er hat es weder an Zuneigung noch an Verständnis fehlen lassen. Möchte eine Erklärung. Und hat immer nur „I am sorry“ gehört… Und doch will und will er den Sohn nicht aufgeben.
Der Film hat mehrere „Rahmen“, im „äußersten“ erzählt der Vater einem Journalisten die Schicksale, das eigene, das des Sohnes. Timothée Chalamet spielt ihn – er ist, kaum über 20, mit „Call me by your name“ als homosexueller Jugendlicher schlagartig ins Bewußtsein getreten als besonders sensibler, glaubhafter Darsteller von problematischen Charakteren. Er muß klar machen, was am Ende nur die Betroffenen verstehen – daß Sucht etwas ist, das einen Menschen so in Beschlag nimmt, daß er jegliche bürgerlichen Regeln hinter sich läßt, jegliche moralischen Grenzen überschreitet. Daß ihm die Umwelt gänzlich gleichgültig wird, er lügt und betrügt, nur um wieder zu seiner Droge zu kommen, daß er jede Demütigung auf sich nimmt, nichts mehr von Anstand und Würde behält. Er tut alles, um das „große schwarze Loch“ in sich zu füllen… mit Drogen. Timothée Chalamet hat bei den Golden Globes den Best Supporting Actor an den auch großartigen Mahershala Ali (verdient für „Green Book“) verloren, aber allein die Nominierung sagt viel.
Der Vater will wissen, was vorgeht, recherchiert im Internet, fragt Fachleute, sieht sich an, was die Droge im menschlichen Gehirn anstellt, ja, versucht sie selbst, um sich in einem seltsamen Zustand am Boden wieder zu finden. Als es ihm gelingt, den Sohn zu finden, will dieser nicht reden, nicht erklären, nicht rechtfertigen, er will nur Geld. „So bin ich, Dad, das bin ich.“ Und der Vater erkennt: „Das bist nicht du, das sind die Drogen, die aus dir sprechen.“
 
Es ist ein quälendes Hin und Her, dem man dennoch nicht angewidert, sondern mit Anteilnahme folgt. Anders als Julia Roberts in „Ben is Back“, die bis zum bitteren Ende nicht aufgibt, erkennt David Sheff, daß er noch andere Kinder hat, daß er eine neue Ehe mit einer verständnisvollen Frau eingehen will, daß er sein eigenes Leben und das anderer nicht auf die Dauer einer aussichtslosen Sache opfern kann. Als der Sohn bei ihm einbricht, sein Auto stiehlt, als er schließlich seine süchtige Freundin tot in den Armen hält und den Vater um Hilfe bittet – sagt dieser Nein. Am Ende des Films sitzen die beiden dennoch nebeneinander auf einer Bank. Der Sohn wirft sich in die Arme des Vaters. Möglicherweise ist es doch ein Happyend…?
Obwohl der Film klarmacht, daß er keine Erklärung für Drogensucht geben kann – und eigentlich keine Hoffnung darauf heuchelt, daß dergleichen „gut ausgeht.
 
Trailer    
 
Renate Wagner